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02/18 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
währt etwa ein Arbeitgeber einheitlich
einen kalenderjährlichen Urlaubsan-
spruch von sechs Wochen (zum Beispiel
durch Gesamtzusage oder betriebliche
Übung), findet das prinzipiell auch auf
den für ihn tätigen Scheinselbststän-
digen Anwendung.
Kann also auch der zusätzliche Mehr-
urlaub zeitlich unbegrenzt angesammelt
werden? Hier bietet sich ein Rückgriff
auf die BAG-Rechtsprechung bei der
Übertragung von Mehrurlaub an (BAG,
Urteil vom 14.2.2017, Az. 9 AZR 386/16).
Das BAG nimmt in diesen Fällen einen
Gleichlauf an, soweit eine eindeutige
Regelung zur Unterscheidung des ge-
setzlichen Mindesturlaubs und des
Mehrurlaubs fehlt. Entsprechendes dürf-
te wohl auch für den Mindest- und den
Mehrurlaub des Scheinselbstständigen
gelten. Ohne eindeutige Regelung dürf-
ten also auch etwaige Mehrurlaubsan-
sprüche des Scheinselbstständigen
zeitlich unbegrenzt übertragbar sein.
Zum anderen äußert sich der EuGH
nicht zu den Vergütungsansprüchen für
unbezahlte Urlaubszeiten. Im Ausgangs-
verfahren hatte der Kläger rückwirkend
auch Vergütung für Zeiten beansprucht,
in denen er unbezahlten Urlaub ge-
nommen hatte. Da ihm diese „Urlaubs-
vergütung“ bereits durch das nationale
Arbeitsgericht zugesprochen wurde, hat-
te sich der EuGH nicht mehr damit aus-
einanderzusetzen. Grundsätzlich sieht
der EuGH jedoch den Anspruch auf Frei-
stellung von der Arbeitspflicht und den-
jenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts
als zwei Aspekte eines einheitlichen An-
spruchs auf bezahlten jährlichen Min-
desturlaub an (Urteil vom 16.3.2006, Az.
C-131/04, „Robinson-Steele“).
Das BAG nimmt – dieser Rechtspre-
chung folgend – an, dass zur Erfüllung
des Urlaubsanspruchs nur eine bezahlte
Freistellung von der Arbeit geeignet ist
(BAG, Urteil vom 10.2.2015, Az. 9 AZR
455/13). Da eine unbezahlte Urlaubszeit
nicht beiden Aspekten Rechnung trägt,
dürfte hierin auch keine Erfüllung des
Urlaubsanspruchs liegen. Die Urlaubsan-
sprüche Scheinselbstständiger dürften
bei „unbezahlten Urlaubszeiten“ daher
wohl fortbestehen und ebenfalls zeitlich
unbegrenzt angesammelt werden.
Muss Arbeitgeber Urlaub festlegen?
Auch unter einem weiteren Gesichts-
punkt könnte nicht genommener und
somit vermeintlich verfallener Jahres-
urlaub zukünftig relevant werden. Nach
deutschem Recht ist der Arbeitgeber
bisher nicht verpflichtet, den Jahresur-
laub eines Arbeitnehmers selbstständig
festzulegen. Stellt der Arbeitnehmer
keinen Urlaubsantrag, so verfällt sein
Urlaubsanspruch mit Ablauf des Kalen-
derjahrs oder Übertragungszeitraums
(§ 7 Abs. 3 BUrlG).
Diese Rechtslage ist in der Vergan-
genheit vom EuGH bereits angegriffen
worden. So hatte der Gerichtshof ent-
schieden, dass der Anspruch auf be-
zahlten Jahresurlaub mit dem Tod des
Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsver-
hältnis nicht ersatzlos untergehen darf,
unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer
zuvor einen Urlaubsantrag gestellt hat-
te (Urteil vom 12.6.2014, Az. C-118/13,
„Bollacke“). Auch in seinem Urteil in der
Sache „King“ weist der EuGH darauf hin,
dass jedenfalls fehlende Urlaubsanträge
den Anspruch nicht ausschließen.
Nunmehr hat das BAG kürzlich dem
EuGH die Frage vorgelegt, ob eine Rege-
lung wie in § 7 BUrlG – danach verfällt
der Urlaubsanspruch ersatzlos, soweit er
nicht vom Arbeitnehmer beantragt wird
– gegen Unionsrecht verstößt und der Ar-
beitgeber verpflichtet ist, den Urlaub in
solchen Fällen von sich aus festzusetzen
(BAG, Vorlagebeschluss vom 13.12.2016,
Az. 9 AZR 541/15(A)). Sollte der EuGH
die Vorlagefrage bejahend entscheiden,
so hätte dies praktische Auswirkungen
unter anderem bei Kündigungsschutz-
prozessen. Der Arbeitgeber ist bisher
während eines Kündigungsschutzpro-
zesses nicht verpflichtet, von sich aus
Urlaub zu gewähren. Folglich schuldet
er bislang keinen Schadensersatz im
Falle der Nichtgewährung, wenn der Ar-
beitnehmer einen entsprechenden An-
trag auf Urlaubsgewährung unterlässt
(BAG, Urteil vom 13.12.2011, Az. 9 AZR
420/10). Dies könnte sich dann ändern.
Die aktuelle EuGH-Entscheidung in
Sachen „King“ und der Vorlagebeschluss
des BAG verdeutlichen also, dass im Be-
reich des Urlaubrechts das letzte Wort
noch lange nicht gesprochen ist. Prak-
tiker tun daher gut daran, sich hier auf
dem aktuellen Stand zu halten.
ASHKAN SALJOUGHI
ist
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht bei Ogletree
Deakins in Berlin.
Dem vom EuGH zu beurteilenden Fall lag ein Rechtsstreit aus Großbritannien zugrun-
de. Nach Renteneintritt verlangte ein Scheinselbstständiger, den genommenen und
nicht genommenen Urlaub für die gesamte Beschäftigungszeit zu vergüten.
Der Kläger, Herr King, war von 1999 bis 2012 als vermeintlich selbstständiger Verkäufer
für ein Unternehmen tätig. Soweit er Urlaub nahm, wurde dieser – wie es bei Selbst-
ständigen üblich ist – nicht vergütet. Nach Renteneintritt verlangte er vom Unterneh-
men die Zahlung einer Vergütung sowohl für die genommenen, aber nicht bezahlten
Urlaubszeiten, als auch für den nicht genommenen Jahresurlaub aus der gesamten
Beschäftigungszeit. Das nationale Arbeitsgericht stellte die Arbeitnehmereigenschaft
des Klägers und dessen Anspruch auf Vergütung für die unbezahlten Urlaubszeiten fest.
Der EuGH hatte nur noch darüber zu entscheiden, ob der von dem Kläger aufgrund der
fehlenden Vergütung tatsächlich nicht genommene Jahresurlaub als Urlaubsanspruch
entstanden ist und über die gesamte Dauer des Beschäftigungsverhältnisses angesam-
melt werden durfte (EuGH, Urteil vom 29.11.2017, Az. C-214/16, „King“).
Urlaub zeitlich unbegrenzt angesammelt
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