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02/18 personalmagazin
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Gegenstand eines zeitaufwendigen Vor­
abanfrageverfahrens beim EuGH gewe-
sen waren. Aufgrund von Anfragen des
BAG hatte der EuGH also bereits das
Problem von „dynamischen Bezugnah-
meklauseln“ auf die europarechtliche
Rechtmäßigkeit abgeklopft.
Der 4. Senat entschied daraufhin im
August, dass eine sogenannte „dyna-
mische Verweisung“ auf einen Tarif-
vertrag nicht alleine aufgrund eines
Betriebsübergangs ihre Dynamik ver-
liert. Der damit verbundenen „Ewig-
keitsbindung“ könne insoweit nur durch
eine einvernehmliche Änderung oder
eine wirksame Änderungskündigung
ein Ende bereitet werden. Der 6. Senat
legte im November noch einmal nach
und bestätigte eine solche Dynamik auch
Arbeitsvertrag vereinbarten Probezeit
gleichzeitig auf eine Abkürzung der
Kündigungsfristen für diese Zeit zu
schließen ist. Unter Auslegung des § 622
BGB wäre dies prinzipiell ein zulässiges
Ergebnis, da § 622 Abs. 3 BGB eine ver-
kürzte Frist von zwei Wochen als Folge
der Vereinbarung einer Probezeit vor-
sieht. Anders sah dies jedoch das BAG,
das auf die Sicht eines „durchschnitt-
lichen nicht rechtskundigen Arbeitneh-
mers“ verwies. Wenn der Arbeitgeber
im Arbeitsvertrag die generelle Kündi-
gungsfrist explizit beschreibe, so müs-
se er Abweichungen in der Probezeit
ebenfalls beziffern. Ein Verweis auf den
Manteltarifvertrag reiche nicht aus. Im
Ergebnis bedeutete dies, dass sich hier
der Arbeitgeber trotz vereinbarter Pro-
bezeit nicht auf die herkömmliche Aus-
legung des § 622 BGB berufen konnte
und das Arbeitsverhältnis trotz wirk-
samer Probezeitvereinbarung erst mit
der vertraglich allgemein vereinbarten
Frist von sechs Wochen zum Monatsen-
de kündigen durfte.
Der Oktoberfall stand dagegen unter
umgekehrten Vorzeichen. Hier hatten
die Arbeitsvertragsparteien eine beidsei-
tige Kündigungsfrist von drei Jahren ver-
einbart. Auch hier handelt es sich nach
der allgemeinen Auslegung des § 622
BGB zunächst um eine zulässige Ver-
tragsgestaltung. Auch hier hat das BAG
eine AGB-Kontrolle durchgeführt – und
die Unwirksamkeit einer derartig langen
Vereinbarung festgestellt. Zwar seien die
Vorgaben, dass eine beidseitige Verlän-
gerung der gesetzlichen Mindestkün-
digungsfristen möglich ist, prinzipiell
eingehalten. Laut BAG bestünde jedoch
eine unangemessene Beschränkung der
beruflichen Bewegungsfreiheit, da die
vereinbarte Frist wesentlich länger als
die gesetzliche Regelfrist sei.
Urteile vom 23.4. 2017, Az.6 AZR 705/15 und
26.10.2017, Az. 6 AZR 158/16
Auslegung II: zum Betriebsübergang
Wer einen Betrieb durch Rechtsgeschäft
übernimmt, der tritt grundsätzlich in
die von seinem Vorgänger eingegan-
genen Pflichten bezüglich der zu über-
nehmenden Mitarbeiter nach § 613a
BGB ein. Was aber ist, wenn im Arbeits-
vertrag mit dem Vorgänger auf einen
Tarifvertrag Bezug genommen wurde?
Muss dann der Übernehmer für immer
die Bestimmungen dieses Tarifvertrags
beachten oder sogar den Arbeitsvertrag
im Hinblick auf tarifliche Änderungen
laufend anpassen?
Dass mehr als ein halbes Jahrhundert
nach Inkrafttreten des § 613a immer
noch Streitfragen dazu bestehen, wur-
de vom BAG in zwei Entscheidungen
unterschiedlicher Senate erneut unter
Beweis gestellt. Die gemeinsame Be-
sonderheit bestand darin, dass die zu-
grunde liegenden Rechtsfragen schon
Auch im Jahr 2017 waren die Richter der unterschiedlichen BAG-Senate nicht immer
einer Meinung zu ein und derselben Rechtsfrage. Trotz dieser vordergründigen Diffe-
renzen war eine Entscheidung des Großen Senats nicht nötig.
Der 10. Senat befasste sich im Juni mit der Auslegung der Gewerbeordnung (GewO),
die in ihrer Ursprungsversion aus dem Jahr 1869 stammt – und damit aus einer Zeit
vor dem BGB. Bezüglich der darin seit 2002 zu findenden Definition des arbeitsrechtli-
chen Weisungsrechts (§ 106 GewO) kam es nun zu folgender Situation: Der 10. Senat
wollte in einer für die Praxis wichtigen Frage von der Rechtsauffassung des 5. Senats
abweichen. Dieser hatte nämlich die Auffassung vertreten, dass ein Arbeitnehmer auch
einer sogenannten unbilligen Weisung bis zur gerichtlichen Klärung zunächst folgen
müsse. Eigentlich, so sieht es § 45 Abs. 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) vor, ist
dies ein Fall, der den sogenannten Großen Senat auf den Plan ruft. Dieses Gremium des
BAG muss immer dann verbindlich entscheiden, wenn „ein Senat in einer Rechtsfrage
von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will“.
Das gleichwohl seit über 15 Jahren keine Entscheidung des Großen Senats notwendig
wurde, liegt allerdings nicht daran, dass es an unterschiedlichen Meinungen zwischen
den Senaten mangelt. Vielmehr geht dies auf die gesetzliche Vorgabe zurück, dass die
Senate zunächst zur internen Überzeugungsarbeit aufgefordert sind. Insoweit ist in §
45 Abs. 3 ArbGG zu lesen: „Eine Vorlage an den Großen Senat ist nur zulässig, wenn der
Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden
Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält.“ So kam es dann also
auch im Rechtsprechungsjahr 2017 zu einer derartigen fachlichen Einigung zwischen
den Senaten. Nachdem der 10. Senat im Juni per Anfragebeschluss die Auffassung über-
mittelt hat, man könne den § 106 GewO nicht mehr in der Art und Weise auslegen, wie
es der 5. Senat zuletzt im Jahre 2012 getan hatte, kam es im September dann zu einem
„Antwortbeschluss“ des 5. Senats. Darin erklärte dieser, an seiner bisherigen Auffassung
nicht mehr festhalten zu wollen. Damit war die Einsetzung des Großen Senats (wieder
einmal) obsolet.
Anfragebeschluss vom 14.6.2017, Az.10 AZR 330/16 und Beschluss vom 14.9.2017, Az. 5 AS 7/17
Großer Senat bleibt Phantomgremium
VERFAHREN
1...,47,48,49,50,51,52,53,54,55,56 58,59,60,61,62,63,64,65,66,67,...76
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