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RECHT
_RECHTSPRECHUNG
personalmagazin 02/18
für die Fälle, in denen ein „weltlicher“
Übernehmer mit Bezugnahmeklauseln
eines früheren kirchlichen Arbeitgebers
konfrontiert wird.
Urteile vom 30.8.2017, Az.4 AZR 95/14 und
23.11.2017, Az. 6 AZR 631 /15
Auslegung III: zur AGG-Beweislast
Mit der Berechtigung von Schadens-
ersatzansprüchen aus dem seit 2006
geltenden Allgemeinen Gleichbehand-
lungsgesetz (AGG) hat sich das BAG in
den vergangenen Jahren sehr häufig
auseinandersetzen müssen und dabei
eine ganze Vielzahl von einzelfallbezo-
genen Auslegungsergebnissen produ-
ziert. Insofern verwundert, dass es erst
jetzt zu einer speziellen Auseinander-
setzung über die Beweislastregel des §
22 AGG gekommen ist. Danach ist bei
Diskriminierungsverfahren für AGG-
Kläger eine erhebliche Beweiserleich-
terung vorgesehen. Nach dem Wortlaut
der Vorschrift reicht der Beweis von
„Indizien, die eine Benachteiligung we-
gen eines in § 1 genannten Grundes
vermuten lassen“, aus. Im Januar hat
der 8. Senat hier klargestellt, dass der-
artige Indizien nur die Beweislast um-
kehren, wenn sie mit „überwiegender
Wahrscheinlichkeit“ auf eine Benach-
teiligung schließen lassen. Der Vortrag
einer reinen „Möglichkeit“ sei insoweit
nicht ausreichend,
Urteil vom 26.1.2017, Az.8 AZR 736/15
Auslegung IV: zum Mindestlohn
Mit der Frage, ob Zulagen auf den ge-
setzlichen oder tariflichen Mindestlohn-
anspruch angerechnet werden können,
hatte sich das BAG schon in den Vor-
jahren mehrfach befasst. Gleichwohl
musste sich der 10. Senat im September
damit erneut auseinandersetzen. Denn
es war darüber zu entscheiden, wel-
chen Einfluss Zulagen auf die Höhe der
Entgeltfortzahlung beim Arbeitsausfall
wegen eines Feiertags haben. Die Ent-
scheidung lautete: Ein in der Feiertags-
vergütung zu berücksichtigender Nacht-
arbeitszuschlag muss auf der Basis des
gesetzlichen Mindestlohns berechnet
werden. Eine Berechnung auf der Basis
einer vertraglich niedrigeren Grundver-
gütung dürfe insoweit nicht erfolgen.
Urteil vom 20.9.2017, Az.10 AZR 171/16
Auslegung V: zu Datenerhebungen
Wie weit reichen die Möglichkeiten des
Arbeitgebers, eine technische Über-
wachung bei Arbeitnehmern durchzu-
führen? Mangels anderer gesetzlicher
Grundlagen musste der 2. Senat die
Frage anhand des in der Fachwelt als
lückenhaft bezeichneten Bundesdaten-
schutzgesetzes (BDSG) beantworten.
Entschieden wurde, dass der Einsatz
eines sogenannten Keyloggers – mit
dieser Software werden alle Tastaturein-
gaben verdeckt aufgezeichnet – nach §
32 Abs. 1 BDSG unzulässig ist, sofern
kein auf den Arbeitnehmer bezogener,
durch konkrete Tatsachen begründeter
Verdacht einer Straftat oder einer an-
deren schwerwiegenden Pflichtverlet-
zung besteht. Grundsatzcharakter hat
die Entscheidung deshalb, weil das BAG
die Folge eines solchen Verstoßes als
unzulässige Informationsgewinnung ge-
wertet hat. Das führt dazu, dass die auf
diese Weise erlangten Informationen ge-
richtlich nicht verwertet werden dürfen.
Urteil vom 27.8.2017, Az. 2 AZR 681/16
Auslegung VI: zum Wahlverfahren
Dass sich das BAG auch mit Zweifeln an
der Verfassungsmäßigkeit arbeitsrecht-
licher Normen befassen muss, zeigt eine
Entscheidung vom November. Das BAG
musste darüber befinden, ob das bei den
Betriebsratswahlen angewandte soge-
nannte d‘Hondtsche Zählverfahren mit
dem aus Art. 3 GG folgenden Grundsatz
der Gleichheit der Wahl beziehungswei-
se mit der Koalitionsfreiheit nach Art.
9 GG in Einklang zu bringen ist. Das
Ergebnis rettet die 2018 vorgesehenen
Betriebsratswahlen. Die Anwendung
des d‘Hondtschen Verfahrens, so die
knappe Begründung, sei eine Entschei-
dung, die in den „Gestaltungsraum des
Verordnungsgebers“ falle.
Beschluss vom 22.11.2017, Az. 7 ABR 35/16
Auch im Jahr 2017 hat das BAG nicht nur Entscheidungen getroffen. Einige offene
Streitfragen bleiben weiterhin ohne Kommentar aus Erfurt unbeantwortet.
„Sie sollten abwarten, bis sich das BAG zu dieser Frage grundsätzlich geäußert hat.“
Ein solcher Rat ist einerseits oft richtig, denn das Ergebnis eines Musterverfahrens lässt
die Erfolgsaussichten des eigenen Streitfalls wesentlich besser einschätzen, als dies bei
einer bisher höchstrichterlich noch nicht geklärten Grundsatzfrage der Fall ist. Insoweit
sind auch die Instanzgerichte in der Regel gerne bereit, den Prozess auszusetzen – wenn
ersichtlich ist, dass demnächst eine ähnliche Angelegenheit beim BAG entschieden
wird. Andererseits muss man jederzeit damit rechnen, dass die Beteiligten derartiger
Musterverfahren diese durch Rücknahme der Revision oder mitunter einvernehmlich
durch Vergleich oder Erledigungserklärung abbrechen. So geschehen auch im Rechtspre-
chungsjahr 2017: Vergeblich wartete die Fachwelt also auf Antworten
•
auf die Frage, inwieweit eine private Internetnutzung im Umfang von drei kompletten
Arbeitstagen innerhalb von zwei Monaten zur außerordentlichen Kündigung berechtigt
(AZ AZR 198/16). Hier haben die Parteien das Verfahren vergleichsweise beendet.
•
auf die Frage, ob geringfügig Beschäftigte von der betrieblichen Altersversorgung
ausgeschlossen werden können (Az. 3 AZR 83/16). Hier wurde die Rücknahme der
Revision erklärt.
Fachleute müssen weiter warten
AUSBLICK
THOMAS MUSCHIOL
ist
Rechtsanwalt im Arbeits- und
betrieblichen Sozialversiche-
rungsrecht in Freiburg.