PERSONALquarterly 2/2019 - page 48

PERSONALquarterly 02/19
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STATE OF THE ART
_ORGANISATIONSENTWICKLUNG
Diagnose und Beschreibung des spezifischen Problems erfolgs-
kritisch. Insbesondere das Phasenmodell nach Kotter (1995)
ignoriert diesen Punkt und fokussiert auf die Vermittlung
der Dringlichkeit einer Veränderung, wobei sich der positive
Einfluss dieses Aspektes empirisch nicht validieren lässt. Be-
schäftigte, die einen Veränderungsprozess als planvoll und
rational begründet ansehen, unterstützen die Veränderung
eher. Insgesamt sehen die Autoren einerseits eine substan-
zielle Übereinstimmung zwischen praktischen Empfehlungen
und empirischer Evidenz, andererseits aber auch zahlreiche
bislang nicht systematisch untersuchte Empfehlungen. Insbe-
sondere die Frage, welche negativen Konsequenzen aus dem
Überspringen einzelner Phasen resultieren, ist bislang nicht
hinlänglich untersucht.
Partizipation, Vision und Kommunikation als zentrale
Dimensionen der Organisationsentwicklung
Als kritischer Erfolgsfaktor für ein gelingendes OE-Projekt
wird in nahezu allen relevanten Change-Konzepten die Beteili-
gung der von der Änderung betroffenen Mitarbeiter genannt.
Die Kernthese lautet: Nur wenn die betroffenen Mitarbeiter in
einer sinnvollen Form an der Gestaltung der Veränderung be-
teiligt werden, füllen sie auch die Ergebnisse der Veränderung
angemessen und im besten Fall engagiert mit Leben. Eine be-
sondere sozialpsychologische Dynamik beleuchtet das Modell
des sog. „Not Invented Here“-Syndrom (NIH). NIH bezeich-
net die reflexhafte Ablehnung von Ideen, Innovationen und
Maßnahmen, die von außen an soziale Systeme (Individuen,
Gruppen und Organisationen) herangetragen werden. Dieser
psychologische Mechanismus, zum ersten Mal von Ralph Katz
und Thomas Allen (1982) beschrieben, ist in Veränderungspro-
zessen von wesentlicher Bedeutung und wird u. a. auch immer
wieder als Begründung der Notwendigkeit, Betroffene aktiv in
den Wandelprozess einzubeziehen, genannt. Die Evidenz die-
ser sozialen Dynamik wurde durch etliche empirische Studien
belegt (z. B. Antons et al., 2017). Dass Partizipation insbeson-
dere auch die Tendenz zu Reaktanz und Widerständen gegen
Veränderung signifikant verringert und dadurch das Commit-
ment der Mitarbeiter mit den Zielen des Veränderungspro-
jekts stärkt, zeigen weitere empirische Untersuchungen (Lines,
2004; Wagner, 2014). Die Erkenntnisse dieser Studien zeigen
damit deutlich, dass die Nichtbeteiligung von Betroffenen oder
gar eine „technokratische“ Exekution externer Erkenntnisse
imRahmen vonWandelprozessen zu Akzeptanzproblemen von
Entscheidungen führen können.
Ein weiteres zentrales Theorem in der Dynamik von organi-
sationalem Wandel ist das Phänomen einer geteilten Vision.
Shared Vision beschreibt ein gemeinsam getragenes emotional
attraktives Zukunftsbild der Organisation, das in der Lage ist,
viele Menschen zu motivieren und ein gemeinsames Ziel klar
vor Augen zu führen. Obwohl das Thema Vision seit vielen
Jahren zum Kanon aller bedeutenden Managementlehrbücher
gehört, haben nur wenige Forschungsstudien empirisch die
Auswirkungen einer gemeinsamen Vision auf Organisations-
wandel untersucht. Vor allem Richard Boyatzis, Professor für
Organizational Behavior an der Case Western Reserve Univer-
sity, hat die empirische Evidenz von gemeinsamen Visionen
über Jahrzehnte erforscht. In zahlreichen Untersuchungen wei-
sen er und seine Kollegen nach, dass eine gemeinsame Vision
in einem organisatorischen Kontext in der Lage ist, das En­
gagement und die Energien der Beteiligten deutlich positiv zu
beeinflussen (z. B. Jack et al., 2013). Zudem beleuchten aktuelle
Studien die Bedeutung der emotionalen Intensität einer sol-
chen gemeinsamen Vision als starken Antrieb zur Erreichung
von Unternehmenszielen im Rahmen eines Change-Prozesses
(Boyatzis et al., 2015).
Der Kommunikation kommt bei Veränderungsprozessen
in Unternehmen eine besondere Rolle zu. Sie gilt als ein Er-
folgsfaktor des Change Managements, der dazu beiträgt, einen
nachhaltigen Wandel zu ermöglichen. Zugespitzt formuliert
Bruhn: „Jede Veränderungsstrategie ist so gut wie das Konzept
zu ihrer Kommunikation.“ (Bruhn, 1995, S. 52). Change Com-
munication zielt demnach auf die Steigerung von Akzeptanz,
Motivation und Produktivität ab. Während die Bedeutung der
verbalen Kommunikation der Führungskräfte für die erfolg-
reiche Umsetzung organisatorischer Änderungen oft betont
wird, sind Belege hinsichtlich der tatsächlichen Dimensionen
der Veränderungskommunikation und der Reaktion der betrof-
fenen Mitarbeiter rar. Auch hier liefern einige aktuelle Studien
wichtige Einblicke in die Mechanismen der Veränderungskom-
munikation und belegen empirisch deren Bedeutung (Helpap/
Schinnenburg, 2018).
Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen
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Die empirische Literatur zur Organisationsentwicklung ist
umfangreich, basiert aber selten auf einer kontrollierten Me-
thodik. Zusammenfassungen liegen deshalb als qualitative
Reviews und nicht als quantitative Metaanalysen vor.
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Die bekannte Reaktionskurve ist – wie viele andere populäre
Change-Tools – empirisch nicht belegt und sollte in der be-
trieblichen Praxis nicht ohne eigenständige kritische Bewer-
tung der Risiken eingesetzt werden.
3
Die Vermittlung der Veränderungsdringlichkeit als erster
Schritt in einem Veränderungsprozess ist kritisch zu se-
hen. Zuvor sollte die Veränderungsnotwendigkeit unbedingt
durch eine umfassende rationale Diagnose geprüft werden.
3
Der Nutzen von Mitarbeiterbeteiligung, einer gemeinsamen
Vision sowie einer transparenten und offenen Change-Kom-
munikation als Kernelemente von Organisationsentwicklung
ist empirisch untersucht. Diese Change-Elemente können
als kritische Erfolgsfaktoren für das Gelingen von Verände-
rungsprojekten betrachtet werden.
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