PERSONALquarterly  02/19
        
        
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            STATE OF THE ART
          
        
        
          _ORGANISATIONSENTWICKLUNG
        
        
          Diagnose und Beschreibung des spezifischen Problems erfolgs-
        
        
          kritisch. Insbesondere das Phasenmodell nach Kotter (1995)
        
        
          ignoriert diesen Punkt und fokussiert auf die Vermittlung
        
        
          der Dringlichkeit einer Veränderung, wobei sich der positive
        
        
          Einfluss dieses Aspektes empirisch nicht validieren lässt. Be-
        
        
          schäftigte, die einen Veränderungsprozess als planvoll und
        
        
          rational begründet ansehen, unterstützen die Veränderung
        
        
          eher. Insgesamt sehen die Autoren einerseits eine substan-
        
        
          zielle Übereinstimmung zwischen praktischen Empfehlungen
        
        
          und empirischer Evidenz, andererseits aber auch zahlreiche
        
        
          bislang nicht systematisch untersuchte Empfehlungen. Insbe-
        
        
          sondere die Frage, welche negativen Konsequenzen aus dem
        
        
          Überspringen einzelner Phasen resultieren, ist bislang nicht
        
        
          hinlänglich untersucht.
        
        
          
            Partizipation, Vision und Kommunikation als zentrale
          
        
        
          
            Dimensionen der Organisationsentwicklung
          
        
        
          Als kritischer Erfolgsfaktor für ein gelingendes OE-Projekt
        
        
          wird in nahezu allen relevanten Change-Konzepten die Beteili-
        
        
          gung der von der Änderung betroffenen Mitarbeiter genannt.
        
        
          Die Kernthese lautet: Nur wenn die betroffenen Mitarbeiter in
        
        
          einer sinnvollen Form an der Gestaltung der Veränderung be-
        
        
          teiligt werden, füllen sie auch die Ergebnisse der Veränderung
        
        
          angemessen und im besten Fall engagiert mit Leben. Eine be-
        
        
          sondere sozialpsychologische Dynamik beleuchtet das Modell
        
        
          des sog. „Not Invented Here“-Syndrom (NIH). NIH bezeich-
        
        
          net die reflexhafte Ablehnung von Ideen, Innovationen und
        
        
          Maßnahmen, die von außen an soziale Systeme (Individuen,
        
        
          Gruppen und Organisationen) herangetragen werden. Dieser
        
        
          psychologische Mechanismus, zum ersten Mal von Ralph Katz
        
        
          und Thomas Allen (1982) beschrieben, ist in Veränderungspro-
        
        
          zessen von wesentlicher Bedeutung und wird u. a. auch immer
        
        
          wieder als Begründung der Notwendigkeit, Betroffene aktiv in
        
        
          den Wandelprozess einzubeziehen, genannt. Die Evidenz die-
        
        
          ser sozialen Dynamik wurde durch etliche empirische Studien
        
        
          belegt (z. B. Antons et al., 2017). Dass Partizipation insbeson-
        
        
          dere auch die Tendenz zu Reaktanz und Widerständen gegen
        
        
          Veränderung signifikant verringert und dadurch das Commit-
        
        
          ment der Mitarbeiter mit den Zielen des Veränderungspro-
        
        
          jekts stärkt, zeigen weitere empirische Untersuchungen (Lines,
        
        
          2004; Wagner, 2014). Die Erkenntnisse dieser Studien zeigen
        
        
          damit deutlich, dass die Nichtbeteiligung von Betroffenen oder
        
        
          gar eine „technokratische“ Exekution externer Erkenntnisse
        
        
          imRahmen vonWandelprozessen zu Akzeptanzproblemen von
        
        
          Entscheidungen führen können.
        
        
          Ein weiteres zentrales Theorem in der Dynamik von organi-
        
        
          sationalem Wandel ist das Phänomen einer geteilten Vision.
        
        
          Shared Vision beschreibt ein gemeinsam getragenes emotional
        
        
          attraktives Zukunftsbild der Organisation, das in der Lage ist,
        
        
          viele Menschen zu motivieren und ein gemeinsames Ziel klar
        
        
          vor Augen zu führen. Obwohl das Thema Vision seit vielen
        
        
          Jahren zum Kanon aller bedeutenden Managementlehrbücher
        
        
          gehört, haben nur wenige Forschungsstudien empirisch die
        
        
          Auswirkungen einer gemeinsamen Vision auf Organisations-
        
        
          wandel untersucht. Vor allem Richard Boyatzis, Professor für
        
        
          Organizational Behavior an der Case Western Reserve Univer-
        
        
          sity, hat die empirische Evidenz von gemeinsamen Visionen
        
        
          über Jahrzehnte erforscht. In zahlreichen Untersuchungen wei-
        
        
          sen er und seine Kollegen nach, dass eine gemeinsame Vision
        
        
          in einem organisatorischen Kontext in der Lage ist, das En
        
        
          gagement und die Energien der Beteiligten deutlich positiv zu
        
        
          beeinflussen (z. B. Jack et al., 2013). Zudem beleuchten aktuelle
        
        
          Studien die Bedeutung der emotionalen Intensität einer sol-
        
        
          chen gemeinsamen Vision als starken Antrieb zur Erreichung
        
        
          von Unternehmenszielen im Rahmen eines Change-Prozesses
        
        
          (Boyatzis et al., 2015).
        
        
          Der Kommunikation kommt bei Veränderungsprozessen
        
        
          in Unternehmen eine besondere Rolle zu. Sie gilt als ein Er-
        
        
          folgsfaktor des Change Managements, der dazu beiträgt, einen
        
        
          nachhaltigen Wandel zu ermöglichen. Zugespitzt formuliert
        
        
          Bruhn: „Jede Veränderungsstrategie ist so gut wie das Konzept
        
        
          zu ihrer Kommunikation.“ (Bruhn, 1995, S. 52). Change Com-
        
        
          munication zielt demnach auf die Steigerung von Akzeptanz,
        
        
          Motivation und Produktivität ab. Während die Bedeutung der
        
        
          verbalen Kommunikation der Führungskräfte für die erfolg-
        
        
          reiche Umsetzung organisatorischer Änderungen oft betont
        
        
          wird, sind Belege hinsichtlich der tatsächlichen Dimensionen
        
        
          der Veränderungskommunikation und der Reaktion der betrof-
        
        
          fenen Mitarbeiter rar. Auch hier liefern einige aktuelle Studien
        
        
          wichtige Einblicke in die Mechanismen der Veränderungskom-
        
        
          munikation und belegen empirisch deren Bedeutung (Helpap/
        
        
          Schinnenburg, 2018).
        
        
          
            Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen
          
        
        
          3
        
        
          Die empirische Literatur zur Organisationsentwicklung ist
        
        
          umfangreich, basiert aber selten auf einer kontrollierten Me-
        
        
          thodik. Zusammenfassungen liegen deshalb als qualitative
        
        
          Reviews und nicht als quantitative Metaanalysen vor.
        
        
          3
        
        
          Die bekannte Reaktionskurve ist – wie viele andere populäre
        
        
          Change-Tools – empirisch nicht belegt und sollte in der be-
        
        
          trieblichen Praxis nicht ohne eigenständige kritische Bewer-
        
        
          tung der Risiken eingesetzt werden.
        
        
          3
        
        
          Die Vermittlung der Veränderungsdringlichkeit als erster
        
        
          Schritt in einem Veränderungsprozess ist kritisch zu se-
        
        
          hen. Zuvor sollte die Veränderungsnotwendigkeit unbedingt
        
        
          durch eine umfassende rationale Diagnose geprüft werden.
        
        
          3
        
        
          Der Nutzen von Mitarbeiterbeteiligung, einer gemeinsamen
        
        
          Vision sowie einer transparenten und offenen Change-Kom-
        
        
          munikation als Kernelemente von Organisationsentwicklung
        
        
          ist empirisch untersucht. Diese Change-Elemente können
        
        
          als kritische Erfolgsfaktoren für das Gelingen von Verände-
        
        
          rungsprojekten betrachtet werden.