PERSONALquarterly 2/2019 - page 46

PERSONALquarterly 02/19
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STATE OF THE ART
_ORGANISATIONSENTWICKLUNG
S
eit mehr als drei Jahrzehnten hat sich Organisati-
onsentwicklung (OE) auch außerhalb eingeweihter
wissenschaftlicher Zirkel als Konzeptgrundlage für
praktisches „Change Management“ etabliert. Aktuell
forcieren hektische Entwicklungen auf den gesellschaftlichen,
politischen und (welt-)wirtschaftlichen Bühnen und eine zu-
nehmende Komplexität im Management von Organisationen
die Dringlichkeit von Wandel und Entwicklung. Digitale Trans-
formation, VUCA und Disruption sind omnipräsente Schlag-
worte auf HR-Konferenzen. Der aktuelle Büchermarkt ist – vor
diesem Hintergrund nicht zufällig – voll von Werken zur OE.
Das Thema boomt. Und neben Organisationsforschern und
Arbeitspsychologen verarbeiten auch viele Organisationsbera-
ter ihre Praxiserfahrungen in Publikationen. Viele kluge und
sinnvolle Impulse sind in den vergangenen Jahren aus diesen
Reflexionen von OE-Praktikern gekommen. Dazu gesellen sich
Bücher, die das Handwerk des Veränderungsmanagements im
Stil von Manualen beschreiben und sich als Anleitungslitera-
tur für Manager oder Berater verstehen. Das Spektrum reicht
von wissenschaftlich-theoretischen Analysen ohne erkenn-
bare Anwendungsrelevanz bis hin zu Praxishandbüchern mit
wenig theoretischem Fundament. OE ist keine wissenschaft-
liche Grundlagendisziplin, wie etwa Astrophysik, sondern
ein Konzept-Amalgam anwendungsorientierter sozialwissen-
schaftlicher Erkenntnisse, dessen wesentliche Bedeutung erst
im Spannungsfeld zwischen theoretischem Hintergrund und
praktischer Anwendung zum Tragen kommt.
Diese Heterogenität der empirischen Fundierung ist nicht
zufällig, sondern zeigt sich schon bei den Klassikern der Or-
ganisationsentwicklung (detaillierter: Gairing, 2017). Kurt
Lewin verfolgte noch einen am kontrollierten Experiment ori-
entierten Forschungsansatz. Die Ergebnisse erlauben somit
kausale Aussagen zur Effektivität von Veränderungsinter-
ventionen. Im Rahmen der Aktionsforschung war dies jedoch
mit dem unmittelbaren Interesse an der Verbesserung der
realen Beschäftigungsbedingungen verbunden, wodurch der
Anspruch solider empirischer Forschung durch kontrollierte
Bedingungen kaum erfüllt werden konnte. John Paul Kotter
(1995) begründete das einflussreiche 8-Stufen-Change-Modell
mit seiner umfangreichen Beratungserfahrung, die Interpre-
tation der Erfolgsfaktoren bleibt somit letztlich subjektiv. Bei
den zahlreichen Tools, die zur effektiven Veränderung vorge-
schlagen werden, wird in der Regel gar nicht mehr der Versuch
unternommen, eine substanzielle empirische Fundierung jen-
seits von Plausibilität und Anwendbarkeit herzustellen. Eric
Barends und Kollegen (2014) unternehmen eine Sichtung und
Bewertung der umfangreichen empirischen Studien zur Or-
ganisationsentwicklung. Von den insgesamt betrachteten 563
Einzelstudien finden sich nur elf kontrollierte Experimente
(randomized control trials; RCT). Die Mehrzahl der Studien
sind Fallstudien (263) und Querschnittsbefragungen (175) (Ba-
rends et al., 2014, S. 10). Für den Praktiker ergibt sich hier
die Schwierigkeit, zwischen evidenzbasierten Konzepten und
reiner Meinung zu unterscheiden. Für die Forschung folgt da-
raus, dass quantitative Metastudien weitgehend fehlen und
die Synthese der Forschungsergebnisse eher auf qualitativen
Reviews basiert.
Vor diesem Hintergrund wollen wir uns aus dem umfang-
reichen Themenfeld Organisationsentwicklung insbesondere
folgenden Fragen zuwenden: (1) Wie reagieren Beschäftigte
auf Veränderungen? Ausgangspunkt ist hierbei die Verände-
rungs-/Reaktionskurve, die exemplarisch für vereinfachende
und weit verbreitete Change-Theoreme und Tools stehen soll.
(2) Welche Evidenz spricht für Phasenmodelle der Veränderung
wie z. B. das 8-Stufenmodell von Kotter? Hierbei konzentrieren
wir uns insbesondere auf den aktuellen qualitativen Review
von Jeroen Stouten und Kollegen (2018), die eine Synthese
aus praxisorientierter Managementliteratur und belastbarer
empirischer Forschung anstreben. Darauf aufbauend wenden
wir uns abschließend (3) den drei essenziellen OE-Merkmalen
Partizipation, Vision und Kommunikation zu.
Reaktion Beschäftigter auf Veränderungen
Gibt es eine typische Reaktionskurve der Betroffenen in
Veränderungsprojekten? In der Tat ergeben Längsschnittun-
tersuchungen von Onboarding-Prozessen, dass sich die Ein-
stellungen im Zeitverlauf systematisch verändern. Allerdings
zeigt sich empirisch kein für alle erfolgsrelevanten Einstel-
lungen typischer Verlauf. Vielmehr ist der Kurvenverlauf
spezifisch abhängig von der jeweils betrachteten abhängigen
Von
Prof. Dr. Fritz Gairing
(Hochschule Pforzheim) und
Prof. Dr. Heiko Weckmüller
(Hochschule Koblenz)
Erfolgreiche Ansätze zur Steuerung von
organisationalen Veränderungsprozessen
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