PERSONALquarterly 2/2019 - page 54

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SERVICE
_DIE FAKTEN HINTER DER SCHLAGZEILE
PERSONALquarterly 02/19
G
eld ist ein schönes Vorweihnachtsthema. Das muss
sich auch die Redaktion des Südkurier gedacht
haben, als sie im Dezember vergangenen Jahres
titelte: „Über Geld spricht man nicht! Oder doch?“
ehaltsstatistiken und Befragungsergebnisse bewahren die
Anonymität. Auch die Augsburger Allgemeine widmet sich den
Entgeltunterschieden zwischen Bundesländern, Generationen
und Geschlechtern in der Gehaltshöhe und füllte im August
2018 sehr elegant das Sommerloch mit dem Thema Einkom-
men: „Geheimnis Gehalt: Warum transparente Löhne umstrit-
ten sind“. Beide Blätter bezogen sich auch auf eine Befragung,
die die Unternehmensberatung Ernst & Young schon zu Beginn
des Jahres 2018 veröffentlichte. Beschäftigte wurden im Zu-
sammenhang mit dem Entgelttransparenzgesetz online nach
dem offenen Umgang mit ihren persönlichen Gehaltssummen
befragt. Das Ergebnis: Zum einen wussten nur 36 Prozent der
Teilnehmer und Teilnehmerinnen, was ihre Büronachbarin
oder der unmittelbare Kollege monatlich nach Hause trägt,
zum anderen wollten 56 Prozent der Befragten es auch gar
nicht wissen. Die Befürchtung: Transparente Gehälter würden
nur den Neid schüren.
Die Entwicklung zu mehr Gehaltstransparenz mit all ihren
Unwägbarkeiten steckt in Deutschland tatsächlich imVergleich
zu Schweden und Norwegen erst in den Kinderschuhen. Dank
wenig Neugierde auf der einen Seite und Verschwiegenheit
auf der anderen Seite wird das Thema hierzulande nicht allzu
sehr forciert. Auch das Entgelttransparenzgesetz, das gut ge-
meint die Diskriminierung mindern soll, hat seit dem Sommer
2017 daran wenig geändert. Doch immerhin wählt die Frank-
furter Allgemeine Zeitung am 16.2.2019 die Überschrift „Wie
erfahre ich, was meine Kollegen verdienen?“ – und gibt im
Vorspann die Antwort: „Wer mutig ist, fragt den Betriebsrat.“
Auch Wissenschaftler studieren die Vor- und Nachteile des
offenen Umgangs mit Gehaltshöhen. Unbestritten ist: Intrans-
parenz jedenfalls gibt dem Chef die Informationsmacht, die
er strategisch-taktisch bei Gehaltsverhandlungen und Neuein-
stellungen nutzen kann. Mitarbeiter können die genannten
Zahlen nicht überprüfen, sind also zu einem Loyalitätsbeweis
verpflichtet. Erst Offenheit in Gehaltsfragen scheint dieses Un-
gleichgewicht zu beheben.
Wann das eigene Gehalt im Vergleich zu Kollegen als gerecht empfunden wird, beant-
worten Forscher differenziert. Gerade in Deutschland sind Gehälter noch immer tabu.
Gebremste Neugierde
Doch für Jürgen Weibler, der an der Fernuniversität Hagen
Personalführung und Organisation lehrt, wird Transparenz al-
lein nicht zu einem Gefühl der Gerechtigkeit führen. „Ob der
innere Frieden gestört und Unfrieden gesät wird oder die Zu-
friedenheit steigt, hängt nicht zuletzt davon ab, wie die Gehälter
der anderen imVergleich zum eigenen Entgelt wahrgenommen
werden“, sagt der Forscher. Und das ist keinesfalls eine Frage
der schieren Summe. Was weiß man über die Arbeit des ande-
ren – über seinen Einsatz, seine Effizienz oder sein Glück bei
den Ergebnissen? Es braucht weitaus mehr Information über
die Zusammensetzung von Gehältern, um die Einschätzung
versachlichen zu können. „Die erzwungene Transparenz in Ge-
schäftsberichten sagt wenig über die Kultur des Hauses aus“,
so Weibler. „Und auch das Entgelttransparenzgesetz funktio-
niert nicht wie gewünscht, weil unter anderem die verpflich-
tende Auskunft erst mit vielen Erläuterungen aussagekräftig
würde und sich erst dadurch die eigene Positionierung besser
einordnen ließe.“
Mit transparenten Kriterien Ungerechtigkeiten zementieren
Das heikle Thema Gehaltstransparenz basiert für Weibler
„zuvorderst auf der Crux der Leistungsbewertung“. Der Be-
triebswirtschaftsprofessor schreibt in seinem Newsletter Lea-
dership Insiders: „Die Leistungsbemessung besitzt nicht den
objektiven Charakter, der ihr gerne zugeschrieben wird. Es ist
letztendlich eine Setzung, empirisch betrachtet meistens eine
einseitige, die nach Möglichkeit in eine beidseitige überführt
werden sollte.“ Denn man könne auch mit komplett transpa-
renten Kriterien Ungerechtigkeiten zementieren – etwa wenn
Vollzeit und eine fixe Anzahl von Berufsjahren als Kriterien für
eine Beförderung festgelegt werden, wodurch viele weibliche
Führungskräfte faktisch ausgeschlossen werden. Gespräche
zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter müssen deshalb in
gegenseitiger Wertschätzung und mit dem Ziel einer Verstän-
digung geführt werden. „Gelingt dies, dann ist der häufig mit-
schwingende Vorwurf der Willkür vom Tisch, die Legitimation
erhöht und die individuelle Akzeptanz wahrscheinlich.“
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auf ganz anderen We-
gen auch Peter Werner, Associate Professor an der Universität
Maastricht. Der Verhaltensökonom beobachtet den europawei-
Ruth Lemmer
, Freie Wirtschaftsjournalistin in Duisburg
1...,44,45,46,47,48,49,50,51,52,53 55,56,57,58,59,60
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