PERSONALquarterly 2/2019 - page 47

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Variablen wie z. B. Rollenklarheit oder Selbstwirksamkeit
sowie der Ausgangssituation der Newcomer vor dem Stellen-
wechsel (Bauer et al., 2011). Bei einem Veränderungsprozess
muss demnach bei unterschiedlichen Mitarbeitergruppen je
nach individueller Arbeitssituation sowie Grad und Ausmaß
der Betroffenheit von sehr unterschiedlichen Kurvenverläu-
fen und letztlich von sich bezüglich der Zeitlichkeit vielfach
überlagernden Reaktionskurven der verschiedenen Stakehol-
der ausgegangen werden. Der Umgang mit Widerständen gilt
als eines der zentralen Elemente der OE. Im bekannten Lehr-
buch von Dietmar Vahs (2012) werden einerseits grundlegende
Personentypen des Wandels (u. a. Visionäre, Opportunisten,
Emigranten) unterschieden. Darüber hinaus wird der zeitliche
Verlauf der Mitarbeiterreaktionen im Kontext eines Verän-
derungsprozesses aufgezeigt (Vahs, 2012, S. 368), wobei die
„wahrgenommene persönliche Kompetenz“ als unabhängige
Variable im Zeitverlauf betrachtet wird. Auf der Basis dieser
typischen Reaktionskurve werden dann entweder Handlungs-
empfehlungen vorgeschlagen oder aber der Kurvenverlauf wird
als weitgehend stabil vorgestellt und es geht im Wesentlichen
darum, möglichst schnell die einzelnen Phasen zu durchlau-
fen. Jenseits der unmittelbaren Plausibilität bleibt unklar, auf
welchem empirischen Fundament diese Kurvendarstellung
beruht. Als Quelle dient häufig und auch bei Vahs eine Veröf-
fentlichung von Richard K. Streich aus dem Jahr 1997. Streich
verweist als empirische Basis für die Veränderungsphasen auf
„Erkenntnisse und Ergebnisse einer europaweiten Leadership-
Study eines weltweit operierenden Konzerns“ (Streich 1997,
S. 241), die nicht näher spezifiziert oder ausgeführt wird. Ei-
ne Reaktionskurve, die insgesamt sieben Phasen unterschei-
det, müsste auf einer Längsschnittuntersuchung basieren, bei
der die Einstellung zur Veränderung an mindestens sieben
unterschiedlichen Zeitpunkten gemessen wurde. Es ist eher
unwahrscheinlich, dass die angeführte Studie dieses Quali-
tätsmerkmal erfüllt. Darüber hinaus liefert Streich (1997)
weitere Einzelbeispiele für die Reaktionsphasen, wie z. B. die
Veränderung bei einem Stellenwechsel. Eine grundlegende Ge-
setzmäßigkeit des Ablaufs und der Chronologie eines Verände-
rungsprozesses – entsprechend einer „Change-Kurve“ – kann
damit nicht begründet werden.
Lassen sich dennoch typische Reaktionsmuster der Beschäf-
tigten auf Veränderungen nachweisen und von welchen Fak-
toren hängen diese Reaktionen ab? Dieser Frage wird in einer
qualitativen Synthese der vorliegenden empirischen Studien
nachgegangen (Oreg et al., 2011), wobei die Autoren insbe-
sondere die Bedeutung von Vertrauen und einer vertrauens-
basierten Unternehmenskultur hervorheben. Darüber hinaus
reagieren Beschäftigte unterschiedlich auf Veränderungen,
wobei eine interne Kontrollüberzeugung („internal locus of
control“), die Selbstwirksamkeitsüberzeugung und eine gene-
relle positive Grundhaltung („positive affectivity“) positiv auf
die Veränderungsbereitschaft wirken. Die Autoren schließen
daraus, dass die gezielte Auswahl von Change Agents und Mul-
tiplikatoren auf Basis dieser Eigenschaften den Veränderungs-
prozess fördert.
Evidenz zum Stufenmodell der Organisationsentwicklung
Ausgehend von Kurt Lewin wurden vielfältige Phasen- oder
Stufenmodelle der Veränderung entwickelt. Deren Gemein-
samkeit ist die Annahme, dass nur ein strukturiertes Ver-
änderungsmanagement entlang systematisch aufeinander
aufbauender Prozessschritte zum gewünschten Erfolg führt.
Die Vielzahl der am Markt befindlichen Modelle ist aktuell
kaum noch zu überblicken, wobei sich jedoch die einzelnenMo-
delle gut ineinander überführen lassen (Al-Haddad/Kotnour,
2015). Vor diesem Hintergrund unternehmen Jeroen Stouten,
Denise M. Rousseau und David De Cremer (2018) den Versuch,
die empirische Evidenz zur Relevanz der einzelnen Phasen zu
bewerten. Dabei bedienen sie sich einerseits der explizit auf
Organisationsveränderungen ausgerichteten Literatur, greifen
aber auch auf Analogieschlüsse aus anderen vergleichbaren
Themengebieten zurück (z. B. strategisches Management zur
Kommunikation einer Vision). Die wesentlichen Ergebnisse
sind in Abbildung 1 dargestellt. In einer ersten Phase ist die
Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Stouten et al. (2018)
Stufenorientierte Praxisempfehlung
Empirische
Evidenz
Erzeugen eines Gefühls der Dringlichkeit
(statt sorgfältiger Analyse der Rahmenbedingungen)
Aufbau einer Führungskoalition
0
Formulierung einer klaren, überzeugenden Vision
0/+
Kommunikation der Vision
+
Empowerment und Partizipation der Beschäftigten
+
Aufbau von veränderungsbezogenen Kompetenzen
+
Quick Wins
0/+
Kontinuierliche Erfolgskontrolle und Anpassung
+
Abb. 1:
Relevanz der einzelnen Phasen in Kotters
8-Stufenmodell
+: Empfehlung bestätigt; –: Empfehlung nicht bestätigt;
0: Keine hinreichende Evidenz vorhanden
1...,37,38,39,40,41,42,43,44,45,46 48,49,50,51,52,53,54,55,56,57,...60
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