PERSONALquarterly 2/2019 - page 56

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_FORSCHERPORTRÄT
PERSONALquarterly 02/19
Praxisrelevant forschen
Florian Englmaier sieht in der Vernetzung von Daten Chancen für die Forschung und die
Unternehmenspraxis: Es können Wirkungszusammenhänge herausgefiltert werden.
Ruth Lemmer,
Freie Wirtschaftsjournalistin in Duisburg
D
ie Ludwig-Maximilians-Universität München
(LMU) hat ihn wieder – ihren Volkswirtschaftsstu-
denten Florian Englmaier aus den Jahren 1996 bis
2000. Jetzt lehrt der 44-Jährige an der Volkswirt-
schaftlichen Fakultät Organisationsökonomik. Zwischen dem
Diplom und der Annahme des Rufs auf den Organisations­
ökonomik-Lehrstuhl 2013 durchwanderte Englmaier als Wis-
senschaftler und Hochschullehrer Stationen in Deutschland,
Großbritannien und den USA. Während er an seiner Disser-
tation über Anreizsysteme arbeitete, wurde der Jungforscher
Marie Curie Fellow am University College London. Nach der
Promotion an der LMU ging es als Postdoc wieder nach Lon-
don, von dort nach Harvard und Stanford. Doch Florian Engl­
maier, der in Rosenheim geboren wurde, verlor den Kontakt
zu seiner Heimatuniversität nicht. 2007 kam er zurück an
die LMU und wurde Juniorprofessor für Organisationsökono-
mik bei den Wirtschaftswissenschaftlern. Nach einer kurzen
US-Visite als Gastwissenschaftler an der Kellogg School of
Management in der Northwestern University übernahm Pro-
fessor Englmaier 2011 den Organisationsökonomik-Lehrstuhl
an der Universität Konstanz und 2012 den neu eingerichteten
Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Vertrags- und Informati-
onsökonomik an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät
der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Seine Antritts-
vorlesung hielt er über das Wettbewerbsthema „Suchkosten
und beschränkte Rationalität in Internetmärkten“ auf der Ba-
sis von Daten zu 80.000 Gebrauchtwagen.
Wellen der Technologie beschleunigen die (Arbeits-)Welt
Das Erlangen und Untersuchen großer Datenmengen im Zuge
der Digitalisierung faszinieren den Ökonomen – auf dem
Markt wie in der Arbeitswelt. „Unser Fach muss die Digitalisie-
rung der Wirtschaft erforschen“, sagt Englmaier. „Wir müssen
Entwicklungen mit Argumenten unterfüttern oder widerlegen
und so unseren Forschungsbeitrag leisten.“ Onlinebasier-
te Arbeitsmodelle werden ein wichtiges Thema. Was ändert
sich, wozu nutzt die Veränderung? Als historisch interessier-
ter Ökonom betrachtet der Hochschullehrer die Wellen der
Technologien, die von der Erfindung des Telegraphen bis zum
Einsatz von Facebook die (Arbeits-)Welt beschleunigen und
umkrempeln. „Die Welt wird kleiner und komplexer“, so Eng-
lmaier. „Internationale Teams rücken zusammen.“ Wie diese
Arbeitszusammenhänge erfolgreich gestaltet werden können,
welche Konflikte bremsen und welche Missionen antreiben,
gilt es zu erforschen – und wenn möglich, sollten allgemein-
gültige Erkenntnisse extrahiert werden. Dazu gehört es auch,
die Arbeitsteilung über Plattformen zu hinterfragen sowie die
Kommunikation und die Führungs- und Motivationskonzepte.
Unternehmen wie die Fahrdienste Uber oder Lyft treiben die
Veränderung in der Arbeitswelt voran. Den Auswirkungen
und ihren Zusammenhängen müssen sich Wirtschaftswissen-
schaftler widmen.
Die verbesserte Verfügbarkeit von Unternehmens- und Perso-
naldaten sowie die steigende Leistungsfähigkeit der IT-Systeme
können, so seine Überzeugung, Korrelationen aufdecken und
stichhaltige Prognosen ermöglichen. People Analytics birgt für
ihn die Chance, alte Fragen „granularer zu betrachten“ und so
eine nachhaltige Personalpolitik zu befördern. Um der Antwort
näherzukommen, welche Anreize Wirkung erzielen, können
digital Anreizschemata mit enorm vielen Variablen gekoppelt
und erprobt werden. Dysfunktionalität, allgemeines Wohlbefin-
den oder Kontrollverlust sind nur einige Effekte, die so präziser
erforscht werden können. Der Professor will eine Brücke schla-
gen zwischen Forschung und digitalisierter Wirtschaftspraxis
– zum einen durch die Nutzung vorhandener Datensätze, zum
anderen durch die Übertragung weiterhin relevanter Fragestel-
lungen auf datenanalytische Methoden. Ganz praktisch lautet
etwa eine seit Jahren interessante Frage: Arbeiten Menschen
auch dann engagiert, wenn sie nicht überwacht werden? Be-
fragungen und Laborexperimente werden als Methoden durch
die digitale Technik erweitert. So können etwa Screenshots
im 10-Minuten-Abstand zeigen, ob einer spielt, Filme guckt
oder tatsächlich arbeitet, während er vor dem PC im Büro sitzt.
„Hochqualitative Forschung muss praxisrelevant sein“, betont
Florian Englmaier. „So bleiben wir als Forscher relevant.“ Der
wunde Punkt seiner Profession, dass Volkswirte die Finanzkri-
se nicht voraussahen, beschäftigt ihn – auch wenn er diese spe-
zielle Kritik für ungerecht hält. Nobelpreisträger Oliver Hart,
der innerhalb von nur vier Wochen ein Handlungskonzept für
bankrotte Banken publizierte, imponiert ihm.
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