16
PERSONALquarterly 02/18
SCHWERPUNKT
_GESUNDHEIT
P
sychische Erkrankungen sind Volkskrankheiten: In
der Allgemeinbevölkerung leiden etwa 30% der Men
schen an einer psychischen Erkrankung (Wittchen et
al., 2011). Am häufigsten sind dabei sogenannte affek
tive Erkrankungen (Stimmungserkrankungen) und Angster
krankungen. Sie werden nur äußerst selten durch bestimmte
Lebensereignisse „verursacht“, sondern es handelt sich um
chronische Erkrankungen, die meist lebenslang bestehen.
Menschen mit psychischen Erkrankungen haben Probleme in
der Lebensbewältigung, insbesondere in Lebensbereichen, die
wenig Toleranz für Normabweichungen haben, wie etwa am
Arbeitsplatz. So zeigte sich in einer Untersuchung (Muschal
la/Vilain/Lawall/Lewerenz/Linden, 2012), dass Menschen
mit psychischen Problemen Beeinträchtigungen im Freizeit
bereich, im sozialen Umfeld oder bei der Haushaltsführung
haben, jedoch auch, dass sich Beeinträchtigungen am stärksten
im Bereich der Arbeit zeigen.
Arbeitsängste sind spezifische, auf die Arbeit bezogene Ängs
te (Muschalla/Linden 2013). Sie kommen häufig bei Menschen
vor, die an psychischen Erkrankungen leiden. Arbeitsängste
können (seltener) auch bei ganz gesunden Menschen auftre
ten, etwa nach einem äußerst erschreckenden Ereignis bei der
Arbeit. Wenn Arbeitsängste krankheitswertig werden, sind sie
im Vergleich zu „herkömmlichen psychischen Erkrankungen“
besonders fatal, da sie häufig mit langer Arbeitsunfähigkeit
einhergehen.
Macht Arbeit Angst?
Arbeit ist auf der einen Seite eine wichtige Ressource im Leben,
die für viele Menschen nicht nur Lohnerwerb, sondern auch so
ziale Einbindung, Anerkennung und Identitätsstiftung bedeu
tet (Muschalla, 2015). Arbeit macht an sich nicht krank. Von
psychischen Problemen Betroffene haben in der Regel ihr gan
zes Leben lang Probleme in verschiedenen Lebensbereichen
(Stansfeld/Clark/Caldwell/Canner/North/Marmot, 2008).
Es gibt jedoch an Arbeitsplätzen naturgemäß eine Reihe von
Faktoren, die Ängste forcieren können – bei Gesunden und vor
allem bei Menschen mit psychischen Erkrankungen. Diese „Be
drohungsfaktoren“ sind z.B. Rivalitäten und Rangkämpfe un
ter Kollegen, sanktionierende und überwachende Vorgesetzte,
Arbeitsangst und Arbeitsfähigkeitsbeein-
trächtigung – (Wie) kann Führung vorbeugen?
Von
Prof. Dr. Beate Muschalla
(SRH Hochschule für Gesundheit)
Mitarbeiterranking, Computer-Monitoring von Mitarbeitern,
Unfallgefahren sowie Ungewissheiten, was an betrieblichen
Neuerungen auf einen zukommen mag (Muschalla/Linden,
2013; Muschalla, 2015).
Gelegentlich Anspannung oder ein flaues Gefühl in man
chen Arbeitssituationen zu verspüren, ist normal. Problema
tisch werden Arbeitsängste, wenn sie dazu führen, dass der
Betroffene Arbeitssituationen oder -aufgaben vermeidet oder
bei der Arbeit durch Fehler und Daueranspannung auffällt
und schließlich ausfällt. Insbesondere wenn es zu einer Krank
schreibung kommt, ist Vorsicht geboten. Vom Arbeitsplatz
„weg zu sein“, wirkt zunächst angstreduzierend und entlas
tend. Die Angst wird jedoch im Verlauf schlimmer, und wenn
der Arzt nach einer Weile vorschlägt, an den Arbeitsplatz
zurückzukehren, kann Panik auftreten. Frühzeitiges Entge
genwirken ist daher von besonderer Bedeutung (Nash-Wright,
2011; Muschalla, 2015).
Etwa 60% der Patienten in der psychosomatischen Rehabili
tation sind von Arbeitsplatzproblemen und -ängsten betroffen,
17% gar von einer kompletten Arbeitsplatzphobie mit Panik
attacken allein schon beimGedanken an die Arbeit (Muschalla/
Linden, 2013). In einer Untersuchung vom Lehrstuhl Arbeits-
und Organisationspsychologie der Universität Potsdam wur
den 201 Berufstätige verschiedener Branchen befragt. Von
diesen waren 6% aktuell in einer Behandlung wegen psychi
scher Probleme. Von den restlichen 188 – nicht in Behandlung
befindlichen – Arbeitstätigen berichteten etwa 5%, dass sie an
arbeitsbezogenen Ängsten litten und sich auch schon einmal
wegen unerträglicher Probleme am Arbeitsplatz hatten krank
schreiben lassen (Muschalla/Heldmann/Fay, 2013).
Welche Arbeitsplatzängste kann man unterscheiden?
Arbeitsängste können sich auf unterschiedliche Weise äu
ßern. Sie können als eigenständige („alleinige“) Arbeitsängs
te vorkommen oder in Form eines Zusatzsymptoms bei einer
„psychischen Grunderkrankung“, wie z.B. einer Depression.
Krankheitswertige Arbeitsängste sind auch entsprechend der
gültigen internationalen Klassifikationssysteme kodierbar
(z.B. unter F 41.8 als Arbeitsbezogene Angst, WHO, 1992). Als
Ergebnis von Forschungsprojekten mit diagnostischen Unter