PERSONALquarterly 2/2018 - page 8

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SCHWERPUNKT
_INTERVIEW
PERSONALquarterly 02/18
PERSONALquarterly:
Organisationen sind zunehmend daran inte-
ressiert, gesundheitsförderliche Maßnahmen zu unterstützen.
Oft wird gefordert, dass Beschäftigte sich auch ausreichend
von der Arbeit erholen müssten. Was ist Erholung? Was sind in
diesem Zusammenhang Strategien, um langfristig bei der Arbeit
gesund zu bleiben?
Sabine Sonnentag:
Erholung kann man beschreiben als einen
Prozess, bei dem die Beanspruchungen, die durch Arbeit auf-
getreten sind, wieder reduziert werden, in dem man also idea-
lerweise in einen „Ausgangszustand“ zurückkommt. Was ist
dabei wichtig? Regelmäßige Erholung gerade auch im Alltag ist
essenziell, der Urlaub alleine reicht in der Regel nicht. Unsere
Forschung und die von anderen Arbeitsgruppen zeigt immer
wieder, dass es sehr wichtig ist, in der Freizeit gedanklich von
der Arbeit abzuschalten, also für eine gewisse Zeit die Arbeit
wirklich zu vergessen. Das kann durch ganz unterschiedliche
Aktivitäten geschehen, Sport zum Beispiel, aber auch ein Hob-
by oder Unternehmungen mit der Familie oder im Freundes-
kreis. Besonders hilfreich scheint es zu sein, dass man etwas
tut, bei dem man wirklich alles andere vergessen kann, also
eine Aktivität, in der man wirklich „aufgeht“. Wichtig ist je-
doch zu betonen, dass nicht jedes Denken an die Arbeit in der
Freizeit negativ sein muss, man sollte sich also nicht zwang-
haft verbieten, an die Arbeit zu denken. Ungünstig ist jedoch,
negativ über die Arbeit zu grübeln.
PERSONALquarterly:
Welche Stressmanagementansätze sind Erfolg
versprechend? Gibt es Aspekte, die in diesem Zusammenhang in
Zukunft stärker an Gewicht gewinnen werden und berücksich­
tigt werden sollten bei der Konzeption von Stressmanagement­
ansätzen?
Sabine Sonnentag:
Stressmanagement sollte immer zwei Ansatz-
punkte haben: Zum einen, was kann und muss in der Organi-
sation und am Arbeitsplatz konkret verbessert werden, sodass
weniger Stresserleben entsteht? Neben den „klassischen“ Ar-
beitsstressoren spielt die Wahrnehmung von Fairness hier ei-
ne große Rolle. Zum anderen geht es beim Stressmanagement
um die individuellen Wahrnehmungen und Reaktionen auf die
Situation. Die Forschung hat gezeigt, dass sogenannte kogni-
tive Stressmanagementansätze am vielversprechendsten sind
(Richardson/Rothstein, 2008). Bei solchen kognitiven Stress­
managementansätzen geht es darum, die eigene Einschätzung
von stressvollen Situationen zu überdenken, neue Bewälti-
gungsmöglichkeiten zu entwickeln und diese zu erproben. Ich
würde davon ausgehen, dass das in Zukunft auch so bleiben
wird, weil solche Ansätze ja an grundlegenden menschlichen
Wahrnehmungs- und Bewertungsprozessen ansetzen. Erwar-
ten würde ich, dass in Zukunft die Anforderungen an die so-
genannte Selbstregulation, also die Beeinflussung der eigenen
Gedanken und Gefühle, noch steigen wird, da die Arbeitsanfor-
derungen komplexer und auch vieldeutiger werden. Sehr ver-
einfacht gesagt: „Einen klaren Kopf zu behalten“, wird immer
wichtiger – und da können kognitive Stressmanagementansätze
sehr helfen.
PERSONALquarterly:
In einem kürzlich erschienenen Artikel (Son-
nentag/Pundt/Venz, 2017) haben Sie sich mit dem Thema von
kleinen Snacks im Arbeitsalltag beschäftigt. Können Sie uns
kurz beschreiben, was in der Studie untersucht wurde und was
die zentralen Ergebnisse waren?
Sabine Sonnentag:
Gerne. In dieser Untersuchung haben wir
uns angeschaut, unter welchen Bedingungen Menschen bei
der Arbeit welche Snacks zu sich nehmen. Wir haben unter-
schieden zwischen „gesunden“ Snacks (Obst), „ungesunden“
Snacks (Süßigkeiten) und Snacks, die teilweise „gesund“ und
teilweise „ungesund“ sind (Müsliriegel). Darüber hinaus ha-
ben wir zwei Motive, die dem Verzehr von Snacks zugrunde
liegen können, betrachtet: ein Gesundheitsmotiv und ein Mo-
tiv, die eigenen Gefühle zu regulieren (z.B. sich zu beruhigen).
Wir fanden, dass in Organisationen, in denen Wert auf ge-
sundes Essen gelegt wird und in denen es entsprechende An-
gebote gibt, das Gesundheitsmotiv höher ausgeprägt ist und
dadurch auch mehr Obst gegessen wird. An Arbeitsplätzen,
an denen hohe Anforderungen an die Selbstregulation beste-
hen – z.B. dass man sich in Kundenkontakten immer wieder
„zusammenreißen“ muss –, ist das Affektregulationsmotiv
besonders ausgeprägt, das seinerseits dann mit dem Verzehr
von besonders vielen Süßigkeiten zusammenhängt. Kurz ge-
sagt: Bedingungen in der Organisation und am Arbeitsplatz
hängen mit der Art von Snacks zusammen, die Menschen bei
der Arbeit konsumieren.
LITERATURVERZEICHNIS
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Sonnentag, S./Pundt, A. (2016): Organizational health behavior climate:
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Sonnentag, S./Pundt, A./Venz, L. (2017): Distal and proximal predictors of
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Sonnentag, S./Venz, L./Casper, A. (2017): Advances in recovery research:
What have we learned? What should be done next? Journal of Occupational
Health Psychology, 22, 365-380. doi:10.1037/ocp0000079
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