PERSONALquarterly 2/2018 - page 10

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PERSONALquarterly 02/18
SCHWERPUNKT
_GESUNDHEIT
D
ie Einführung und Verbreitung digitaler und mobi-
ler Informations- und Kommunikationstechnologien
(IKT) nimmt einen prägenden Einfluss auf die Ar-
beitswelt. Viele Arbeitsplätze sind ohne Computer/
Laptop/Tablet, Internetzugang und Smartphone kaum mehr
vorstellbar. Digitale Technologien verändern heutige Arbeits-
bedingungen maßgeblich und beeinflussen neben Arbeitszeit
und -ort auch Inhalte und Organisation der Arbeit. Doch die
Veränderungen, die mit dem gesteigerten Technikeinsatz ein-
hergehen, sind nicht auf die Arbeit begrenzt. Digitale IKT le-
gen den Grundstein für eine fortschreitende räumliche und
zeitliche Entgrenzung der Arbeit. Die Zahlen des Statistischen
Bundesamts (2016) bezeugen, wie weit die Digitalisierung der
Arbeit außerhalb des Arbeitsplatzes vorangeschritten ist: In-
zwischen haben 61% der Unternehmen ihre Beschäftigten mit
tragbaren Geräten mit mobilem Internet ausgestattet, von de-
nen 80% über einen Fernzugriff auf das unternehmenseigene
E-Mail-System verfügen und knapp die Hälfte Zugriff auf Un-
ternehmensdokumente außerhalb des Arbeitsplatzes erhält.
Durch orts- und zeitunabhängige Arbeit – wie dem Bearbeiten
von E-Mails auf dem Weg zur oder von der Arbeit, zu Hause,
während des Feierabends, am Wochenende und im Urlaub,
entsteht eine permanente Erreichbarkeit, definiert als „being
accessible and responsive to the needs and wants of the organi-
zation or customers“ (Bergman/Gardiner, 2007). Erreichbarkeit
bedeutet demnach, inwiefern Beschäftigte für Bedürfnisse und
Forderungen des Unternehmens erreichbar und ansprechbar
sind und damit Einfluss auf das Verhalten der Beschäftigten au-
ßerhalb der Arbeit haben (Dettmers/Bamberg/Seffzek, 2016).
Knapp die Hälfte der Beschäftigten in Europa berichtet, wäh-
rend der Freizeit häufig oder zumindest manchmal beruflich
kontaktiert zu werden (Arlinghaus/Nachreiner, 2013).
Permanente Erreichbarkeit: Vor- und Nachteile
Dem ständigen Checken von E-Mails am Feierabend zu wider-
stehen, wird zur Herausforderung – führt doch die Verbunden-
heit mit Führungskraft, Kollegen und Kunden dazu, in Kontakt
zu bleiben (Perlow, 2012). Die weiteren Vorteile einer ständigen
Erreichbarkeit liegen auf der Hand: Die Beschäftigten können
über mehr Autonomie im Umgang mit ihrer Zeit verfügen,
Nach der Arbeit erreichbar sein?
Zum Einfluss des Führungsverhaltens
Von
Dr. Christine Syrek
(Universität Trier),
Anna T. Röltgen
(Universität Trier) und
Prof. Dr. Judith Volmer
(Universität Bamberg)
eine flexiblere Arbeitsgestaltung kann die Work-Life-Balance
fördern, unerledigte Aufgaben können abgeschlossen werden
und die Möglichkeit, jederzeit Informationen abzurufen, trägt
zu einem beruhigenden Gefühl von Transparenz, Informiert-
heit und Überbrückung von Langeweile in Zeiten erzwungener
Untätigkeit bei.
Doch die Belastungen, die aufgrund der Möglichkeiten neu-
er Technologien und damit einhergehender Anforderung einer
ständigen Erreichbarkeit entstehen, sind vielfältig, wird doch
der Erholungsprozess maßgeblich beeinträchtigt. Bliese, Ed-
wards und Sonnentag (2017) betonen, dass seit zwanzig Jah-
ren das Thema Entgrenzung von Arbeit und Privatleben und
die dabei entstehenden Konflikte an Bedeutung gewinnen. Das
mentale Ablösen von der Arbeit, das einen entscheidenden
Beitrag zur Erholung liefert (Sonnentag, 2012), wird erheblich
erschwert, da die arbeitsbezogene Nutzung von IKT ein stän-
diger Begleiter im Alltag wird. So zeigt sich, dass allein die
Notwendigkeit, erreichbar zu sein – unabhängig von einem
tatsächlichen Arbeitseinsatz –, Beeinträchtigungen wie ein
reduziertes Wohlbefinden hervorruft (Mellner, 2016). Studien
weisen zudem nach, dass Erreichbarkeit mit Gesundheitsprob­
lemen und Absentismus einhergeht (Arlinghaus/Nachreiner,
2013), was u.a. an der Unvorhersehbarkeit und der entstehen-
den Unsicherheit, gesteigerter Anspannung und Antizipation
liegt.
Führungsverhalten und die Erwartung, permanent erreich-
bar sein zu müssen
Durch die Verbreitung digitaler IKT steigen die Erwartungen
aufseiten der Unternehmen, dass Beschäftigte auch außerhalb
regulärer Arbeitszeiten erreichbar sein sollen (z.B. Bergman/
Gardiner, 2007). Doch es stellt sich die Frage, was genau zu
dieser Erwartung an eine erhöhte Erreichbarkeit außerhalb
der Arbeit beiträgt. Die Erreichbarkeit kann zum einen eine
festgeschriebene Anforderung sein (Dettmers et al., 2016),
kann aber auch eine informelle Erwartung sein, prompt auf
eine Anfrage zu reagieren (Dettmers et al., 2016). Als Quelle
dieser Erwartung differenzieren Dettmers und Kollegen die
Führungskraft, Kollegen und Kunden. Führung gilt als einer
der wichtigsten und einflussreichsten Faktoren, die Verhalten
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