PERSONALquarterly 4/2015 - page 56

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ESSENTIALS
_REZENSIONEN
PERSONALquarterly 04/15
F
ehlt es dem „Talent Pool“ an Talenten, kann sich die
Besetzung von Schlüsselpositionen schwierig gestal-
ten und den langfristigen Erfolg eines Unternehmens
gefährden. Selbst oder gerade auf höchster Führungs-
ebene nimmt die Entwicklung von Talenten daher mittlerweile
eine große Rolle ein. Um erfolgreich Talent Management zu
betreiben, ist es unerlässlich, zu verstehen, von welchen Fak-
toren das „Talent Level“ im Sinne von Quantität und Qualität
des Talent Pools abhängt. Abseits klassischer organisations-
bezogener Perspektiven auf Talent Management untersuchen
Roderick I. Swaab und Adam D. Galinsky den Einfluss des kul-
turellen Kontexts auf das verfügbare Talent Level. Ihre Studie
fokussiert primär auf den Einfluss der nationalen Kultur, zeigt
aber auch praktische Implikationen kultureller Einflüsse auf
Ebene von Organisationen auf.
Swaab und Galinsky argumentieren, dass egalitäre Gesell-
schaften mit entsprechend ausgerichteten Institutionen sowie
Normen und Werten durch gleiche Chancen auf die Entfal-
tung des persönlichen Potenzials ihre „Kapazitäten“ effizienter
nutzen als hierarchisch orientierte Gesellschaften. In dieser
Hinsicht kommen insbesondere Gesetze, die politische Rechte
und Bürgerrechte für alle garantieren sowie Diskriminierung
unterbinden, zum Tragen („institutionelle Gleichheit“); eben-
so Normen und Werte, welche auf die Gleichberechtigung in
sozialen Interaktionen ungeachtet des Geschlechts sowie der
sozioökonomischen und ethnischen Herkunft abzielen („psy-
chologische Gleichheit“).
Die Kulturforschung hat gezeigt, dass psychologische Gleich-
heit zu einem großen Teil durch historische und institutio-
nelle Faktoren bedingt ist. Die psychologische Gleichheit ist
deshalb nicht minder bedeutsam, denn erst diese ermöglicht
es (andernfalls durch Stereotypisierung und Stigmatisierung
eingeschränkten und entmutigten) Minoritäten, die durch
institutionelle Gleichheit formal vorhandenen Möglichkeiten
tatsächlich zur Entwicklung ihres Potenzials zu nutzen. Dem-
entsprechend gehen Swaab und Galinsky davon aus, dass
institutionelle Gleichheit über die psychologische Gleichheit
vermittelt das Talent Level einer Gesellschaft langfristig erhöht
und so zu einer höheren Leistungsfähigkeit führt.
Egalitarismus und der
nationale Talent Pool
Roderick I. Swaab
(INSEAD), und
Adam D. Galinsky
(Columbia
Business School). „Egalitarianism makes organizations stronger:
Cross-national variation in institutional and psychological
equality predicts talent levels and the performance of national
teams”. Organizational Behavior and Human Decision Pro-
cesses, 2015, Vol. 129, pp. 80–92.
Dieses theoretische Modell testen die Autoren im Kontext
von Fußball-Nationalmannschaften. Die Leistung von Teams
wurde mittels der FIFA-Weltrangliste abgebildet (Ranking nach
Punkten, Stärke der Gegner etc.). Als Indikator für das Talent
Level einer Nationalmannschaft wählten die Autoren den An-
teil an Spielern, die bei einem der Elite-Fußballclubs unter
Vertrag stehen. Um die Robustheit der Ergebnisse zu unter-
mauern, kontrollierten Swaab und Galinsky bei ihren Analysen
u.a. für ökonomische Ungleichheit, politische Stabilität, Bevöl-
kerungsgröße, die Anzahl an Trainern und weiterem Personal.
Die hohe Präzision der Messung des Talent Levels und der
Leistung im Vergleich zu herkömmlichen Organisationsdaten
sowie die relativ klare Abgrenzbarkeit des kulturellen Hinter-
grunds sprechen für dieses Untersuchungsdesign.
Die Analysen der Autoren unterstützen das beschriebene
theoretische Modell: Institutionelle Gleichheit hängt nicht di-
rekt mit der Leistung von Nationalmannschaften zusammen.
Institutionelle Gleichheit alleine kann demnach Leistungsun-
terschiede zwischen Nationalmannschaften nicht erklären.
Allerdings besteht ein indirekter positiver Zusammenhang
zwischen institutioneller Gleichheit und der Leistung von Nati-
onalmannschaften – vermittelt über psychologische Gleichheit
und das Talent Level.
Institutionelle Gleichheit begünstigt psychologische Gleich-
heit und psychologische Gleichheit geht mit einem höheren
Talent Level einher; das Talent Level wiederum ist mit einer hö-
heren Leistung von Nationalmannschaften verbunden. Zudem
zeigte sich ein positiver Einfluss von psychologischer Gleich-
heit in 1994-1997 auf die Leistung von Nationalmannschaften
in 2009-2010, wenn für die Leistung im Zeitraum 1994-1997
kontrolliert wird. Die Erkenntnis, dass psychologische Gleich-
heit der Leistung zeitlich vorgelagert ist, kann als Hinweis auf
einen kausalen Zusammenhang gesehen werden und unter-
stützt somit zusätzlich das theoretische Modell.
Während die Analysen trotz ihres Fokus auf die Leistung
von Teams bzw. Organisationen auf der Ebene von Nationen
bzw. nationalen Kulturen angesiedelt sind, ergeben sich den-
noch Implikationen für die betriebliche Praxis. Da die institu-
tionelle Gleichheit der psychologischen Gleichheit vorgelagert
ist, die psychologische Gleichheit jedoch letztlich das Talent
Level bestimmt, kann auch in einer egalitären Gesellschaft die
Förderung von psychologischer Gleichheit auf Ebene der Orga-
nisationskultur entscheidende Impulse für die Möglichkeiten
und die Motivation der Mitarbeiter geben, ihr Potenzial auszu-
schöpfen. Die Analogie von Hierarchie vs. Gleichheit auf Ebene
nationaler Kulturen und der Ebene organisationaler Kulturen
ist dabei unschwer herzustellen (z. B. im Hinblick auf implizite
Statusdichotomien wie Fach- vs. Führungskraft).
Besprochen von
Benjamin P. Krebs,
Lehrstuhl International
Business, Universität Paderborn
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