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ESSENTIALS
_REZENSIONEN
PERSONALquarterly 04/15
D
er globalisierte Wettbewerb ist mit einem stetigen
Wandel der Marktgegebenheiten verbunden, der
immer häufigere Anpassungen erfordert – Downsi-
zing, M&As und Restrukturierungsmaßnahmen sind
periodisch wiederkehrende Themen im Unternehmensalltag.
Die Auswirkungen dieser Rahmenbedingungen auf die von Ar-
beitnehmern subjektiv wahrgenommene Jobunsicherheit sind
nicht trivial. Jobunsicherheit kann in einen „Rückzug“ von der
Arbeit münden, der mit Arbeitszurückhaltung in Form von
längeren Pausen, dem Erledigen persönlicher Angelegenheiten
während der Arbeitszeit, geringer Arbeitsanstrengung oder
gar Absentismus einhergeht. So offensichtlich es erscheint,
dass Jobunsicherheit generell negative Auswirkungen auf
arbeitsbezogene Einstellungen (Jobzufriedenheit, organisati-
onales Commitment etc.) und Outcomes (Arbeitsanstrengung,
Arbeitsstunden etc.) hat – die empirischen Befunde sind ge-
mischt, was den Zusammenhang zwischen Jobunsicherheit
und Arbeitszurückhaltung anbelangt. Sowohl Evidenz für ver-
stärkte Arbeitszurückhaltung als auch Evidenz für erhöhten
Input von Arbeitnehmern ist in der Literatur zu finden. Job-
unsicherheit scheint also unter verschiedenen Bedingungen
zu positiven und negativen Reaktionen von Arbeitnehmern zu
führen. Xiang Yi und Shuhong Wang integrieren die gemisch-
ten Befunde, indem sie von einem u-förmigen Zusammenhang
ausgehen: Jobunsicherheit kann sowohl als negativer beein-
trächtigender Stressor („hindrance effect“), aber auch als po-
sitiver herausfordernder Stressor wirken („challenge effect“).
Wird Jobunsicherheit als Bedrohung wahrgenommen, führt
dies zu Angst, Unbehagen und letztlich zu einem Rückzug von
der Arbeit. Jobunsicherheit kann aber auch als Herausforde-
rung wahrgenommen und als zu lösendes Problem begriffen
werden – um das Risiko einer Entlassung zu verringern, wer-
den non-konforme Verhaltensweisen (Bummelei, Absentismus
etc.) reduziert.
Ausgehend von einer Situation mit sehr niedriger Jobun
sicherheit, in welcher Arbeitszurückhaltung als wenig riskant
wahrgenommen und daher häufiger vorkommen wird, sollte
zunehmende Jobunsicherheit gemäß den Autoren zunächst zu
weniger Arbeitszurückhaltung führen – der „challenge effect“
dominiert; es gilt, sich zu beweisen. Steigt die Jobunsicherheit
Jobunsicherheit – negative
und positive Effekte
Xiang Yi
(Western Illinois University) und
Shuhong Wang
(Radford University): „Revisiting the curvilinear relation
between job insecurity and work withdrawal: The moderating
role of achievement orientation and risk aversion”. Human
Resource Management, 2015, Vol. 54, No. 3, pp. 499–515.
weiter, wird dieser „challenge effect“ jedoch vom „hindrance
effect“ mehr und mehr überlagert und letztlich dominiert:
Die Jobunsicherheit ist nun nicht mehr Ansporn, sondern mit
Angst und Unbehagen verbunden. Die Bedrohung durch einen
möglichen Verlust des Jobs „lähmt“, führt zu Resignation und
einem Rückzug von der Arbeit.
Die skizzierten Auswirkungen von Jobunsicherheit auf das
Arbeitsverhalten sind natürlich nicht universell zutreffend,
sondern von individuellen Unterschieden abhängig: Sowohl
mit hoher Leistungsorientierung als auch Risikofreude, so
argumentieren die Autoren, geht eine geringere Sensitivität
gegenüber Jobunsicherheit einher. Bei leistungsorientierten
Arbeitnehmern sollte der „hindrance effect“ aufgrund deren
Präferenz für kompetitive Situationen selbst bei hoher Jobun-
sicherheit durch den „challenge effect“ dominiert werden; bei
risikofreudigen Arbeitnehmern sollte der „hindrance effect“
aufgrund deren Toleranz gegen Unsicherheit auch bei hoher
Jobunsicherheit keine Rolle spielen und der „challenge effect“
im Vordergrund stehen.
Empirisch zeigt sich auf Basis einer Stichprobe von Arbeit-
nehmern chinesischer Unternehmen (privat und staatlich),
dass die hypothetisierte U-Form des Zusammenhangs zwi-
schen Jobunsicherheit und Arbeitszurückhaltung für risiko-
averse und wenig leistungsorientierte Arbeitnehmer zutrifft.
Für leistungsorientierte Arbeitnehmer hingegen scheint der
„challenge effect“ grundsätzlich dominant – Jobunsicherheit
ist stets mit geringerer Arbeitszurückhaltung verbunden.
Weniger offensichtlich erscheint der Befund, dass der „hin-
drance effect“ für risikofreudige Arbeitnehmer grundsätzlich
dominant ist – obgleich dieser auch relativ schwach ausfällt.
Ein möglicher Grund könnte sein, dass sich risikofreudige Ar-
beitnehmer bei höherer Jobunsicherheit nicht damit aufhalten,
eine mögliche Entlassung mittels besonders konformen Ver-
haltens hinauszuzögern, sondern sich sogleich vom aktuellen
Job abwenden und nach Alternativen suchen.
Yi und Wang betrachten die mangelnde Wettbewerbsfä-
higkeit chinesischer Staatsbetriebe in der Ära nach den öko-
nomischen Reformen in den 1980ern als Paradebeispiel für
die dysfunktionalen Effekte extrem geringer Jobunsicherheit:
Durch das „iron rice bowl“-System (lebenslange Beschäftigung)
wurde die Motivation der Arbeitnehmer, hart für ihren Job
und das Unternehmen zu arbeiten, regelrecht zerrüttet. Auf
der anderen Seite zeigen die Ergebnisse ihrer Studie, dass
Jobunsicherheit zumindest für risikoaverse und weniger leis-
tungsorientierte Arbeitnehmer, die mit den kompetitiven Be-
dingungen unter Jobunsicherheit weniger gut zurechtkommen,
aber auch schnell zur lähmenden Bedrohung werden kann, die
in Arbeitszurückhaltung mündet.
Besprochen von
Benjamin P. Krebs,
Lehrstuhl International
Business, Universität Paderborn