PERSONALquarterly 4/2015 - page 64

PERSONALquarterly 04/15
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_DIE WAHRHEIT HINTER DER SCHLAGZEILE
M
anchmal braucht die BILD-Zeitung nur sich
selbst: Im Juli griff Kolumnist Franz Josef Wag-
ner in einem Stück zur Familienpolitik Mütter
an, die Karriere machen, Hosenanzüge tragen,
ihre Kinder in Kitas abgeben, mehr verdienen als ihre Män-
ner, Smoothies trinken – und eben „keine Mütter mehr“ sind.
Deshalb gebe es in Deutschland mehr Tote als Babys. Contra
gab dem 72-jährigen Boulevardjournalisten BILD-Vizechef­
redakteurin Ulrike Zeitlinger als eine der „Karrierefrauen, die
es wagen, Mutter zu werden“. Die 46-Jährige beschreibt auf
bild.de den Spagat, der nicht immer perfekt gelingt, sich aber
lohnt. In Deutschland wird seit Jahrzehnten scharf und ide-
ologisch über arbeitende Mütter und das Wohl ihrer Kinder
gestritten. Unsere europäischen Nachbarn jedenfalls wundern
sich über die Totalität, mit der Hausfrauen und Berufstätige
gehetzt werden und sich selbst gegeneinander positionieren.
Da kommt eine US-Studie über Töchter berufstätiger Mütter
gerade recht – und wird Ende Juni und Anfang Juli in der
deutschsprachigen liberalen Presse erfreut aufgegriffen. Spie-
gel, Frankfurter Rundschau, Hessischer Rundfunk, die Base-
ler Zeitung in der Schweiz sowie in Österreich Der Standard
räumen der vergleichenden Untersuchung aus der Harvard
Business School (HBS) Redaktionsraum ein. „Having a working
mother is good for you“ überschreiben die HBS-News im Mai
dieses Jahres einen Artikel, der die Forschungsergebnisse von
Kathleen McGinn darstellt. Die Professorin für Organizational
Behavior wertete mit zwei Research-Mitarbeiterinnen die Da-
ten von 50.000 Erwachsenen zwischen 18 und 60 Jahren aus
25 Staaten aus. Demnach macht sich der positive Effekt arbei-
tender Mütter besonders bemerkbar, wenn sie bereits vor dem
14. Lebensjahr der Töchter im Job waren.
Die Töchter mit dem Vorbild arbeitender Mütter vor Augen
sind in den USA als Erwachsene erfolgreicher, verdienen 23
Prozent mehr als Töchter von Nur-Hausfrauen und erklimmen
zu 33 Prozent höhere Positionen, während Frauen aus tradi-
tionellen Haushalten zu 25 Prozent aufsteigen. Über alle 25
Länder fallen die Unterschiede allerdings geringer aus: Sechs
Prozent verdienen Töchter berufstätiger Mütter mehr und 21
zu 18 Prozent steigen auf. Auf Söhne hat die Berufstätigkeit der
Mütter im Vergleich zur Mutter, die zu Hause bleibt, übrigens
Neben Bildung und Einkommen, beruflichem Status und Erwerbsstatus der Eltern
spielt, das legt eine US-Studie nahe, auch das Vorbild berufstätiger Mütter eine Rolle.
Zuwendung zählt
kaum einen Einfluss. Etwas mehr der Söhne übernehmen spä-
ter aktive Vaterrollen. Kathleen McGinns Fazit ist eindeutig:
„Es gibt nur wenige Faktoren, bei denen wir einen derart kla-
ren Effekt auf die Ungleichheit der Geschlechter herausfiltern
konnten wie bei dem Rollenvorbild berufstätiger Mütter.“ Die
Forscherin betont allerdings, dass der Wandel in der Rollenver-
teilung innerhalb der Familien eine Schnecke sei.
Fremdbetreuung puffert Risiken ab
Auch zahlreiche deutsche Forscher untersuchen den Zusam-
menhang zwischen Elternarbeit und den Auswirkungen auf
ihre Kinder. Allerdings kommen die Ergebnisse nicht ganz so
spektakulär daher wie die US-Studie über das positive mütter-
liche Vorbild, das Töchtern den Karriereweg ebnet. Im Fokus
steht hierzulande eher der Einfluss des ökonomischen und
sozialen Status der Familie als maßgeblicher Faktor. So wurde
zum Beispiel bei Kindern bis zum Alter von zehn Jahren deren
persönliche Entwicklung in einer großen Stichprobe im Längs-
schnitt ausgewertet. Der Psychologieprofessor an der Ruhr-
Universität Bochum, Axel Schölmerich, konstatiert: „Es gibt
nicht den geringsten Hinweis darauf, dass die Berufstätigkeit
von Müttern schädlich ist – weder bei hohen noch bei nied-
rigen Einkünften.“ Die Untersuchungen zumWohlergehen von
Kindern, mit denen sich Entwicklungspsychologe Schölmerich
seit etlichen Jahren beschäftigt, messen, ob Kinder sich alters-
gemäß entwickeln und ob sie positive Entwicklungschancen
wahrnehmen können. Dazu werden die Eltern nach konkreten
Alltagsfertigkeiten wie dem Zubinden der Schnürsenkel, nach
der Kontaktfähigkeit und Sprachentwicklung der Kinder be-
fragt. „Beim Begriff Wohlergehen geht es nicht um das Bild
von den traurigen Schlüsselkindern“, sagt der Forscher. „Wir
wollen der faktischen Entwicklung auf die Spur kommen.“
Die Effekte von ökonomischer Belastung, Bildung der Eltern,
Erwerbsstatus der Mutter spielten, so der Bochumer Profes-
sor, für die Kinder eine Rolle. Ein wiederkehrendes Ergebnis:
Fremdbetreuung puffert Risiken ab, denen Kinder in ärmeren
Familien mit geringer Bildung und geringem Einkommen aus-
gesetzt sind. Etwa durch mangelnde Lebenszufriedenheit oder
durch Geringschätzung der elterlichen Jobs. „Diese Kinder von
öffentlichen Einrichtungen fernzuhalten, ist kontraproduktiv“,
Ruth Lemmer
, Freie Wirtschaftsjournalistin, Düsseldorf
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