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2-01.2019
werden diese immer jünger, weiblicher und internationaler. Das
finde ich gut. Auch Kollegen aus anderen Teilen der Welt be-
kommen in deutschen Architekturbüros ihre Chancen, stellen
vielfach bereits wesentliche Teile der Teams, auch als Projektlei-
ter und Partner. In unserem Büro arbeiten 16 unterschiedliche
Nationalitäten zusammen, die Hälfte ist weiblich. Eine Lehrerin
unterrichtet Fachdeutsch zweimal in der Woche. Ein Fachkräfte
zuwanderungsgesetz ist dafür nicht erforderlich.
Doch die öffentlichen Institutionen, die noch bis vor Kurzem
ihre Stellen abgebaut haben, können diese nicht wieder neu be-
setzen. Am Arbeitsmarkt bringen sie bei den gestiegenen Löh-
nen und Ansprüchen mit ihren unflexibleren Strukturen kaum
überzeugende Angebote zustande. Wer beschwert sich da über
die stockende Bearbeitung von Baugenehmigungen?
Viele Arbeitgeber beschäftigen sich jetzt damit, wie sie für
ihre Angestellten attraktiver werden. Zentralere Standorte, bes-
sere Büroeinrichtungen, mehr Urlaub, flexiblere Arbeitszeiten,
umfassendeMobilitätsangebote undAufstiegschancen sind dabei
dieThemen. Das ist gut für die jungenArchitektinnen, Ingenieure
und Facharbeiter, die sich ihre Unternehmen aussuchen können.
Aber was passiert dann mit den qualifizierten, neuen Fach-
kräften in den Unternehmen? Werden nicht zu viele der drin-
gend benötigten Talente vergeudet? Vertändeln sie nicht zu viel
Lebensenergie mit nutzlosen Tätigkeiten? Die Diskussion, wie
man den Mangel an Fachkräften beheben kann, verdeckt meist
eines der größtenÜbel in der Bau- und Immobilienwirtschaft: die
tägliche Verschwendung und miserable Organisation.
Arbeit dehnt sich in genau dem Maße aus, wie Zeit für ihre
Erledigung zur Verfügung steht. Endlose und ungeordnete Be-
sprechungen, überforderte Entscheider, lange Wartezeiten auf
eigentlich alles und jeden, überbordendes Berichtswesen, ausblei-
bende Festlegungen oder noch weitere überflüssige Alternativen
sind nur einige Beispiele von Nutzlosarbeit.
Es geht aber auch anders. Mainz 05 ist kein Verein für Über-
flieger. Eine Stadt mit 215.000 Einwohnern, die auch noch re-
gelmäßig singen und lachen, hat nur in Ausnahmefällen eine
Bundesliga-Mannschaft. In der Regel kämpfte diese graue Maus
der zweiten Liga gegen den Abstieg. Wolfgang Frank war der
Trainer, der das änderte und als einer der Ersten im deutschen
Fußball mit der Raumdeckung operierte. Er steckte auf demTrai-
ningsplatz mit Fähnchenstangen die unterschiedlichen Zonen ab
und übtemit den einzelnen Spielern, wie sie sich auf demSpielfeld
gemeinsam und ballorientiert verschieben. Plötzlich waren alle
miteinander verbunden, Angreifer haben auch verteidigt, die Ab-
wehr hat sich in den Spielaufbau eingeschaltet und alle zusammen
agierten möglichst schnell und planvoll.
So wurde aus einer Mannschaft von mittelmäßigen Einzel-
spielern ein agiles Team mit sich abstimmenden, komplex zu-
sammenwirkenden Individuen. Jeder achtete auf die anderen,
alle spielten zusammen. Das ging weit über so etwas Simples wie
Manndeckung hinaus. Der Erfolg war überwältigend und sen-
sationell. Der zweitklassige Absteiger stürmte bis in die Europa
League. Lässt sich das auch auf das Berufsgeschehen übertragen?
Wie viel Mainz 05 steckt in der Immobilienwirtschaft? Oder an-
ders gefragt: Kann die Bauwirtschaft auch Raumdeckung?
Von Mainz 05 lernen heißt, die individuellen Kräfte koor-
dinierter und intensiver zusammenzubringen. Dann arbeitet
keiner mehr vor sich hin an seinem Projekt in Manndeckung,
sondern löst die Aufgaben abgestimmt mit seinenKollegen inner-
halb eines projektübergreifenden Netzwerks in Raumdeckung.
Eingebunden in einem kompetenten Team kann ein Kollege
mit weniger Erfahrung viel schneller erfolgreich sein. Das geht,
wenn Weiterbildung, Kommunikation, Hinterfragung, Befähi-
gung und Mentoring wesentlicher Teil der täglichen Arbeit von
allen sind. Dadurch wird Nutzlosarbeit deutlich reduziert. Die
Wertschöpfung wird intern und extern entscheidend verbessert
und beschleunigt. So werden aus Einzelkämpfern Teams und aus
Projektleitern einander helfende Mentoren.
Die Umsetzung besserer und überlegener Organisations
modelle ist ein steiniger, aber lohnender Weg. Denn trotz Boom
hat die Immobilienwirtschaft von heute mit Mainz 05 vieles
gemeinsam. Vor der Einführung der Raumdeckung. Von Fore
checking, Pressing und Viererkette sind die Jungs von der Bau-
stelle noch weit entfernt.
Von Mainz 05 lernen heißt, die individuellen Kräfte koordinierter
zusammenzubringen. Dann löst jeder die Aufgaben abgestimmt mit
seinen Kollegen innerhalb eines projektübergreifenden Netzwerkes ...
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.