Immobilienwirtschaft 12/2018 - page 43

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2-01.2019
Viele Immobilienunternehmen benutzen noch ihr Faxgerät, nur 39 Prozent haben eine valide
Digitalisierungsstrategie. Aber Digitalisierung will gestaltet werden. Es geht dabei nicht nur um
Technik. Es geht vor allem um Ziele, die per Digitalisierung erreicht werden sollen.
Kunden interessant sein könnten. Der
zweite Grund ist aber fast noch wichtiger:
Es schadet nie, auch einmal die eigenen
Kunden zu hinterfragen. In Bezug auf die
Digitalisierung hört man oft, dass jeder
automatisierbare Prozess irgendwann au-
tomatisiert wird.
Der nächste logische Schritt ist dann
gar nicht mehr die Entscheidung, ob man
das selbst gerne möchte, oder dass man
sich sagt, dass man unternehmerische
Entscheidungen schließlich alleine trifft.
Letzteres stimmt möglicherweise auch.
Dennoch sei die Frage erlaubt, ob man
lieber darauf warten möchte, dass ein
junges Start-up mit anfänglich geringen
Gewinnerwartungen den eigenen Markt
angreift, oder ob man sich selbst weiter-
entwickelt. Eine typische Technik, um die
eigene Anfälligkeit gegen Konkurrenten
aus der Digitalisierung zu analysieren,
sind so genannte Killer-Fragen. Dabei
sollte eben gerade das gefragt werden,
was weh tut:
Welche Leistung müsste ein Konkur-
rent anbieten, um uns aus dem Markt
zu drängen?
Wie kann unser Angebot irgendwann
überflüssig werden?
Was könnten wir tun, damit alle Kunden
unserer Wettbewerber zu uns wechseln?
Nur ehrliche Antworten helfen weiter
und zeigen die Bereitschaft, das eigeneUn-
ternehmen zu entwickeln. Die Auswahl,
welche der Fragen gestellt wird, zeigt aber
auch etwas über die eigene Perspektive als
Unternehmer und hat eigentlich nichts
mit Digitalisierung zu tun. Die ersten
Fragen sind defensiv und versuchen, am
Bestehenden festzuhalten. Die letzte Frage
ist offensiv. Damit soll das Unternehmen
wachsen. Also ganz einfach: Auch bei der
Digitalisierung haben wir die Wahl. Sie
bricht nicht über uns herein, sondern will
gestaltet werden.
Um in Nischen erfolgreich zu sein, ist das
Persona-Konzept nicht schlecht. Eine ty-
pische Persona lautet: Mike ist männlich,
35 Jahre, verheiratet, hat zwei Kinder und
fährt Mountainbike. Man beschreibt also
Zielkunden anhand einer überschaubaren
Anzahl an Eigenschaften. Da für Produkte
natürlich mehrere Zielkunden existieren,
gibt es die einfache Faustregel „fünf mal
fünf “. In der Regel werden ungefähr fünf
Personas mit ungefähr fünf Eigenschaften
beschrieben, um die Zielgruppe für eine
neue Leistung zu umreißen.
Bevor Firmen viel Geld
für technische Lösungen
ausgeben, lohnt ein Blick
auf die Betriebsabläufe
und die Mitarbeiter
Mit Abstand betrachtet wird dabei
auf viele Erkenntnisse des traditionellen
Marketings zurückgegriffen. Noch immer
muss man seine Kunden kennen, und
noch immer versucht man überschau-
bare Beschreibungen von Zielgruppen zu
erstellen, vor allem Eigenschaften zu ver-
wenden, die man entweder beeinflussen
oder für die eigene Dienstleistung nutzen
kann. An den Eigenschaften fällt auf, dass
wenig überWünsche oder Bedürfnisse di-
rekt gearbeitet wird. Mike wurde über sei-
ne Lebenssituation beschrieben. Für die-
ses Konzept lassen sich zahlreiche Belege
der Marketingpsychologie heranziehen.
So ermittelt das Sinus-Institut regelmä-
ßig die so genannten Sinus-Milieus, die
über die Lebenssituation, den Lifestyle,
sehr genau das Konsumentenverhalten
voraussagen können.
Wo aber braucht man das Persona-
Konzept? Es gibt zwei Gründe: Ein As-
pekt könnte sein, dass man gerne ex-
pandieren möchte und sich fragt, welche
Leistungen für bestehende oder neue
Digitalisierungmuss auf Kundenbedürf-
nisse achten.
Bei kurzer Betrachtung leuchten beide
Leitsätze ein. TechnischeAusstattungmuss
bedienbar sein. Man könnte auch formu-
lieren, dass die Usability stimmen muss.
Teure Technik bringt zudem nur dann et-
was, wenn sie auch bedienbar bleibt. Bevor
die oben genannten Maximierungs- oder
Minimierungsziele mit hohen Ausgaben
für technische Lösungen erreicht werden
können, lässt sich bereits viel gewinnen,
wenn die Betriebsabläufe, also alle Pro-
zesse, genau betrachtet werden. Auch ein
Blick auf das Miteinander der beteiligten
Mitarbeiter schadet nicht. Diese Erkennt-
nis hat bei Digitalisierungsprofis längst
Einzug gehalten, sodass Thorsten Dirks,
CEO bei Telefonica Deutschland, 2015
bemerkte, dass „Scheißprozesse“ nach der
Digitalisierung eben „digitale Scheißpro-
zesse“ sind.
Darin liegt auch begründet, dass Digi-
talisierung am Kunden vorbei manchmal
keinen Sinn macht. Im Marketing zählt,
dass „Kunde“ von „kennen“ kommt und
dass eine gute Auseinandersetzung mit
der Zielgruppe die Grundlage für massen-
taugliche Produkte und Dienstleistungen
ist. Diese Erkenntnis bleibt auch in der Di-
gitalisierung erhalten, und auch hier gibt
es konzeptionelle Ansätze, die von der tra-
ditionellen Betriebswirtschaftslehre nicht
weit entfernt sind.
Die Zielgruppe heißt heute Persona.
Aberwas ist einePersona?DigitaleErfolgs-
konzepte sind eben nicht immer nur Pro-
dukte oder Dienstleistungen, wie sie von
den GAFA (Google, Amazon, Facebook
und Apple) angeboten werden, sondern
können durch die technischen Möglich-
keiten auch bei einemkleinen Abnehmer-
kreis für Unternehmen profitabel angebo-
tenwerden. Eine Zielgruppenanalyse nach
dem Motto, 90 Prozent des Marktes gut
beschreiben und gezielt ansprechen zu
können, könnte daher von gestern sein.
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Prof. Dr. Marco Wölfle, Freiburg
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