Immobilienwirtschaft 12/2017 1/2018 - page 41

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2-01.2018
SCHRIFTFORMVERLETZUNG – KÜNDIGUNGS-
RISIKO
Die Schriftformwird in der Praxis
häufig verletzt (siehe Kasten links). In all
diesen Fällen besteht das Risiko einer vor-
zeitigen Kündigung des Mietvertrags.
DieMöglichkeit der vorzeitigenKünd-
barkeit wird häufig von einer der Parteien
genutzt, um denMietvertrag wegen geän-
derter Marktbedingungen wirtschaftlich
neu zu verhandeln oder zu beenden, weil
aus bestimmten Gründen kein Interesse
mehr an seiner Fortführung besteht. An-
wälte werden gezielt damit beauftragt,
Formmängel zu identifizieren, um – je
nach Situation – Verhandlungsmasse auf-
zubauen. Mit den gesetzlichen Schutzge-
danken hat dies häufig nichts zu tun.
Um das Risiko der vorzeitigen Künd-
barkeit zu reduzieren, haben sich in der
Praxis so genannte Schriftformheilungs-
klauseln durchgesetzt, in denen sich die
Parteien verpflichten, etwaige Form-
mängel zu beheben und den Mietvertrag
nicht unter Berufung auf solche Mängel
vorzeitig zu kündigen. Solche Klauseln
galten in der Vergangenheit überwiegend
als wirksam und wurden auch durch die
Rechtsprechung mehrerer Oberlandes
gerichte bestätigt.
DAS ENDE DER SCHRIFTFORMHEILUNGS-
KLAUSEL
Der BGH hat nunmehr solchen
Schriftformheilungsklauseln eine Abfuhr
erteilt. NachAuffassung der Richter stehen
sie im Widerspruch zu der zwingenden
Regelung des § 550 BGB (siehe oben).
Schon Anfang 2014 hatte der BGH
erstmals entschieden, dass ein Grund-
stückserwerber durch Schriftformhei-
lungsklauseln nicht gehindert ist, den
Mietvertrag wegen eines Formfehlers
zu kündigen.
Auch gab es bereits untergerichtliche
Rechtsprechung, die die Unwirksamkeit
von Schriftformheilungsklauseln festge-
stellt hat, sodass die Entscheidung nicht
völlig überraschend kommt.
Allerdings hat der BGH Raum für ab-
weichende Billigkeitsentscheidungen
gelassen. Eine Kündigung verstößt näm-
lich gegen Treu und Glauben, wenn der
Formmangel, auf den sich die Kündigung
stützt, durch eine nachträgliche Änderung
herbeigeführt wurde, die allein für die
kündigende Partei vorteilhaft war.
Im hier entschiedenen Fall war die
mietvertragliche Wertsicherungsklausel
zugunsten des Vermieters geändert wor-
den. Die Parteien hielten die Schriftform
nicht ein. Später berief sich der Vermieter
darauf, dass die Änderung schriftform-
widrig erfolgte, und kündigte den Miet-
vertrag. Dies hielt der BGH für unzulässig.
KONSEQUENZEN FÜR DIE PRAXIS
Für die
Praxis hat die Entscheidung erhebliche
Konsequenzen und bedeutet vor allem
Rechtsunsicherheit. Neben den unmittel-
bar betroffenen Vertragsparteien trifft das
Urteil des BGH insbesondere Immobilien­
investoren, die mit dem Cashflow aus den
langfristigen Mietverträgen fest rechnen,
sei es zu Zwecken ihrer Rendite oder der
Finanzierung der Investition. Diese müs-
sen sie jetzt noch sorgfältiger prüfen als
bisher. Das führt vor allem zu höheren
Kosten und längeren Ankaufsprüfungen.
Auf automatische Prüfprozesse kann we-
gen der schwierigen Rechtsfragen nicht
zurückgegriffen werden.
Es ist zu erwarten, dass die Vertrags­
praxis auf das Urteil mit Klauseln reagiert,
die die wirtschaftlichen Folgen einer vor-
zeitigen Kündigung abmildern sollen.
Ob dies gelingen wird, ist fraglich. Insbe-
sondere wenn durch horrende Vertrags-
strafenregelungen die Kündbarkeit eines
Mietvertrags faktisch ausgeschlossen wer-
den sollte, dürfte eine unzulässige Umge-
hung des Schriftformgebots vorliegen.
SUMMARY
»
Feste Laufzeiten von mehr als einem Jahr
sind nur wirksam, wenn der Mietvertrag schriftlich geschlossen wird.
»
Wird die Schriftform nicht gewahrt,
ist der Mietvertrag gleichwohl wirksam, kann aber jederzeit gekündigt werden.
»
Das sollten
so genannte
Schriftformheilungsklauseln
verhindern.
»
Der BGH lehnt das ab. Folge:
Unsicherheit für Investoren.
«
Philipp Schönnenbeck, Counsel bei CMS Deutschland
Wenn Gewerbemietverträge
schneller gekündigt werden können,
steigt die Unsicherheit auf beiden
Vertragsseiten.
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