Immobilienwirtschaft 12/2017 1/2018 - page 37

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2-01.2018
the moon and returning him safely to the Earth.“ JFK, 25.05.61).
Bei so revolutionärenVeränderungenmüssen aber immer wieder
die Fragen gestellt werden, wie undwo die flächendeckende Tech-
nologisierung des urbanen Raumes sinnvoll ist, wem sie nützt,
wem nicht, wer sie initiiert, kontrolliert und welche Gefahren
damit verbunden sind. Wie steht es mit der Datensicherheit?Wer
hat die Datenhoheit? Und wer macht was damit?
ÜBERWACHUNGSSTAAT
Der Blick nach China hilft zur Klärung. In
Shanghai werden der Wasser-, Gas- und Stromverbrauch bereits
smart aus vorbeifahrenden Autos abgelesen. Spart viel unnützen
Aufwand. Mit Sensoren gespickte Mülltonnen werden nur dann
von derMüllabfuhr geholt, wenn sie richtig voll sind. Top. Aber in
der Überwachung durch Kameras und Sensoren liegt die Gefahr
des Missbrauchs.
In Suzhou wird der Verbrauch zusätzlich durch KI analysiert.
Bei Abweichungen gibt es ein Signal. Es könnten sich ja illegale
Personen in der Wohnung befinden. Verkehrsvergehen sollen
in China zentral erfasst und ausgewertet werden. Wer bei Rot
nicht wartet, bekommt keinen Job, keinen Kredit. Übertreibung?
Nein, ein „Sozialkreditpunktesystem“ ist in Erprobung und soll
bis 2020 landesweit eingeführt werden. Ein Albtraum. Die Smart
City als Suchmaschine in der Hand des Überwachungsstaates.
Die allwissende Diktatorenstadt wird zum größten Monster der
Menschheit, zum gigantischen Overlook-Hotel.
Richard Sennett schreibt dazu: „Informelle soziale Prozesse
sind das Herz der Stadt. […] Technologie muss Teil des Prozesses
sein, welcher der Stadt diese informelle Energie bereitstellt.“
Auch Saskia Sassen betont, dass Technologie tatsächlich den Be-
wohnern dienen muss – besser „soll“ – und nicht umgekehrt.
Ich formuliere es so: Innovationen sind dann gut, wenn sie die
Lebendigkeit und Kreativität, die Vielfalt und den Reichtum un-
terschiedlicher Lebensvorstellungen unterstützen. Innovationen,
die dagegenarbeiten, sind schlecht.
In den Smart-City-Beratungsgremien der EU und der einzel-
nen Staaten sindmultinationale Konzernemit viel Geld in großer
Zahl vertreten. Zivilgesellschaftliche Initiativen hingegen kaum.
Adam Greenfield sieht die Smart City als einen Markt, auf dem
Technologiekonzerne ihre Produkte und Dienste verkaufen kön-
nen. „Von den Stadtbewohnern ist bei denTech-Konzernenwenig
zu lesen. Sie kommen allenfalls amRande vor. Als Konsumenten,
deren Gewohnheiten von technischen Systemen beobachtet und
gegängelt werden.“
GOOGLE CITY
Und jetzt passiert das: Mitten in Toronto direkt am
Hafen baut Google gerade eine ganze Stadt, die Alphabet City.
Der Konzernwird nicht nur die Infrastruktur realisieren, sondern
die neue Stadt für tausende von Bewohnern auch nach eigenen
Regeln zentral verwalten und betreiben. Liefer- undMüllroboter,
selbstfahrende Taxen und allgegenwärtige Vernetzung sollen das
Leben „grüner, effizienter und bequemer“ machen. Finanziert
wird das Projekt durch denHandel mit den Daten der Bewohner.
Der Staat und die gewählten Volksvertreter bleiben draußen.
Ein privates Unternehmenmit kommerziellen Zielen übernimmt.
Das Experiment kann der Anfang vom Ende der pluralistischen,
durchmischten und widerstreitenden Stadtgesellschaft sein, die
sich ihre Umgebung im moderierten Miteinander selber baut.
Muss es aber nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn die öffentlichen
demokratischen Institutionen bei so einer Revolution die Führung
übernähmen. Leider haben hierzulande Politik, Verwaltung und
Immobilienwirtschaft noch nicht viel vorzuweisen.Weder gedacht
noch gemacht. Klar ist, dass die Digitalisierung in der Verwaltung
indenmeistenKommunennochnicht einmal begonnenwurde. Da
denkt man auch erst mal lieber über Personalaufstockungen nach.
BITTE NICHT EINSCHLAFEN
In Deutschland ist die Angst vor Miss-
brauch von Daten groß. Deshalb hat Google seit sieben Jahren
keine Kamerawagen mehr durch die Straßen geschickt und kei-
ne Aktualisierungen von Street View vorgenommen. Veralten
Deutschlands Straßen in der digitalenWelt? Baldwird es aber das,
was nicht digital ist, für ganz, ganz viele Menschen nicht mehr
geben. Und die Smart City der Konzerne oder die der Autokratien
macht auch vor deutschen Grenzen nicht Halt.
Noch haben die Rechtsstaaten Europas mit ihren öffentlichen
Institutionen, der Immobilienwirtschaft und ihren Zivilgesell-
schaften alle Möglichkeiten, offene, faire, demokratische, plura-
listische und symmetrische Visionen für die Stadt der Zukunft
zu entwickeln. Wenn sie dieses kolossale Thema aber nicht aktiv
angehen, werden ihre Regeln und Bedingungen von anderen ge-
macht. Keine schöne Vorstellung für mich.
Innovationen sind gut, wenn sie den Reichtum verschiedener Lebens-
vorstellungen unterstützen. Arbeiten sie dagegen an, sind sie schlecht.
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 mit Helge Schmidt gemeinsam das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
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