DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 9/2015 - page 76

MARKT UND MANAGEMENT
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„Mein Arbeitsplatz war zunächst im Hause der
Weimarer Wohnstätte, die Kollegen nahmen mich
herzlich auf und zogen mit mir und den anderen
Kollegen aus demWesten an einemStrang. Daraus
haben sich eine enge vertrauensvolle Zusammen-
arbeit und viele private Kontakte ergeben“, berich-
tet Veuhoff. „Wir haben geholfen, wowir konnten:
Wenn etwas fehlte, wurde es aus dem Westen ge-
holt, notfalls wurde ein größeres Auto gemietet.
Mein tragbarer DIN-A4-Kopierer machte in vielen
Dienststellen die Runde, Kopierer waren damals
rar“, erinnert sich Veuhoff. „Das Team, alles ge-
standene ‚Liegenschaftler‘, hat sich dann durch die
uraltenAkten gewühlt, zumTeil in Sütterlin undmit
geschwärzten Stellen. Spucken siemal drauf, unse-
re Farbe war schon immer schlecht, tröstete dann
der Archivar. Schlimmer war, dass die Akten zum
Teil totes Archivgut waren, weder gepflegt noch
aktualisiert“, erzählt Veuhoff. Viel detektivische
Kleinarbeit und akribische Recherche sei vonnöten
gewesen, um Ansprüche zu klären.
Nach Antrag und teilweise mündlicher Verhand-
lung bei der Oberfinanzdirektionwurde dann aber
ruckzuck umgeschrieben. „Dass ich vomOberbür-
germeister Siegelvollmacht bekommen hatte, hat
alles vereinfacht und beschleunigt“, berichtet Veu-
hoff. Durch das zügige Verfahren konnte die Stadt
Weimar zeitlich weit vor anderen Kommunen die
Kommunalisierung abschließen. „Nach rund zehn
Jahrenwar dann aber endgültig Schluss, ich konnte
mein Siegel der Stadt Weimar zurückgeben. Ein
Dankschreiben des Oberbürgermeisters gab es im
Austausch. Fürmichwar es in den 40 Jahrenmeiner
Tätigkeit als Liegenschaftler einer der schönsten
Abschnittemeines beruflichen Lebens“, ist die zu-
friedene Bilanz von Franz-Heinrich Veuhoff.
Durchaus auch Schwierigkeiten ...
Wolfgang Kaufhardt war erst 33 Jahre alt, als er
hörte, dass bei demWeimarerWohnungsunterneh-
men ein Fachmann für Vermietung und Kundenbe-
treuung gesucht wurde. „Mit 13 Jahren Erfahrung
in der Bewirtschaftung bei der VEBA in Bochum
fühlte ich mich als alter Hase, traute mir den Job
als Aufbauhelfer zu und schlug ein“, erinnert er
sich. Ganz so einfach ging es dann aber doch nicht.
„Bei der Mitarbeiterschaft war schon eine gewisse
Zurückhaltung zu spüren“, erinnert er sich. „Schon
wieder so ein ‚Besserwessi‘, war die deutlich zu
spürende Einstellung.“ Die Ressentiments lösten
sich langsam auf, die Teilnahme am allmorgendli-
chen gemeinsamen Frühstück war dann der erste
Schritt zum vertrauten Miteinander.
„Vertrauen untereinander, in der DDR keine Selbst-
verständlichkeit, war auch bitter nötig, denn von
den Mitarbeitern wurde praktisch eine Wende
um 180 Grad verlangt“, erzählt Kaufhardt. Der
Kunde sei in der DDR Bittsteller gewesen, hatte
nichts zuwünschen gehabt – geschweige dennmit
Ansprüchen oder gar Beschwerden zu kommen.
Wohnungen wurden nach Gutdünken verteilt.
„Den Begriff ‚Kunde‘ in unserem Sinne gab es
nicht, entsprechend gab es auch kein kunden- oder
dienstleistungsorientiertes Verhalten.“ In unzäh-
ligen Gesprächen und kleinen Rollenspielen hat er
dann versucht, diesen Kulturwandel einzuleiten,
Verständnis für dieWünsche des Kunden geweckt,
gezeigt wie man Mietern etwas abschlägt, ohne
„von oben herab“ zu agieren.
Von der Erfassung der Bestände bis zur Einfüh-
rung einer Datenverarbeitung
Nicht weniger anspruchsvoll war die Neuorga-
nisation aller Arbeitsabläufe in der Wohnungs-
bewirtschaftung. „Strukturiertes Arbeiten mit
klar definierten Aufgaben gab es nicht“, erklärt
Wolfgang Kaufhardt.
Parallel begann die Erfassung der Bestände; erste
Besichtigungen bestätigten die Erfahrungen vieler
Kollegen – die Bücher stimmten nicht. Das Hausmit
vier Wohnungen erwies sich als Sechs-Familien-
Hausmit zwei Garagen. Zwei Mietparteienwohnten
dort quasi inoffiziell, und ohne jemalsMiete gezahlt
zu haben. „Mietrückstände wurden nicht wirklich
verfolgt und in der Regel ausgebucht“, stellte das
Team aus demWesten erstaunt fest.
Eine wohnungswirtschaftliche IT hatte das kom-
munale Unternehmen nicht; 1991 wurde ein Da-
tenverarbeitungssystem eingeführt, Mitarbeiter
geschult. Was sich nicht besonders schwierig
anhörte, erwies sich in der Praxis als Problem:
„Mitarbeiter hatten wenig Affinität zur Technik
und blockierten aus Angst oder Unsicherheit“,
erinnert sich Kaufhardt. Die Mitarbeiter der Ab-
teilung hätten dann sehr individuell an die Hand
genommen werden müssen. Und irgendwann sei
auch das Thema IT erledigt gewesen ...
Nach rund einem Jahr wurde Kaufhardt wieder in
den Westen beordert, um für die VEBA eine Nie-
derlassung im Ruhrgebiet zu übernehmen. Trotz
vieler zeit- und nervenkostender Rückschläge und
Hemmnisse blickt ermit positivenGefühlen auf die
Zeit in Weimar zurück. „Ich hätte die Mitarbeiter
gern länger begleitet, denn die Aufgabe hat auch
Spaß gemacht. Ich konnte viel bewegen und habe
viele schöne Momente mit den Kollegen erlebt.“
Und heute?
Fastalle–auchdienichtzuWortgekommenen–da-
maligen „Entwicklungshelfer“ und „Gastarbeiter“
sind sich einig: DieWende- undNachwendezeitwar
spannend und die gemachten Erfahrungen waren
persönlich bereichernd. Vor allemkonnten sowohl
die in der Transformation befindlichen als auch die
neu entsendenden Wohnungs- und Immobilien-
unternehmen profitieren. Neben der konkreten
Unterstützung und demauch langfristiger wirken-
den Know-how-Transfer entstanden gegenseitiges
Verständnis, Routinen fachlichen und persönli-
chen Austausches sowie das Wissen darum, wie
Zeiten des ökonomischen und demografischen
Strukturwandels, wie Umbrüche und unterneh-
merische Changemanagementprozesse zu gestal-
ten sind. Die GdW-Wohnungswirtschaft ist auch
durch die praktizierte Hilfe und die entstandenen
Kontakte über die Grenzen von Regionen, Bun-
desländern und Verbandsgebieten hinweg rasch
zu einer großen Familie und einem schlagfähigen
Verbund zusammengewachsen.
Wolfgang Kaufhardt
in seinem Büro bei der
Weimarer Wohnstätte
Quelle: privat
„Den Begriff ‚Kunde‘ in unserem Sinne gab es nicht, entsprechend gab es auch
kein kunden- oder dienstleistungsorientiertes Verhalten.“
Wolfgang Kaufhardt
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