DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 9/2015 - page 71

keine intensive Nachfrage mehr. Blätz: „Die Nähe
zu Sachsen-Anhalt, unsere genossenschaftliche
Gesinnung und unser Name ›Wiederaufbau‹ waren
meines Erachtens verpflichtende Argumente, bei
der Integration des Landes Hilfe zu leisten.“
Zurzeit belastet der Wegzug von jungen arbeitsfä-
higenMenschen die sachsen-anhaltinischen Regi-
onen, in denen die Baugenossenschaft ›Wiederauf-
bau‹ eG investiert hat, stark. Die Überalterung ist
deutlich spürbar. Deshalb steht das Unternehmen
vor der Entscheidung, ob an den unterschiedlichen
Standorten gezielt in barrierearme und energieef-
fizienteWohngebäude investiert wird oder ob der
normale Lebenszyklus einer Immobilie akzeptiert
wird. Natürlich ist der weit verstreute Immobi-
lienbesitz für die Bewirtschaftung der Bestände
unverändert eine große Herausforderung.
Aber auch diese Erfahrung teilt die ›Wiederaufbau‹
mit anderen Wohnungsunternehmen mit Streu-
besitz – in Ost- wie in Westdeutschland.
Quelle: Wiederaufbau
waren natürlich besonders engagiert. Magdeburg
war schon vor der Wiedervereinigung Braun-
schweigs Partnerstadt. In meiner aktiven Zeit als
Generalbevollmächtigter der Nord/LB habe ich
in Magdeburg die erste Niederlassung der Bank
von null an mit aufgebaut. Deshalb haben wir uns
auch als ›Wiederaufbau‹ in Sachsen-Anhalt enga-
giert. Nicht, weil wir dort große Geschäftemachen
wollten, sondern vielmehr, um den Menschen zu
helfen, die sich so unendlich freuten, dass sie wie-
der zu uns in die Freiheit konnten.
Blätz:
Ichwar damals Leiter der Firmenkundenbe-
treuung bei der Dresdner Bank in Ulm und unsere
Niederlassung wurde zuständig für Thüringen
und Sachsen. Bereits im Frühjahr 1990 war ich
als „fliegender Firmenkundenbetreuer“ in ganz
Thüringen unterwegs. Fliegend, weil wir unsere
Büros in PKWs und in Hotelzimmern einrichteten.
Die Feierlichkeiten zur Währungsunion konnte ich
in Dresden erleben. Die vielen Gespräche mit Un-
ternehmern und die zumTeil chaotische Situation
im Bankensystemwaren bleibende Momente. Ich
bin glücklich, dass ich diesen historischenMoment
miterleben und die positive Entwicklung teilweise
mitgestalten durfte.
Was war rückblickend absolut richtig und
notwendig? Und was würden Sie heute
anders entscheiden?
Fürst:
Ich denke, wir würden so gut wie alles noch
einmal so entscheiden und realisieren, Aufsichts-
rat und Vorstand es ebenso intensiv und kontrol-
liert umsetzen. Manchmal mussten wir aber die
Mitarbeiter bremsen, die teilweise sehr emotional
bei der Sache waren. Uns ist gelungen, immer die
wirtschaftliche Realität vor Augen zu haben und
nicht einem „Helfersyndrom“ zu folgen.
Wedekin:
Das kann ich bestätigen: Wir würden
das mit vollem Herzen so noch mal machen. Aber
wir würdenmanche Dinge anders machen. Undwir
haben Erfahrungen gesammelt – z. B., dass man
in der ehemaligen DDR das Wohnen in modernen
Bauten mehr schätzte als in Altbauten. Ich ging
damals davon aus, dass man bei den Vermietungen
eher den Altbau in den Vordergrund stellen sollte
– weil das im Westen „in“ war, weil eine schöne
große Altbauwohnung hier mehr Bedeutung hat-
te und hat als eine moderne, vielleicht kleinere
Neubauwohnung. Das war im Osten anders, das
haben wir teilweise auch schmerzlich gemerkt.
Fürst:
Leider zu spät... (lacht)
Wedekin:
... speziell bei zwei Objekten. Man hätte
generell gleich zu Beginn mehr Neubauten reali-
sieren können. Aber das waren Fehler, die man
damals nicht erkennen konnte.
Fürst:
Die Mentalität war anders: Viele wollten
jetzt Veränderung, nicht mehr die „alten“ Sachen.
Welche Strategie werden Sie, Herr Blätz, dort
in den nächsten fünf Jahren verfolgen? Nut-
zen Sie dafür auch Partnerschaften vor Ort?
Blätz:
Ich bin ein großer Freund von Koopera-
tionen und Partnerschaften. Daher schließe ich
nicht aus, dass wir in den nächsten fünf Jahren
weitere Kooperationen zur Bewirtschaftung un-
serer Bestände eingehen werden. Unsere guten
Kontakte zu Kollegen in Sachsen-Anhalt nutzten
wir, um Bestände in Magdeburg und Biederitz zu
veräußern. Unser Portfoliomanagementsystem
„Kompass“ unterstützt uns mit vielen Daten bei
den Investitionsentscheidungen für die Zukunft,
die wir – wenn immer möglich – auch wirtschaft-
lich gestalten müssen. Mehrfach haben wir über
die Zukunft unserer Bestände in Sachsen-Anhalt
nachgedacht und uns abschließend zur Erhaltung
in unserer Genossenschaft bzw. unserer ›Wieder-
aufbau‹ Immobilien GmbH entschieden.
Unterm Strich: Hat sich das Engagement der
›Wiederaufbau‹ – sowohl wohnungs- als auch
sozialpolitisch – in Sachsen-Anhalt gelohnt?
Blätz:
Unterm Strich ist das Engagement der
›Wiederaufbau‹ seinerzeit positiv hervorzuhe-
ben. Sicherlich wäre es aus heutiger Sicht wün-
schenswert gewesen, die Bestände hätten sich auf
weniger Städte und in der Nähe zu Braunschweig
konzentriert. Wer aber möchte denMut der dama-
ligen Entscheidungsträger in diesen Zeiten ernst-
haft in Frage stellen. Am Ende ist sowohl unser
Unternehmen als auch unsere Mieterschaft mit
der Entwicklung zufrieden. Wir dürfen ein wenig
stolz darauf sein, mit einem erheblichen Inves-
titionsaufwand beim Wiederaufbau der neuen
Bundesländer beteiligt gewesen zu sein.
Fürst:
Obwohl nicht alles immer gut gelaufen
ist, wird uns niemand die Freude daran und an
der Wiedervereinigung mehr nehmen können.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Carsten Ens (vdw Niedersachsen
und Bremen).
Wiederaufbau
eG Bestand in der Halberstädter Hans-Neupert-Str. 64. Das Gebäude
aus dem Jahr 1937 mit 57 Wohnungen kaufte das Unternehmen im Jahr 1995 und
sanierte es im Anschluss grundlegend
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