Controller Magazin 3/2019 - page 70

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man als Respiratorische Sinus-Arrhythmie
(RSA). Der offizielle Begriff Arrhythmie ist
nicht wirklich gut gewählt, da das Herz ja wei-
terhin rhythmisch schlägt und sich lediglich
die Herzfrequenz ändert. Das griechische Prä-
fix Eu (  ) bedeutet soviel wie „wohl“ oder
„gut“ (z. B. Euphorie), man müsste daher die
durch die Atmung bedingte Variabilität der
Herzfrequenz eher als „Respiratorische Sinus-
Eurhythmie“ bezeichnen. Um der offiziellen
Terminologie zu folgen, wird hier jedoch weiter
von RSA die Rede sein. Was zeigt sich nun,
wenn die Ein- und Ausatmung keine Modulati-
on der Herzfrequenz mehr bewirkt? Ein altes
chinesisches Sprichwort (über 1700 Jahre alt)
sagt sinngemäß: „Wenn der Herzschlag so mo-
noton wird wie das Klopfen eines Spechts oder
das Tröpfeln von Regentropfen auf dem Dach,
stirbt der Patient innerhalb weniger Tage“
(Wang Shuhe, chinesischer Arzt, ca. 300 n.
Chr.). Diese Beschreibung passt zu einer extre-
men Dominanz des Sympathikus, der zwar
prinzipiell die Herzfrequenz ansteigen lässt,
dabei aber keine Variabilität mehr ermöglicht.
Im Gegensatz dazu spricht eine hohe Variabili-
tät der Herzfrequenz für eine gesunde Aktivität
des Parasympathikus, die Fähigkeit, „sehr
schnell auf die Bremse treten zu können“.
Gestresste Menschen haben eine
niedrige Herz-Raten-Variabilität
Vergleicht man nun die HRV eines sehr ge-
stressten Menschen mit der einer Person, die
wird gefördert und auch der Schlaf steht unter
der Vorherrschaft des Parasympathikus.
Variabilität der Herzfrequenz –
ein wichtiger Gesundheits­
indikator
Eine Möglichkeit, das Zusammenspiel von
Sympathikus und Parasympathikus indirekt zu
beobachten, stellt die Variabilität der Herzfre-
quenz dar (Herz-Raten-Variabilität = HRV).
Was ist damit gemeint? Um das Phänomen
der HRV an sich selber zu erleben, kann man
einmal für einige Minuten den eigenen Puls
tasten und darauf achten, wie sich die Herz-
frequenz während dieser kurzen Messung
ständig verändert. Im gesunden Zustand
steigt bei der Einatmung die Herzfrequenz und
sinkt bei der Ausatmung, d. h. die Herzfre-
quenz ist variabel und wird in diesem Fall von
der Atmung moduliert. Eine Variabilität der
Herzfrequenz ist wichtig für die Gesunderhal-
tung des Organismus. Die Modulation der
Herzfrequenz durch die Atmung bezeichnet
sische Sprachgenius bezeichnet das Arbeits-
feld des Sympathikus als „fight or flight“, das-
jenige des Parasympathikus als „rest and di-
gest“. Fühlen wir uns angegriffen und bedroht,
so kämpfen wir oder fliehen – das hat sich tief
in unser Nervensystem eingegraben und der
Menschheit seit Urzeiten das Überleben gesi-
chert. In beiden Fällen (kämpfen oder fliehen)
müssen wir schlagartig aktiv sein, die Herzfre-
quenz steigt (hat aber dabei nur eine geringe
Variabilität), die Atemwege werden geweitet,
die Muskulatur wird angespannt, die Verdau-
ung wird gedrosselt, Schlafen ist nicht ange-
sagt. Probleme entstehen, wenn dieser Zu-
stand nicht wieder zurück reguliert wird. Wir
leben heute in einer Zeit und Arbeitswelt, die
eher hyper-sympathikoton ist, d. h. den Sym-
pathikus chronisch überaktiviert. Im Gegen-
satz dazu (rest and digest) wird durch den Pa-
rasympathikus alles gefördert, was Ruhe in
den Organismus bringt und die Regeneration
fördert (eine nützliche „Aktivitäts-Bremse“) –
die Herzfrequenz kann schnell herunterregu-
liert werden (und bekommt damit die Möglich-
keit einer hohen Variabilität), die Verdauung
Autor
Dr. med. Jan Vagedes M. A.
ist Wissenschaftlicher Leiter am ARCIM Institute, Wissen-
schaftlicher Mitarbeiter an der Universität Tübingen und
Leitender Arzt, Abteilung Pädiatrie, Filderklinik.
E-Mail:
Tel.: +49 711-7703-1270
Gesundheit will controlled sein
Abb. 1: Herz-Raten-Variabilität
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