Controller Magazin 4/2017 - page 58

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Anderl/Reineck:
Wach heißt reflexiv. Sie sol-
len einen
reflektierten Blick auf den Markt
und ihre eigene Organisation
haben. Sie
müssen in der eigenen Organisation die Mög-
lichkeit haben, ihre Perspektive einzubringen
und bei der Gestaltung des Unternehmens
wirksam zu werden. Wir glauben – und da
sind wir in einer guten deutschen Tradition
von Habermas unterwegs –, dass in guter
Kommunikation sehr kluge und gute Ergeb-
nisse gewonnen werden können.
Digitalisierung von Change-
projekten und Kommunikation
Biel:
Und wie sind Sie darauf gekommen, die
Digitalisierung für Ihre Arbeit zu nutzen?
Anderl/Reineck:
Wir haben uns u. a. gefragt:
Wie können gute Kommunikations-Situati-
onen geschaffen werden?
Dabei sind wir auf
die digitalen Themen gestoßen.
Biel:
Können Sie uns dies an Beispielen ver-
deutlichen?
Anderl/Reineck:
Gerne. Was nutzt es denn,
wenn ein
Callcenter-Mitarbeiter
von Kunden
immer wieder die gleichen Beschwerden er-
hält, aber intern nicht gehört wird, wenn es da-
rum gehen könnte, die Ursache für die Proble-
me zu beseitigen. Was nutzt es denn, wenn
Unternehmen kluge junge Leute mit einer an-
deren
Kommunikationskultur
einstellen,
aber dann mehr Energie darauf verwendet
wird, sie in die bestehende Kultur des Unter-
nehmens zu integrieren statt die neuen Impul-
se, die sie vermitteln könnten, für eine Kultur-
veränderung zu nutzen.
Biel:
Verstehen wir Sie richtig, dass Sie über
neue Formen und Strukturen die Wirksamkeit
der betrieblichen Kommunikation verbessern
wollen? Gestalten Sie, wie kommuniziert wird?
Anderl/Reineck:
Es geht uns darum, prakti-
ziertes, verborgenes oder auch verschüttetes
Wissen in der Organisation und für die Orga-
nisation auszugraben, lebendig zu machen
und in den Vordergrund, in die Aufmerksam-
keit zu heben. Das kann nur über Kommunika-
tion gehen – und zwar in der Weise,
dass
gaß, die Menschen einzubeziehen
. Dies
führte dann dazu, dass die Umsetzungsbera-
ter hinzugeholt wurden. D. h. viele (Verhal-
tens-)Trainer bzw. Coaches wurden geholt,
um bei der Umsetzung der Überlegungen der
harten Berater zu helfen. Solche Leute nann-
ten sich dann Prozessberater. Entweder wa-
ren sie als eigenständige Beratungen unter-
wegs oder als Anhängsel in großen Unterneh-
mensberatungen.
Biel:
Galt oder gilt in der Praxis die „Einbahn-
straße“ von oben nach unten?
Anderl/Reineck:
Galt in den Neunzigern noch
die Devise, die Führungskräfte entwickeln
eine Vision und kommunizieren sie, so gilt heu-
te für uns die Devise für neue Arbeitsformen,
dass andere Lösungsstrategien gesucht wer-
den müssen: Nicht die Lösung kommt von
oben, sondern man
muss nach Innovatoren
und Impulsgebern in der eigenen Organisa-
tion suchen
.
Biel:
Nach klassischem Verständnis ist ein Pro-
jekt ein zeitlich befristetes, relativ innovatives
Vorhaben. Passt dieses Projektverständnis
überhaupt noch in Zeiten des ständigen und
immer schnelleren Wandels?
Anderl/Reineck:
Ihre Frage ist berechtigt.
Für Changeprojekte gilt das schon lange nicht
mehr. Sie werden aber immer noch so ge-
nannt und damit die Hoffnung genährt, ir-
gendwann könne man mal wieder normal ar-
beiten. Aber alle erleben es:
Change – ver-
standen als die permanente Anpassung
der
Prozesse, Struktur und Kultur an die
Umwelt
hört in der VUCA-Welt
(der Be-
griff VUCA fasst die Herausforderungen zu-
sammen, denen sich Unternehmen in einer
zunehmend digitalisierten Welt stellen müs-
sen)
nie mehr auf
. Wir haben den Begriff
Passagement
geprägt, weil wir denken, dass
es gar nicht um Veränderungsprojekte und
-prozesse geht, sondern um eine
permanen-
te Anpassung
des Unternehmens an seine
Umwelt. Und das kann nur geschehen mit wa-
chen Menschen.
Biel:
Welche Erwartung stellen Sie an „wache
Mitarbeiter“?
Biel:
Gibt es also unterschiedliche Zustände
und Ausprägungen der Digitalisierung? Wie
weit müssen wir differenzieren?
Anderl/Reineck:
Ja, wir erleben, dass es
ver-
schiedene Reifegrade
gibt in den Unterneh-
men, die wir inzwischen auch beschreiben kön-
nen und versuchen, vergleichend zu messen,
wie weit die Digitalität der Einzelnen bzw. der
Organisation fortgeschritten ist, und auf wel-
chem Niveau sich diese insgesamt bewegt.
Biel:
Das klingt spannend, bitte konkretisieren
Sie Ihre Aussage.
Anderl/Reineck:
Wir reden mit den Leuten
und finden gemeinsam heraus,
wie ausge-
prägt ist die digitale Kultur
, wie viel Lust haben
die Leute da drauf, wie kennt man sich dabei
z. B. auch privat aus. Wir fangen an, Vergleichs-
gruppen aufzubauen, und entwickeln dement-
sprechende Vorgehensweisen, wie man intern
für mehr digitale Kommunikation sorgen kann.
Wir entwickeln gerade eine Typologie, die ist
aber noch nicht druckreif.
Besonderheiten
von Changenprojekten
Biel:
Sie arbeiten im Bereich Changenprojekte.
Bitte lassen Sie uns daher fragen, welche Kom-
munikations- und Gestaltungsanforderungen
sind an Lern- und Veränderungsprozesse zu
richten? Gibt es dafür ein „Dialogdesign“?
Anderl/Reineck:
Lassen Sie uns kurz zu-
rückblicken: In den neunziger Jahren und viel-
leicht bis heute gab und gibt es
viele Verän-
derungsprozesse, in denen Abläufe und
Strukturen verändert wurden bzw. wer-
den
. Meist geschah oder geschieht das in der
Form, dass sich die Unternehmensentwickler
und Strategie-Berater zusammensetzen und
darüber nachdenken, wie es anders laufen
könnte, und nach getaner Tat die Menschen in
unterschiedlicher Art und Weise aufgefordert
wurden, das Neue jetzt auch umzusetzen.
Biel:
Wo liegen nun aus Ihrer Sicht die Probleme?
Anderl/Reineck:
Die Misserfolge der Kon-
zept-Berater bestanden darin, dass
man ver-
Digitalisierung von Changeprojekten
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