CONTROLLER Magazin 6/2017 - page 45

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Wettbewerbssituation oder Produktionsqualität
sind alles keine Themen, bei denen der Erwar-
tungswert der Planungen immer eingetroffen
ist. Dennoch war die Streuung der Werte über-
schaubar. Nur ein einziger Bereich im Unter-
nehmen musste schon immer mit hoher Unsi-
cherheit zurechtkommen: die Forschung & Ent-
wicklung. Hier spielten Controller häufig keine
wichtige Rolle.
In einem digitalen Umfeld ist Unsicherheit aller-
dings eine zentrale Größe. Nehmen wir als Bei-
spiel die Start up-Szene. Nur wenige Gründun-
gen schaffen ihren Durchbruch (wie z. B. Zalan-
do). Sehr viele verschwinden nach kurzer Zeit
wieder. Was bleibt, ist der Verlust des investier-
ten Kapitals. Das ist ganz ähnlich wie in der
Pharma-Forschung: Von vielen hoffnungsvollen
neuen Wirkstoffen schaffen es nur ganz wenige
bis zur Zulassung. Diese müssen all die geschei-
terten Versuche mitfinanzieren. Insofern ist das
Portfolio das Objekt der Steuerung, nicht das
einzelne Projekt. Es geht dann um Themen wie
„fail fast“ und die Beurteilung des Projektteams
als zentraler Erfolgsfaktor. Für die meisten Con-
troller ist dies ein ganz ungewohntes Feld.
Unterschiedliche
Koordinationsmechanismen
und ihr Zusammenwirken
Eng damit verbunden ist das Problem, das neue
digitale Geschäft mit dem „traditionellen“ zu
verbinden. Digitale Veränderungen erfolgen
selten so, dass sie das bestehende Geschäft
„auf einen Schlag“ ersetzen. Zumeist kommt es
zu einem Nebeneinander und einer Co-Evoluti-
on (wie z. B. in Teilen des Handels, wo stationä-
rer Verkauf mit einer Internet-Plattform verbun-
den wird). Unternehmen müssen dann so et-
was wie eine „wirtschaftliche Sonderzone“ für
den digitalen Emporkömmling einrichten, der
nicht genauso gesteuert werden kann wie das
traditionelle Geschäft. Inhaltlich muss sicherge-
stellt werden, dass die im digitalen Bereich er-
zielten Lerneffekte systematisch berücksichtigt
werden, sei es in Richtung einer konsequenten
Ablösung („Kannibalisierung“), sei es als eine
auf Dauer bestehende, miteinander verbunde-
ne Parallelwelt. Bezogen auf die Steuerung sind
zwei Logiken gleichzeitig zu betreiben. Nur die
wenigsten Controller haben hiermit Erfahrung.
Veränderungsmanagement
Unabhängig davon, wie die durch Digitalisie-
rung verursachte Entwicklung genau verlaufen
wird, ist sicher, dass erhebliche Veränderungen
zu bewältigen sein werden. Mit Veränderungs-
management kennen sich die meisten Control-
ler nicht hinreichend aus. Auf dieses Thema
muss ich an dieser Stelle aber nicht genauer
eingehen. Es war Inhalt meiner Kolumne im
Controller Magazin Mai/Juni 2017.
Organisation
Sollte die Rolle des Steuerers der Digitalisie-
rung durch Controller, andere bestehende Be-
reiche oder aber ganz neue Akteure im Unter-
nehmen besetzt werden und wie umfangreich
soll sie ausfallen? Um diese Frage beantworten
zu können, ist fundiertes organisatorisches
Wissen erforderlich. Controller sollten sich hier-
zu im ersten Schritt Klarheit darüber verschaf-
fen, warum sie über die Zeit immer mehr Auf-
gaben übernommen haben. Diese Entwicklung
lässt sich an der Rollenentwicklung festma-
chen, die jeder Controller kennt: Vom Erbsen-
zähler (bzw. „Herren der Zahlen“) über den Na-
vigator hin zum Business Partner. Zentraler
Grund für die Entwicklung war zum einen der
enge inhaltliche Zusammenhang der wahrzu-
nehmenden Aufgaben. Zum anderen wurden
den Controllern die zusätzlichen Aufgaben von
keinen anderen internen Stellen streitig ge-
macht. So waren und sind z. B. die Rechnungs-
legungskollegen zu weit von den internen Ge-
schäftsprozessen entfernt.
Wird sich die Aufgabenausweitung nun auch
bei den neuen Aufgaben fortsetzen? Wie eng
sind diese am bisherigen Aufgabenspektrum?
Wenn die Antwort eng genug lautete, stellte
sich als Anschlussfrage, ob die Controller
schnell genug lernen können. Hier ist die Ant-
wort in meinen Augen offen. Die von mir skiz-
zierten neuen fachlichen Herausforderungen
sind sehr weitreichend. Dazu kommt noch der
Bedarf an neuem instrumentellen Wissen
rund um data analytics. Vermutlich würde es
den Controllern niemand übelnehmen, wenn
diese sich damit überfordert fühlten. Dann
wäre Spezialisierung der bessere Weg, da sich
auch niemand anderes im Unternehmen an-
bietet, das gesamte Spektrum abzudecken.
Exakt an dieser Stelle haben wir den aktuellen
Diskussionsstand eingefangen: Kann die Ein-
richtung der Stelle eines Chief Digital Officers
das Problem lösen? Wo wäre diese Stelle or-
ganisatorisch aufzuhängen? Beim CEO, beim
CFO, dezentral in den Linien? Wie kann aus
dieser Aufstellung heraus die Koordination
konkret stattfinden? Wie eng sollten Control-
ler mit dieser Stelle zusammenarbeiten? Dies
belegt nachhaltig: Wenn Controller auf dem
Feld der Steuerung der Digitalisierung mit-
spielen wollen, benötigen sie fundierte organi-
satorische Argumentationsfähigkeiten!
Insgesamt hängt die Latte für Controller also
hoch. Die Steuerung der Digitalisierung ist ext-
rem spannend und herausfordernd zugleich.
Controller haben zumindest eine Chance, die
Rolle „des“ digitalen Steuerungs-Beraters des
Managements einzunehmen. Schafften sie es,
wäre das auch aus der Sicht der Profession er-
freulich, da hier ein – zumindest teilweiser – Er-
satz für die auf Sicht wegfallenden transaktio-
nalen Stellen zu finden ist. Umgekehrt könnte
eine neu gebildete digitale Organisationeinheit
auch Business Partner-Aufgaben der Controller
an sich ziehen. Daraus könnte eine potente in-
terne Konkurrenz für Controller erwachsen –
mit ungewissem Ausgang. Davor ist derjenige
am besten geschützt, der den skizzierten Lern-
prozess ganz konsequent angeht. Meine Emp-
fehlung dürfte klar sein ...
Autor
Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Weber
ist Direktor des Institus für Management und Controlling
(IMC) der WHU – Otto Beisheim School of Management Cam-
pus Vallendar, Burgplatz 2, D-56179 Vallendar;
edu/controlling. Er ist zudem Vorsitzender des Kuratoriums
des Internationalen Controller Vereins (ICV).
E-Mail:
CM November / Dezember 2017
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