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und Leistungen verfügen dürfen. Damit sie in
unsere Produkte oder Leistungen einfließen.
Damit die anderen Menschen mit ihren Emp-
fehlungen und Aktivitäten unsere Ziele unter-
stützen. Es ist – wenn der Vergleich erlaubt sei
– wie in einer guten Küche. Kann ich ein wert-
volles Gericht kreieren aus billigen Zutaten?
Dabei müssen immer zwei Fragen zugleich
geklärt werden: Wie wollen wir kooperieren?
Und wie wollen wir die Ergebnisse der Koope-
ration verteilen? Das ist eine zwiespältige Ge-
mengelage.
Der erste Teil erfordert wenigstens ein Min-
destmaß an Vertrauen und gegenseitiger An-
erkennung. Selbst wenn beides „mit der Peit-
sche“ erzwungen wird. Zum Schluss müssen
die beteiligten Menschen irgendwie miteinan-
der auskommen. Denn ohne Zusammenarbeit
entsteht erst gar kein Einkommen. Da werden
Schicksale geschrieben. Schließlich geht es
um Verfügungsmacht. Das spüren wir ganz
persönlich. Wenn wir uns unterordnen müs-
sen. Unter die Ansage eines Managers. Oder
eines Käufers. Oder eines großmäuligen Kriti-
kers. Wenn wir uns ohnmächtig fühlen. Das
spüren wir aber auch, wenn wir selber Macht
ausüben können. Wenn wir über andere ver-
fügen dürfen. Als Vorgesetzte. Oder als Ein-
käufer. Oder als jemand, der Urteile fällen
darf. Das können wir täglich erleben. An uns
selber. Und in unserem engsten Umkreis.
Wir können natürlich auch „die Peitsche“
weglassen und zivilisiert miteinander umge-
hen. Auf Augenhöhe. Auf der Basis von ge-
genseitigem Respekt und gegenseitigem Vor-
teil. Das schließt Konflikte nicht aus. Aber es
beeinflusst die Art, wie wir sie lösen. Diese
Art der Zusammenarbeit scheint auf dem Vor-
marsch zu sein. Leider nicht überall. Aber
wenn ich meinen eigenen Erfahrungen im
Umgang mit zahlreichen Unternehmen oder
den vielen Berichten in den Medien und Pub-
likationen folge, wird es allmählich besser. In
der modernen Welt. Die durch Vernetzung
und Digitalisierung geprägt wird. Durch Inno-
vationen und weltweite Marken. Durch Trans-
parenz und globale Zusammenarbeit. In einer
solchen Welt wird „die Peitsche“ immer mehr
zu einem Relikt der Vergangenheit. Und was
viel wichtiger ist – zum Wettbewerbsnachteil.
Allen Intrigen und Täuschungsmanövern und
politischen Ränkespielen zum Trotz.
Sobald sich die Wettbewerbsbedingungen in
einem nennenswerten Maße so verändern,
dass „Augenhöhe“ den Geschäften besser
bekommt als „die Peitsche“. Sobald der zivili-
sierte Umgang mit den Risiken der Verfü-
gungsmacht eine spürbar bessere Positionie-
rung erlaubt. Sobald Eigenständigkeit und
Flexibilität signifikante Vorteile bringen ge-
genüber Befehl und Gehorsam. Dann entfal-
ten derartige Entwicklungen eine normative
Kraft. Denn wo Preis und Geld im Spiel sind,
geht es immer „ums Geschäft“. Um den
Wechsel von Verfügungsmacht. Um die Kon-
ditionen für diesen Wechsel und die Zeit da-
zwischen. Und was das bedeutet für alle Be-
teiligten. Wenn es um Einkommen geht. Denn
Einkommen entsteht aus Kooperation.
Und damit sind wir beim zweiten Teil. Der Ver-
teilung des Einkommens. Meist konzentriert
sich die ganze Wucht der ideologisch aufgela-
denen Auseinandersetzungen auf diese Fra-
ge. Wer bekommt wieviel vom Fell des Bären.
Und wie ist das Vermögen verteilt? Darüber
wird oft vergessen, dass man den Bären erst
erlegen muss, bevor man sein Fell aufteilen
kann. Wer im Verteilungsstreit die Atmosphä-
re zu sehr vergiftet, darf sich nicht wundern,
wenn die Kooperation bei der Jagd nach dem
Bären darunter leidet. Dass dabei Machtfra-
gen im Spiel sind, wie im ersten Teil, muss
wohl nicht weiter erläutert werden. Denn auch
Verteilung dreht sich um Verfügungsmacht.
In irgendeiner Weise wird jeder mit diesen Di-
lemmata konfrontiert, der sein Einkommen
aus Kapitalvermögen zieht. Und das betrifft
zumindest in den entwickelten Ländern dieser
Erde den ganz überwiegenden Teil aller Men-
schen. Solange dabei eine halbwegs stabile
Balance der verschiedenen Interessen ge-
wahrt werden kann, besteht die Chance auf
steigende Einkommen. Durch verbesserte
Kooperation. Jede Unwucht hingegen schmä-
lert diese Chancen. Weil die Kooperationsbe-
reitschaft beschädigt wird. Weil Wut entsteht
oder Apathie, wenn die verschiedenen Inter-
essen zu unausgewogen bedient werden.
Oder die Verfügungsmacht über die Beteilig-
ten zu ungleich verteilt ist. Und bei zu krassen
Unterschieden mehr Kraft in die Verteilungs-
kämpfe fließt als in die Kooperation zur Erzeu-
gung von Einkommen. Und die innovativen
Potenziale der beteiligten Menschen sich eher
auf die Formen des Kampfes gegeneinander
als auf jene der Zusammenarbeit orientieren.
Wenn dann die Einkommen insgesamt zu-
rückgehen, werden die Kämpfe noch härter.
Daraus entsteht schnell ein Teufelskreis. Man
muss kein Ideologe sein, um die Gefahren
derartiger Ungleichgewichte zu sehen. Oder
die Vorteile von Interessenausgleich und sozi-
alem Frieden. Wer da von sachlichen Zwän-
gen spricht, verleugnet die Realität. Wenn es
um Kapitalvermögen geht. Um die Erzeugung
und Verteilung von Einkommen. Dann geht es
immer um das Verhalten und die Befindlich-
keiten von Menschen. Dann geht es immer
um die Verfügungsmacht über ein Netzwerk
von Interessen. Dann geht es immer darum,
wie wir auf die Balance der Interessen Ein-
fluss nehmen. Welche Machtpotenziale wir
dabei mobilisieren können. Und wie wir diese
Potenziale einsetzen. Das ist nie sachlich. Und
nie objektiv. Sondern immer ein Ergebnis so-
zialer Auseinandersetzungen. Das Controlling
kann sich da nicht heraushalten. Es ist Teil
dieser Auseinandersetzung. Und seine vor-
nehmste Aufgabe besteht darin, auf eine ein-
kommensfördernde Balance der Interessen
aller Beteiligten zu achten. In gewisser Weise
ist das der Kern guten Controllings.
Autor
Dr. Walter Schmidt
Executive Advisor des Vorstands und Fachdelegierter im Inter-
nationalen Controller Verein (ICV) e. V.
E-Mail:
CM November / Dezember 2017