CONTROLLER Magazin 6/2017 - page 57

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können, etwa ein Systemversagen aufgrund
der zunehmenden Komplexität mit den stei-
genden Instabilitäten im europäischen Ver-
bundsystem (Überlastung von Teilen des
Stromnetzes, ungleiche Lastverteilungen), Ex-
tremwettereignisse (z. B. Eisregen, Hochwas-
ser, Hitzewellen, Muren), schwere Erdbeben,
Terroranschläge auf wichtige Infrastruktur-
komponenten, Cyber-Angriffe (wie am
23.12.2015 in der Ukraine) oder auch exotisch
anmutende Ereignisse wie Sonnenstürme, wo
durch einen Elektromagnetischen Puls (EMP)
elektrische Anlagen zerstört werden können
(zuletzt großflächig 1989 in Kanada).
Kumulation von Einzelereignissen
Die Netzbetreiber unternehmen alles, um ein
solches Ereignis zu verhindern. Daher führt
auch nicht ein Einzelereignis zu einem solchen
Kollaps, sondern die Kumulation von an und für
sich beherrschbaren Einzelereignissen zum fal-
schen Zeitpunkt, wie zuletzt am 4. November
2006, wo es zur bisher größten Großstörung im
europäischen Stromversorgungssystem kam.
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Binnen 19 Sekunden zerfiel das europäische
Stromnetz in drei Teile, wobei in Westeuropa
rund 10 Millionen Menschen völlig ohne Strom
waren. Damals gelang es mit viel Glück, die
Situation rechtzeitig zu stabilisieren und ein
Blackout zu verhindern. Unter den heutigen
Rahmenbedingungen rechnet jedoch kaum ein
Techniker mehr damit, dass das ein zweites
Mal gelingen könnte. Zudem verändern sich die
Rahmenbedingungen rasant und weitreichend,
etwa durch Markteinflüsse („Unbundling“,
Energy-Only-Markt) oder durch die Dezentra-
lisierung der Erzeugung. Das europäische
Stromversorgungssystem wurde jedoch für ein-
fach berechenbare und steuerbare Großkraft-
werke errichtet.
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Auslöser ist entscheidend
Zum anderen hängt die Größe des betroffenen
Gebietes als auch die Dauer eines solchen Aus-
falls wesentlich vom Auslöseereignis ab, bzw.
ob dabei wichtige Infrastrukturkomponenten
zerstört wurden. Ein Systemversagen würde
zwar weite Teile Europas mitreißen, jedoch in
absehbarer Zeit wieder behebbar sein. Die Fol-
gen eines erfolgreichen Cyber- oder Terror-An-
griffes sind hingegen kaum abschätzbar. Nach-
dem die Dauer im Vorhinein kaum eingrenzbar
ist, geht es daher vorwiegend darum, den kriti-
schen Zeitpunkt, ab wann das Gesellschafts-
leben völlig entgleist, hinauszuschieben. Die
hier angestellten Betrachtungen beziehen sich
daher auf den „Best Case“.
Auswirkungen eines Blackouts
Ein großräumiger Strom- und Infrastruktur-
ausfall mit seinen weitreichenden Folgen ist
für uns kaum vorstellbar. Viele Menschen ha-
ben bereits lokale/regionale Stromausfälle er-
lebt und schließen daraus, dass ein Blackout
einfach etwas großflächiger ausfällt, was je-
doch ein weiterer gefährlicher Trugschluss ist.
Denn bei einem Blackout wird auch zeitnah
eine Kettenreaktion in den anderen Infrastruk-
tursektoren ausgelöst. Beginnend im Telekom-
munikationssektor (Mobilfunk, Festnetz, Inter-
net), womit die zwei wichtigsten Infrastruktu-
ren unseres modernen Lebens betroffen sind
und ausfallen. Das führt dann dazu, dass so
gut wie alle anderen Infrastrukturen auch nur
mehr eingeschränkt verfügbar sind, bzw. so-
gar ganz ausfallen. Beispielsweise das Finanz-
system (Bankomaten, Kassen, Geld- und Zah-
lungsverkehr), der Verkehr generell und damit
die gesamte Versorgungslogistik (Ampeln,
Tunnel, Bahn, fehlende Treibstoffversorgung,
Datenverbindungen, etc.), bis hin zu regiona-
len Wasserver- und Abwasserentsorgungs-
ausfällen. Ganz abgesehen von tausenden
Menschen, die in Aufzügen oder im Winter auf
Ski-Liften festsitzen. Unser Alltag kommt sehr
rasch völlig zum Erliegen.
Exponentielle Entwicklungen
Zu Beginn wird sich ein Blackout nicht großar-
tig von einem gewöhnlichen lokalen Strom-
ausfall unterscheiden, jedoch werden sich die
Auswirkungen mit jeder Stunde, bildlich dar-
gestellt, verdoppeln.
Diese exponentiellen
Entwicklungen werden massiv unter-
schätzt.
Wer hier nicht die „Golden Hour“
nutzt, wird der negativen Lageentwicklung
nicht mehr hinterherkommen. Das kann aber
nur funktionieren, wenn man sich im Vorfeld
mit diesem Thema umfassend auseinander-
gesetzt und entsprechende Maßnahmen ge-
troffen hat. Hierzu sind vor allem Offline-Pläne
Abb. 1: Exponentielle Entwicklung Blackout
CM November / Dezember 2017
1...,47,48,49,50,51,52,53,54,55,56 58,59,60,61,62,63,64,65,66,67,...116
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