Controller Magazin 3/2017 - page 43

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einen sicheren Rahmen mit funktionellen
Strukturen und die Möglichkeit zum ‚emotiona-
len Nachdenken‘ gebildet.“ (Lohmer & Möller
2014, S. 36,37). Dieses Modell des Contain-
ment wurde aus der Erforschung der psychi-
schen Abläufe in der Beziehung zwischen Mut-
ter und Säugling gewonnen. Es beschreibt die
grundlegenden Prozesse in der Entstehung so-
wie Aufrechterhaltung der Fähigkeiten zum
Denken, des Selbsterlebens und der Regulati-
on von Affekten – und es kann auf alle über die
gesamte Lebensspanne relevanten sozialen
System bis hin zu Institutionen übertragen wer-
den. Die Rolle des Containing in Organisatio-
nen kann dabei nicht nur durch die Führung,
sondern auf der Ebene der Mitarbeiter auch
durch sogenannte ‚Containment-Leader‘ (vgl.
Lohmer 2005) gewährleistet werden. „Diese
‚Containment-Leader‘ benötigen keine heraus-
gehobene Führungsfunktion, können ‚einfa-
che‘ Teammitglieder sein, müssen nicht ‚er-
nannt‘ werden, sondern kristallisieren sich im
Gruppenprozess immer wieder heraus. Sie
sind häufig besonders engagiert und an den In-
teressen der Gesamtorganisation interessiert –
jede Organisation ist auf diese ‚informellen
Rollen- und Kulturträger‘ angewiesen, um
die alltäglichen Systemschwankungen
auszugleichen und die positive ‚Moral‘ zu
stärken.
Auf der unbewussten Gruppenebene
sind sie ... in der Lage, beruhigend und integ-
rierend mit Spannungen, Aggression und
Angst umzugehen und immer wieder den As-
pekt der ‚Realitätsprüfung‘ zu vertreten. Füh-
rung und Gefolgschaft müssen es erlauben
und zulassen, dass Containment in einer Orga-
nisation geschehen kann – beide können es
aber auch erfolgreich verhindern!“ (Lohmer &
Möller 2014, S. 37)
Closing the Tactical Gap –
Auswirkungen auf ein modernes
Change Management
Wie können diese Erkenntnisse nun fruchtbar
in die betriebliche Praxis des Change Manage-
ment eingehen?
Aus unserer Sicht ist eine
explizite taktische Planung – die sowohl
die sachlich-zieltransformierende Facette
als auch die psycho-soziale Facette umfaßt
– erfolgsentscheidend für die Strategie-
umsetzung.
Gefolgschaft
, die durch wechselseitige pro-
jektive und introjektive Prozesse geprägt sind
(vgl. Kernberg 2000). Dafür ist es notwendig,
die Bedeutung von Arbeitsprozessen, Hierar-
chien und Kommunikations- sowie Machtstruk-
turen in einer Organisation zu verstehen und zu
gestalten. Für die Psychologie bedeutet dies,
das Erleben und Verhalten von Individuen vor
dem Hintergrund ihrer spezifischen Position in-
nerhalb einer organisatorischen Struktur zu be-
greifen. Die Befindlichkeit Einzelner bis hin zu
auffälligen, psychischen Phänomenen werden
so gesehen nicht als Eigenart, Schwäche oder
gar Erkrankung gesehen, sondern als Effekt
des Funktionierens Einzelner innerhalb eines
Systems von Prozessen. Man spricht hier von
der sogenannten
‚Organisation in Mind‘
.
Auf
der Grundlage einer belastbaren sowie
gleichzeitig dynamischen, flexiblen organi-
satorischen Struktur sowie einer guten
Führung können Ängste sowie Spannung
ausgehalten werden.
Modell des „Containment“
Im Anschluss an das wirtschaftswissenschaft-
liche Konstrukt der ‚Dynamic Capabilities‘ (vgl.
Teece 2009) kommt hierbei auf der psycholo-
gischen Ebene ein Moment zur Geltung, das
nach Bion (1961) ‚negative capability‘ oder
auch ‚die Beziehung von
Container und Con-
tained
‘ (Containment) genannt wird. In diesem
Modell, „angewandt auf Organisationen, ist es
vor allem die Aufgabe der Führung, Spannun-
gen, Ängste und Krisen zunächst stellvertre-
tend für die Mitarbeiter wahrzunehmen, aufzu-
nehmen und zu verarbeiten und damit ein Ge-
fühl basaler Sicherheit zu gewährleisten. ...
(Die Führung) ermöglicht einen psychischen
Raum des Containments, der genügend Schutz
bietet, damit Mitarbeiter sich auf ihre Arbeit
konzentrieren können. Containment wird durch
Angst
besagt, dass jede Organisation eine
primäre Aufgabe hat, die in der Natur der je-
weiligen Arbeit liegt und bei gutem Funktio-
nieren der Organisation einem produktivem
Zweck dient, aber auch mit spezifischen Risi-
ken und damit Ängsten einhergeht. Die Kre-
ditabteilung einer Bank hat beispielsweise die
Aufgabe, mit Kreditabschlüssen möglichst viel
Profit zu erwirtschaften, während sie stets mit
einem Entscheidungsdilemma zwischen zu
riskanten und zu wenigen Vertragsabschlüs-
sen umzugehen hat. Die Station einer Klinik
hat die Aufgabe, bestmöglich der Gesundheit
ihrer Patienten zu dienen, d. h. den Patienten
in einer gesundheitsförderlichen Weise zu be-
gegnen, während der Kontakt mit zum Teil
schwerkranken Menschen verschiedene
Ängste (z. B. vor eigener Erkrankung oder vor
Aggression) auslöst. Die mit der primären Auf-
gabe verbundenen Ängste führen zu unter-
schiedlichen Abwehrmechanismen (z. B. Ver-
leugnung, Rationalisierung, Spaltung, Diffusi-
on von Verantwortung, Hinauszögern von Ent-
scheidungen), die wiederum zu weiteren
sekundären Ängsten (z. B. vor Benachteili-
gung oder Ausschluss) führen.
Die Abwehr der Ängste bindet dabei Ressour-
cen, behindert die Erledigung der primären Auf-
gabe, bis hin zu dem Punkt, an dem die Abwehr
der Angst die primäre Aufgabe ersetzt.
Ent-
scheidend im Verständnis dieser Angst ist,
dass sie nicht durch spezifische Problema-
tiken des Arbeitsplatzes, sondern durch die
Natur der jeweiligen Arbeit selbst bedingt
ist.
Entscheidend für die Güte einer Organisa-
tion, d. h. für die Bewältigung der primären Auf-
gabe, ist hierbei die Fähigkeit, die spezifischen
Ängste aufzunehmen und bearbeiten zu kön-
nen. Um den spezifischen Ängsten gerecht
werden zu können, bedarf es einer geeigneten
Führung sowie des bewussten Umgangs mit
spezifischen Effekten zwischen
Führung und
Autoren
Prof. Dr.-Ing. Oliver Kunze
lehrt an der HNU University of Applied
Sciences Neu-Ulm, Institute for Risk &
Resource Management (RRM).
E-Mail:
Dr. phil. Dipl.-Psych. Markus Fellner
Human Movement Organisationsberatung,
Psychoanalytiker, Coach, München.
E-Mail:
CM Mai / Juni 2017
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