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nach Macht, Unabhängigkeit, Neugier, Aner-
kennung, Ordnung, Sparsamkeit, Ehre, Idea-
lismus, Sozialkontakt, Familie, Status, Vergel-
tung, Sex, Essen, körperlicher Aktivität und
Ruhe) und bietet einen Leitfaden an, die Aus-
prägung dieser Grundmotivationen bei sich
selbst und bei anderen zu erkennen. Er geht
dabei davon aus, dass zwar jeder Mensch
i.d.R. von allen diesen Grundmotivationen an-
getrieben wird (neutrale Ausprägung), dass es
individuell jedoch eine Auswahl dieser Grund-
motivationen gibt, die für den Einzelnen be-
sonders wichtig sind (positive Ausprägung),
und andere, die weniger wichtig sind (negative
Ausprägung). So hat jeder Mensch ein indivi-
duelles Motivationsprofil (Reiss-Profil). Vor
diesem theoretischen Hintergrund bietet das
Reiss-Profil sowohl eine differenzierte Be-
trachtungsweise als auch eine einfache und
somit praxistaugliche Methode zur Erkenntnis
von Motivationsstrukturen an.
Zentrale psychoanalytische Konzepte, ausge-
hend von dem nach Lohmer & Möller (2014, S.
29f.) am meisten überzeugendem „Tavistock-
Modell“, sind das Konzept der „primären Aufga-
be und spezifischen Angst“, die Psychodynamik
von „Führung und Gefolgschaft“, die Rolle der
„organisatorischen Strukturen“ und das soge-
nannte „Container und Contained“-Konzept in
Organisationen.
Primäre Aufgaben und Risiken
lösen spezifische Ängste aus
Das Konzept der
primären Aufgabe, des
primären Risikos und der spezifischen
der Schwerindustrie Handlungsmuster und Hier-
archien neben ihren eigentlichen Arbeitsaufga-
ben auch zum Schutz gegen unbewusste Ängs-
te dienen, die durch die spezifischen Arbeitsbe-
dingungen begründet sind – und die sozialen Ar-
beitssysteme unproduktiv werden lassen,
während sie aufgrund ihres unbewussten Cha-
rakters gegen Veränderungen sehr resistent
sind. Ähnliche Effekte zeigten Untersuchungen
von Menzies 1960 im Bereich der stationären
Krankenpflege. Menzies prägte hierbei den Be-
griff der ‚psychosozialen Abwehrmechanismen‘,
den der Psychoanalytiker Stavros Mentzos in
den 1970er Jahren theoretisch noch weiter aus-
arbeitete, indem er das Konzept der ‚Institutio-
nalisierten Abwehr‘ entwickelte. Dieses Konzept
besagt, dass psychische Abwehrmechanismen,
oder in neueren Worten gesprochen sogenannte
Regulationsfunktionen, nicht nur innerhalb von
Individuen (intrapsychisch) oder zwischen-
menschlichen Beziehungen (interpsychisch),
sondern auch in komplexen und größeren Orga-
nisationssystemen eingeflochten und dort wirk-
sam sind.
Motivationspsychologische Konzepte
Neben den obengenannten psychoanalytischen
Zugängen sind auch motivationspsychologi-
sche Konzepte für das Begreifen der psychoso-
zialen Abläufe in Organisationen hilfreich (siehe
Abbildung 3).
In seinem Grundlagenwerk „Who am I?“ (Reiss
2000) beschreibt der Psychologe und Psychi-
ater Steven Reiss 16 Grundmotivationen oder
englisch
„Basic Desires“
(d. h. das Streben
Was schon Sigmund Freud wusste
Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts rezipier-
te Keynes den damals noch relativ unbekannten
Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud.
Der für Keynes überzeugende Aspekt an Freuds
Theorie war dabei der, dass die grundlegenden
seelischen Momente, die er selbst als „animal
spirits“ (vgl. Tuckett 2013, S. 44f., 294f.) be-
zeichnete und die wir heute ‚motivationale Fak-
toren‘ nennen, überwiegend unbewusst sind.
Daraus folgt, dass die Kenntnis über die Wirk-
vorgänge im Unbewussten für den wirtschaftli-
chen Erfolg in besonderem Maße hilfreich ist.
Erkenntnisse aus der Psychologie
Psychologische Theorien, die einen Begriff des
Unbewussten enthalten, werden psychodynami-
sche Theorien genannt. Die systematische An-
wendung psychodynamischer Theorie auf öko-
nomische Prozesse findet im deutschen Sprach-
raum erst seit wenigen Jahren statt (vgl. Eisen-
bach-Stangl & Ertl 1997; Giernalczyk 2001,
2012; Haubl 2005; Lohmer & Möller 2014, Sie-
vers 2009). In England und in den USA reichen
die Anfänge psychodynamischer Konzeptbildung
zur beraterischen Arbeit in Firmen und Institutio-
nen dagegen bis in 1940er Jahre zurück. Die in
der einschlägigen Fachszene einflussreichste
Tradition dürfte dabei die des ‚Tavistock Institute
of Human Relations‘ sein. Ausgehend von be-
rühmten Psychoanalytikern wie z. B. Wilfred
Bion wurden hier erstmals Erkenntnisse zu un-
bewussten Prozessen in Gruppen auf Arbeitsab-
läufe in Organisationen übertragen. Elliot Jaques
konnte 1955 beispielsweise beobachten, wie in
Abb. 3: Zentrale Konzepte zur Motivation & Psychodynamik in Organisationen
The Tactical Gap