Controller Magazin 3/2017 - page 39

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Die Entscheider und deren Strategieberater ha-
ben ihre Hausaufgaben zum Thema strategi-
sche Neuausrichtung gut gemacht. Die Power-
point-Folien sind erstellt und schauen hervorra-
gend aus – jetzt fehlt nur noch die Umsetzung.
Was kann da noch schiefgehen?
The Tactical Gap
Während strategische (aus dem Griechischen
übersetzt „Feldherrenkunst“) Planung langfris-
tig ausgerichtet ist, sind taktische (aus dem
Griechischen übersetzt „die Lehre von der Füh-
rung von Truppen und deren Zusammenwirken
im Gefecht“) Planungen kurzfristigerer Natur
und darauf ausgerichtet, Wege (neudeutsch
auch Migrationspfade genannt) zu finden und
zu gehen, die die strategischen Pläne umsetzen
helfen.
Erst wenn diese taktischen Wege
gegangen sind, kann das operative Ge-
schäft in strategischer Neuausrichtung er-
folgen.
Anders gesagt, die taktische Planung
muss nicht nur für jede Führungsebene ad-
äquat und klar aufzeigen, wer was warum (an-
ders) tun soll, sondern auch Vorkehrungen für
den Fall treffen, dass diese geplanten Wege
nicht gegangen werden können (z. B. weil
sich Rahmenbedingungen in unvorhersehbarer
Weise geändert haben) oder nicht gegangen
werden (z. B. weil die Beteiligten nicht erken-
nen, warum sie ihr Tun ändern sollen, weil sie
missverstanden haben, was sich ändern soll,
oder weil sie einfach Ängste vor Veränderungen
haben). Gerade hier ist vor allem das Middle-
Management (und orchestrierend auch das
Top-Management) gefordert –
nicht nur auf
Probleme zu re-agieren, sondern taktische
Probleme zu antizipieren und planerisch zu
berücksichtigen.
Erfolgt dies nicht, so ent-
steht eine taktische Planungs- & Umsetzungs-
lücke – „The Tactical Gap“.
Was kommt vor und nach der Lücke?
Wenn wir von einer taktischen Lücke sprechen,
dann stellt sich natürlich die Frage: „Was
kommt vor, was nach der Lücke, und in wel-
chem Kontext steht diese Lücke?“
Um diese Frage zu beantworten möchten wir
auf eine Klasse von Management-Theorien
verweisen, deren Grundzüge bereits auf Josef
Schumpeter zurückgehen. Dieser stellte vor
gut 100 Jahren in seinem Buch „Die Theorie
der wirtschaftlichen Entwicklung“ sein Kon-
zept der schöpferischen Zerstörung vor. Da-
nach ist Marktwirtschaft Unordnung, die fort-
während durch innovative Unternehmer mit
neuen Ideen in den Markt getragen wird.
Aus
dieser Unordnung entstehen Fortschritt
und Wachstum.
Um den Erfordernissen des
Marktes gerecht zu werden, also wettbe-
werbsfähig zu bleiben, ist der verantwortungs-
bewusste und weitsichtige Unternehmer fort-
während gezwungen, seinen Betrieb entspre-
chend den Marktanforderungen anzupassen,
sprich zu restrukturieren. Die neuere Literatur
(u. a. von David J. Teece) spricht in diesem Zu-
sammenhang von sogenannten Dynamic Ca-
pabilities (DCs). Teece erklärt diese Fähigkei-
ten (er nennt sie auch „Corporate Agility“) als
zyklische Abfolge der drei Phasen (1) „Sense“
– d. h. das Erkennen von Chancen und Risiken
(2) „Seize“ – d. h. das entscheiderische Ergrei-
fen von Chancen bzw. die Entscheidung zur
Anwendung von Risikoabwehrstrategien und
(3) „Reconfigure“ – d. h. durch Re-Allokation
von Ressourcen und Umgestaltung von Pro-
zessen und Organisationsformen auf dynami-
sche Veränderungen im Marktumfeld zu re-
agieren (siehe Abbildung 1). Diese Dynamic
Capabilities lassen sich auch in den Risikoma-
nagement-Standards ISO31000 und FERMA
verorten (wobei nach Erben & Vogel (2016)
insbesondere die ISO31000 weltweit zuneh-
mend Beachtung findet).
The Tactical Gap
Warum gute strategische Pläne in der
Umsetzung scheitern
von Oliver Kunze und Markus Fellner
CM Mai / Juni 2017
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