Controller Magazin 3/2017 - page 49

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wenn möglich – Risiken aus dem Wege gehen.
Das ist die andere Seite. Und während wir auf
der einen Seite das Hohelied der Herausforde-
rungen intonieren, errichten wir auf der ande-
ren Seite bürokratische Risikomanagement-
Systeme (RMS):
„Das RMS erfordert ein Risikofrühwarnsystem,
welches Risikoidentifikation, Einzelrisikobewer-
tung, Risikokommunikation, Risikoaggregation
und Risikobericht umfasst, sowie ein Risiko-
überwachungssystem und ein Risikobewälti-
gungssystem. Explizit gesetzlich verpflichtend
sind nach § 91 Abs. 2 AktG zunächst nur die
ersten beiden Bestandteile, die auch Gegen-
stand der Abschlussprüfung sind. Die Notwen-
digkeit zur Einrichtung eines Risikobewälti-
gungssystems kann aber aus der allgemeinen
Sorgfaltspflicht des Vorstands nach § 93 Abs. 1
AktG abgeleitet werden.“
1
Da ist unternehmerisches Verhalten nicht mehr
zu erkennen. Es dient wohl eher einer Kultur, in
der es vor allem darum geht, nicht verantwort-
lich zu sein, wenn es schiefgeht.
Wer mit Geld umgehen will,
darf Risiken nicht scheuen
Der Transformationsprozess von Geld in Kauf-
kraft und Preis in Wert ist immer mit Unge-
wissheiten verbunden. Das wissen wir aus un-
serer täglichen Erfahrung. Aber wir bilden es
in unseren Rechnungen, Bewertungen, Pla-
nungen und Berichten nicht ab. Wir rechnen
auf den Cent genau. Wir bewerten eindeutig.
Wir planen linear auf einen klaren Zielpunkt
ausgerichtet. Und wir berichten über Abwei-
chungen zu unseren Berechnungen, in denen
keinerlei Risiken sichtbar werden. Wir rechnen
mit Preis und Geld. Aber wir fühlen uns nicht
zuständig für ihre Transformation in Wert und
Kaufkraft.
Im Ergebnis verbringen wir
mehr Zeit damit, die Vergangenheit zu op-
timieren und Schuldfragen aus dem Weg
zu gehen bzw. „anderen“ zuzuweisen, als
uns den Herausforderungen der Zukunft
zu stellen.
Dass es anders geht, wissen wir ebenfalls.
Welcher Controller hat noch nichts über Sze-
narien, risikoadjustierte Bewertungen oder
Monte-Carlo-basierte Planungen gehört? Und
wir wissen auch:
„Wenn der Planwert als Verteilung dargestellt
werden muss, bildet der Istwert einen Zufalls-
wert aus einer gegebenen Verteilung. Das Ver-
ständnis von Abweichungen als Differenz zwi-
schen Planwert und Istwert stellt dann keinen
sinnvollen Zusammenhang mehr dar. Stattdes-
sen muss nunmehr in der Analyse festgestellt
werden, ob die Abweichung auf bekannte Risi-
ken zurückzuführen ist. Falls dies nicht der Fall
ist, wurde ein neues Risiko erkannt und ist in
der zukünftigen Planung zu berücksichtigen.
Falls die Abweichung auf ein gekanntes Risiko
zurückzuführen ist, ist die Planung adäquat. Es
sind jedoch die zugrunde gelegten Wahrschein-
lichkeiten zu hinterfragen.“
2
Doch wenn Controller das alles wissen, warum
tun sie es dann nicht oder nur in viel zu gerin-
gem Maße? Weil es immer noch Mut erfordert,
wie Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender
der Daimler AG, so treffend schreibt:
„Im Kern geht es um eine Kompetenz, die wir
weder durch Verhaltensrichtlinien verordnen
noch in Workshops lehren können: Mut. Wer die
Strukturen in Unternehmen kennt, der weiß: Ri-
sikobereitschaft ist nicht unbedingt ein Kern-
merkmal von Großkonzernen. Oft gibt es ganze
Abteilungen, die sich ausschließlich mit der Mi-
nimierung von Risiken beschäftigen. Das hat ja
auch seine Berechtigung: Immerhin geht es um
viele Arbeitsplätze – im Falle von Daimler um
284.000. Die Frage ist nun: Wie kann man Mut
auf Dauer in einem so großen Unternehmen
verankern?“
3
Das gilt auch für kleinere Unternehmen. Mut
sollte demnach zu den Charakter-Merkmalen
eines Controllers zählen. Und dazu gehört vor
allem, Geld und Preis endlich als das zu behan-
deln, was sie sind: als Ansprüche, die sich in
konkreten Geschäften gegen Risiken behaup-
ten müssen.
Es gehört der Mut dazu, nicht
das Rechnen mit Geldeinheiten in den Vor-
dergrund zu stellen, sondern das proaktive
Begleiten unternehmerischer Geschäfte.
Indem die Zukunft nicht als stabiles Planungs-
Konstrukt erscheint, sondern als volatiles Gebil-
de in Form von Bandbreiten und Korridoren.
Und deren Risiken wir nicht dadurch begegnen,
indem wir sie verschweigen oder bürokratisch
verwalten, sondern indem wir die Flexibilität
und Agilität der Menschen im Unternehmen vor-
antreiben. Das ist mühselig und konfliktbeladen.
Sollten wir es deshalb lassen?
Exkurs
Wir haben uns angewöhnt, das Geld von der
Moral und das Faktische vom Politischen zu
trennen. Ideengeschichtlich geht die eine
Trennung auf John Locke zurück und die an-
dere auf Descartes. Beides hat fatale Folgen.
Das Geld konnte sich zum Selbstzweck ent-
wickeln, hinter dem seine eigentliche Funk-
tion zur Lösung der menschlichen Güterpro-
bleme kaum mehr erkennbar wird. Und die
Technik wie die sie tragenden Wissenschaf-
ten schufen sich einen wert- und politikfreien
Raum des Faktischen, in dem eine „organi-
sierte Verantwortungslosigkeit“ den Blick auf
die Folgen des Handelns vernebelt.
Wohin schließlich die Kombination von un-
moralischem Geld und verantwortungslosen
Fakten führt, können wir derzeit weltweit
beobachten.
Auf der einen Seite sehen wir Ungleichge-
wichte in der Einkommens- und Güterver-
teilung, die allmählich die Dimensionen des
„Ancien Régime“ (französisch für „frühere
Regierungsform“, „alter Staat“) erreicht.
Auch wenn die Zeiten nicht vergleichbar
sind, darf man doch nicht vergessen, dass
aus derart krassen Ungleichgewichten die
Französische Revolution hervorgegangen ist.
Und auf der anderen Seite erzeugen die
wissenschaftlich-technischen Fortschritte
soziale Spaltungen zwischen den „Nutznie-
ßern“ und den „Abgehängten“ – allein die
Bezeichnung wirkt spaltend und deklassie-
rend – und zugleich die politischen Machtin-
strumente, diese Spaltung zu zementieren.
Da jeder wissenschaftlich-technische Fort-
schritt finanziert werden muss, kann die
Kombination beider Entwicklungen nicht
vermieden werden. Das unmoralische Geld
verzahnt sich mit dem verantwortungslosen
Fortschritt.
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