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Preis, der schlechte Qualität nur kaschiert, ver-
stärkt diese Risiken. Bei der Beschaffung von
Arbeitszeit geht es in erster Linie darum, einen
möglichst hohen Anteil davon in vom Kunden
bezahlte Nutzleistung umzuwandeln und insbe-
sondere Blind- und Fehlleistungen zu vermei-
den.
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Das hängt von der Organisation der Arbei-
ten ab, vor allem aber von den Fähigkeiten der
Führungskräfte und Mitarbeiter. Robert Bosch
wird die Aussage zugesprochen:
„Ich zahle nicht
gute Löhne, weil ich viel Geld habe, sondern ich
habe viel Geld, weil ich gute Löhne bezahle.“
Was schon John Ruskin wusste
Bei der Beschaffung von Produkten und
Leistungen geht es vor allem um die Wirk-
samkeit in Bezug auf unsere eigenen Zwe-
cke. Auch das ist keine neue Erkenntnis.
John Ruskin, ein bekannter Ökonom und Sozial-
reformer, schrieb bereits im Jahr 1900:
„Es gibt
kaum etwas auf dieser Welt, das nicht irgendje-
mand ein wenig schlechter machen kann und
etwas billiger verkaufen könnte, und die Men-
schen, die sich nur am Preis orientieren, werden
die gerechte Beute solcher Menschen. Es ist un-
klug, zu viel zu zahlen, aber es ist noch schlech-
ter, zu wenig zu bezahlen. Wenn Sie zu viel be-
zahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles.
Wenn Sie dagegen zu wenig bezahlen, verlieren
Sie manchmal alles, da der gekaufte Gegen-
stand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen
kann. Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für
wenig Geld viel Wert zu erhalten. Nehmen Sie
das niedrigste Angebot an, müssen Sie für das
Risiko, das Sie eingehen, etwas hinzurechnen.
Und wenn Sie das tun, dann haben Sie auch ge-
nug Geld, um etwas Besseres zu bezahlen.“
Diese Sätze sollte sich jeder mit Beschaf-
fungsrisiken befasste Controller auf der Zunge
zergehen lassen. Sie zielen auf den Kern des
Problems.
Die modifizierte TCO-Methode
Mit Hilfe einer modifizierten TCO-Methode las-
sen sich die Wirkungen der beschafften Ar-
beitszeit, Produkte und Leistungen auf die Un-
ternehmensprozesse und deren interne Kosten
erfassen. Damit können
„Qualitäts-Preis-
Korridore“
skizziert werden, die bei der Knüp-
Beschaffungsrisiken
In einem Zulieferunternehmen für die Automo-
bilindustrie wurden im Rahmen der Weiterent-
wicklung einer „High-Quality-Strategy“ auch
Diskussionen zu den „Total Cost of Ownership
(TCO)“ geführt. Gemeint war damit, dass in den
Preisverhandlungen auch über die Kosten des
Kunden bei der Nutzung der Zulieferungen ge-
sprochen werden sollte. Die Beteiligten waren
überzeugt, dass ihr Unternehmen diesbezüglich
deutliche Vorteile gegenüber den Wettbewer-
bern anbieten und dafür auch einen höheren
Preis verlangen könne. Gute Qualität sei schließ-
lich ihren Preis wert. Beiläufig verlagerte sich
das Gespräch auf den eigenen Einkauf. Es kam
die Frage auf, warum das TCO-Prinzip dort nicht
angewandt wird. Die Vorgaben orientierten vor
allem auf eine Reduzierung des Einkaufsvolu-
mens durch den Druck auf niedrige Preise. Kön-
nen wir für unsere Kunden wertvoll sein, wenn
wir billig einkaufen?
Wertschöpfungs-Netzwerke
Das umreißt die Kernfrage.
Beschaffungsrisi-
ken bilden eine wesentliche Seite des Ge-
schäftsmodells. Sie beeinflussen die Kern-
kompetenzen des Unternehmens und ha-
ben nur am Rande mit Preisen zu tun.
Ein
niedriges Einkaufsvolumen muss man sich leis-
ten können: Dazu bedarf es eines Bewusst-
seins aller Beteiligten für die leistungsbestim-
menden Parameter aus Sicht der Kunden. Und
es bedarf entsprechender zeit-, material- und
energiesparender Technologien. Controller soll-
ten also fragen: Wie sehen die Wertschöp-
fungs-Netzwerke aus, die wir für unser Ge-
schäftsmodell knüpfen müssen?
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Wertschöpfungs-Netzwerke entstehen aus
der Kooperation mit Menschen, die dem Un-
ternehmen
·
einen Teil ihrer Lebenszeit direkt bzw.
auf Honorarbasis als Arbeitszeit oder
·
von ihnen zu erbringende Produkte und
Leistungen verkaufen.
Aus der Qualität dieser Kooperationen, ihrer
Passfähigkeit zu unserem Geschäftsmodell und
seinen internen Prozessen resultieren die we-
sentlichen Beschaffungsrisiken. Ein niedriger
Wie kommen wir da wieder heraus? Die
Analyse des Problems zeigt uns zugleich
mögliche Lösungsansätze. Wenn wir Geld
als Kaufkraftanspruch verstehen, der die
Güterprobleme in einem
rechtlichen
Rah-
men regelt – d. h. nicht durch Raub oder fa-
miliäre bzw. herrschaftliche Beziehungen –
und wenn wir zugleich verstehen, dass jeder
wissenschaftlich-technische Fortschritt sei-
nen Preis hat, dann entstehen neue Frage-
stellungen.
Heute fragen wir: „Wie komme ich zu Geld?“
und „Was kann Technik erreichen?“. Und wir
trennen beide Fragen voneinander. Allmäh-
lich können wir aber bereits eine neue Heran-
gehensweise hören – sofern wir bereit sind
zuzuhören: „Wie wollen wir leben und wie
wollen wir das finanzieren?“ Und das ist nur
eine Zwischenstufe.
Die eigentliche Frage
lautet: „Wie wollen wir leben und welche
Art der Gütererzeugung und Gütervertei-
lung entspricht diesen Lebensformen?“
Jede soziale Veränderung beginnt mit dem
Zulassen neuer Fragestellungen. Erst wenn
wir die neuen Fragen anerkennen, können
wir mögliche neue oder andere Antworten
finden. Wer die gegenwärtigen Exzesse be-
enden und zugleich die zerstörerische Kraft
revolutionärer Energien in konstruktive Lö-
sungen lenken will, kommt um einen offenen
politisch-moralischen Diskurs zu Geld und
dem Preis der Fakten nicht herum. Und wer
den Diskurs in die Gestaltung des realen Le-
bens umsetzen will, muss die Kultur – die
Summe der Selbstverständlichkeiten des
Lebens – beachten und beeinflussen. Das
erfordert vor allem Respekt vor den kulturel-
len Unterschieden; zwischen den Kulturkrei-
sen ebenso wie innerhalb kultureller Räume;
und in der Gesellschaft wie in den Unterneh-
men und den Familien. Respekt entsteht da-
bei nicht durch nivellierende Integration,
sondern durch Anerkennung der Unterschie-
de. Erst dann wird eine Kooperation auf Au-
genhöhe möglich. Und erst dann entstehen
auch die Bedingungen für einen rechtlichen
Rahmen zur Erzeugung und Verteilung der
Güter auf Augenhöhe. Das verleiht dem Geld
wie dem Preis einen anderen Charakter, der
gegenseitigen Respekt und aktive Teilhabe
am sozialen Leben einschließt.
PreisGeld – mehr als eine Recheneinheit