CONTROLLER Magazin 2/2016 - page 82

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Wie oft denken wir im Rahmen von anstehen-
den Entscheidungen über Budgets und Bilanz-
gewinn nach. Wie groß ist ihr Einfluss auf unse-
re Handlungen und unser Wohlbefinden? Wäh-
rend häufig gefragt wird, wie Buchführung
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als
Instrument zu nutzen oder zu verbessern ist,
möchten wir die geschichtliche Entwicklung der
Buchführung skizzenhaft nachvollziehen, um
ihre Wesensmerkmale besser zu verstehen.
Dadurch soll die Frage aufgeworfen werden,
wie Buchführung als Kulturtechnik den Men-
schen selbst, seine Wahrnehmung und sein
Handeln verändert.
Wir sehen Buchführung also nicht rein als ein
Instrument, das die betriebliche Welt objektiv
abbildet und aus dem strategische Steuerungs-
entscheidungen abgeleitet werden können.
Vielmehr wollen wir dem Gedanken Raum ge-
ben, dass
jede Form der Buchführung eine
neue Sichtbarkeit eines Unternehmens
schafft und so Werte und neue Wahrneh-
mungen von betrieblichen Welten erst kre-
iert
. Ziel ist immer eine Sichtbarkeit von einer
Unternehmung zu erstellen, jeder Praktiker weiß
um den einen oder anderen Freiraum dabei.
Wichtig ist es uns, die Bedeutung der geistigen
Haltung, der inneren Einstellung, mit der man
an die Sache herangeht, herauszuarbeiten und
Momente der Reflexion bewusst einzufordern.
Kritisches und unkritisches Sehen
Durch jedes Sehen, jede Perspektive entsteht
eine bestimmte Sichtbarkeit, ein Abbild der Re-
alität, das immer eine Entstehungsgeschichte
hat. Wird das vergessen, dann besteht die Ge-
fahr, dass wir meinen, eine objektive, allge-
meingültige Sichtweise gefunden zu haben.
Das passiert vor allem dann, wenn unser Um-
feld diese Sicht unhinterfragt teilt.
Rechensys-
teme können eine bestimmte Sichtbarkeit
erzeugen
(indem sie bestimmte Aspekte der
Realität erst hervorbringen, während andere
unberücksichtigt bleiben)
und so die Handlun-
gen der Mitglieder einer Organisation maß-
geblich mit beeinflussen
. Sie schaffen eine
völlig neue Interventionssphäre. Dadurch erhal-
ten Art und Formalisierung der Buchführung
eine große Bedeutung für das Handeln und
Denken der Organisationsmitglieder. Ebenso
wie uns ein Spiegel nicht die Wirklichkeit zeigt,
sondern immer etwas hinzufügt oder eben
spiegelverkehrt darstellt, so ist auch die Buch-
führung kein neutrales Medium.
Buchführung
gehört zum Alltag, selbst wenn es
sich um den Kassenzettel im Supermarkt han-
delt. Dabei hat sie sich allein
in den letzten 150
Jahren stark gewandelt
und an verschiedens-
ten Normen orientiert. Ende des 19. Jahrhun-
derts gab es noch gar keine strengen rechtli-
chen Normen und Buchführung diente meist der
internen Kostenüberwachung als „Management
Accounting”. Erst vor ca. 40 Jahren wandelte
sich das Denken über Rechnungslegungsstan-
dards in den USA vom normativen Ansatz, der
Fragen nach dem richtigen Handeln, dem anzu-
strebenden Guten, in den Vordergrund rückt, hin
zu einer positiven Wissenschaft, die eine empiri-
sche, werturteilsfreie Forschung fordert (vgl.
Füllbier 2008; vgl. Chua 1986). Die positive Wis-
senschaft will dabei nicht beantworten, wie die
Wirklichkeit sein sollte, sondern möchte die
Wirklichkeit so erfassen, wie sie tatsächlich ist,
bzw. sich ihr annähern (eine Hoffnung, die selbst
in der Physik zu diesem Zeitpunkt schon lange
wieder aufgegeben wurde).
Das passiert im Bereich der Buchhaltung nun
ganz nach dem Vorbild der modernen Volks-
wirtschaftslehre in der Tradition der Chicagoer
Schule (vgl. Füllbier & Weller 2008, S. 355 f.).
Die Ausdehnung der volkswirtschaftlichen Er-
kenntnismethoden auf weitere Lebensbereiche
wird von Ökonomen selbst als „ökonomischer
Imperialismus“ bezeichnet. Edward Lazear
(2000) gibt einen Überblick über die Fortschrit-
te dieses Imperialismus und hebt hervor, dass
die Domäne der Buchführung dessen Einfluss
lange Zeit „widerstehen“ konnte. Der erfolgrei-
che Durchbruch der „Economics of Accounting“
sei erst kürzlich gelungen (vgl. ebd., S. 124).
Zufrieden stellt er jedoch fest: „Modern ac-
counting scholars now use the language and
tools of economics” (ebd., S. 125).
Aber was bedeutet das für die Praxis? Die
„Economics of Accounting“ haben es durch ihre
Modellierung (die auf einer Reihe realitätsferner
Annahmen beruhen) geschafft darzustellen,
dass bestimmte Standards der Bewertung effi-
zienter sind. Diese Standards sind zu Teilen
verbindliche Grundlagen für Gesetze geworden
(vgl. Hermann-Pillath 2013). Ein Beispiel dafür
sind die
IFRS Standards
, die
2005
für alle in
der EU gelisteten Aktienunternehmen einge-
Buchführung als Spiegel
der Wirklichkeit – von einer
technischen Anwendung zum
kunstvollen Umgang
von Philipp Hummel und Florian Rommel
Buchführung als Spiegel der Wirklichkeit
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