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Management und dieses ist, so sein Credo,
wie jede andere Profession lernbar
. Schlüs-
selfunktionen eines gelingenden Managements
sind für ihn:
·
Ressourcen-Orientierung,
·
der Beitrag zum Ganzen,
·
die Konzentration auf Weniges,
·
das Nutzen von Stärken,
·
Vertrauen und
·
positives Denken.
2
Damit gelingt es ihm durchaus, Führung zu
„entmythologisieren“ und enger funktional zu
beschreiben.
Viel breiter und differenzierter stellt sich die
Frage nach Führung bei Oswald Neuberger.
Doch auch sein Werk beantwortet die Frage
nach der Legitimation von Führung nicht über-
zeugend. Dabei bedenkt Neuberger durchaus
die Problematik von Führung in komplexen Sys-
temen. Kritisch beurteilt er zum Beispiel den
Ansatz von Peter Gomez und Gilbert Probst aus
St. Gallen, die mit Hilfe einer einfachen Steue-
rungsstruktur (aktive, kritische passive und
neutrale Faktoren) glauben, komplexe Systeme
steuern zu können
3
. Eine Alternative zum bishe-
rigen Führungssystem hat Neuberger in seinem
Standardwerk aber nicht entwickelt
4
.
Bei Organisationen, die einfache, monokausal
funktionierende Systeme sind, ist es durchaus
vorstellbar, dass eine Führungskraft, an die
richtige Stelle gesetzt, die Organisation gut
steuert. Und unbestreitbar lassen sich auch
heute noch Betriebe so aufbauen, dass sie hie-
rarchisch gegliedert sind und auf dem Prinzip
pyramidaler Steuerung beruhen. Für eine stan-
dardisierte Massenproduktion hat sich ein sol-
ches System durchaus als effektiv erwiesen.
Allerdings bedurfte es meist eines expliziten
Gebrauchs der Macht, damit es lief – oft zu
Lasten der Mitarbeiter.
Welche alternativen
Führungssysteme gibt es?
Dieses Organisationsprinzip stößt jedoch in einer
multikomplexen Umwelt
immer mehr an seine
Grenzen.
Also kann man sich fragen, ob ein
Steuerungsgremium von
Experten mit unter-
schiedlicher Expertise und breiterem Blick
an die Stelle einsamer Leitungsfunktionen treten
könnte. Dieses Prinzip verfolgen viele Start-Up-
Unternehmen. Und die Geschichte zeigt: Solche
Kollegialgremien, die wie Mitbestimmungsgre-
mien durchaus „paritätisch“ besetzt sein kön-
nen, können durchaus funktionieren – trotz aller
Machtspiele, die in ihnen auch immer ablaufen.
Eine Alternative wäre eine Führung durch eine
„Facharistokratie“. Auch sie gab es in der Ge-
schichte immer wieder, und sie war durchaus
erfolgreich. Notwendig sind bei einem solchen
Führungssystem Regeln der kollegialen Zusam-
menarbeit und Rückkopplungsschleifen wie
zum Beispiel die Möglichkeit zur Abberufung
durch einen „Souverän“. In solchen Gemeinwe-
sen wie einem demokratischen Staat gibt es ei-
nen klar ausgewiesenen Souverän: das Volk.
Und Führung wird – zumindest der Intention
nach – von diesem legitimiert. Und in den Un-
ternehmen? Dort sind es die Eigentümer, die
Führung einsetzen und abberufen können.
In der
aktuellen Diskussion um „agile“ Un-
ternehmen
als Reaktion auf eine „agilere“,
schnelllebigere und komplexere Umwelt wird
die Führungsfrage neu aufgeworfen. Demogra-
fie und Schlagwörter wie Generation Y sowie
„Normalarbeitsverhältnisse“
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beleben diese
Diskussion. Dabei werden nicht nur die
Anfor-
derungen an Führung neu justiert
, sondern
grundsätzlich die Frage gestellt: Können die
bisherigen Systeme von Führung diesen An-
sprüchen noch gerecht werden?
Werden Führungskräfte
künftig überflüssig?
Auch agile Organisationen brauchen Manage-
mentfunktionen zur Zielbildung, Koordination
und Konfliktlösung. Diese Funktionen können
so „verteilt“ werden, dass ein
geregeltes Zu-
sammenwirken aller Systemteile mit ihren
vielen Rückkopplungsfunktionen
das Sys-
tem stabil halten, und es ihm ermöglichen, auf
Umwelteinflüsse sensibel zu reagieren.
Führen
bedeutet dann, sich gegenseitig informie-
ren, sich wechselseitig unterstützen, sich
gegenseitig „steuern“, sich wechselseitig
„führen“.
Doch brauchen solche Systeme
noch Führungskräfte in der bisherigen Form?
Es gibt durchaus erprobte (Teil-)Systeme, die
ohne Führungskräfte funktionieren. Unterneh-
men wie Semco, teilweise auch DM oder Gore,
zeitweise sogar Harley Davidson haben solche
Ansätze ausprobiert. Zu Ende gedacht, könnte
es darauf herauslaufen, dass sich viele „Selbst-
ständige“ miteinander assoziieren und sich in
dieser Assoziation wechselseitig steuern.
Schon vor vielen Jahren wurde intensiv über die
Projektarbeit in Betrieben und zwischen ihnen
nachgedacht. Selbstständige (und Schein-
selbstständige) organisierten sich in den Poren
dazwischen selbst. Im
IT-Bereich wird mit
neuen Vorgehensmethoden wie „Scrum“
die Frage nach Führung intensiv gestellt. Mit
neuen Formen der Information und Ent-
scheidungsfindung
wie in den Scrum-Mee-
tings werden kollegiale Vorgehensweisen aus-
probiert. Relativ aktuell ist auch die Diskussion
um die Organisationsform Projekt als eine Mög-
lichkeit der Selbsterneuerung für erstarrte Or-
ganisationen. Jana Haverbier und Doris Weßels
beschreiben das Phänomen der fluiden Organi-
sationen, die sich quasi synchron zu den Verän-
derungsmomenten ihres Umfelds bewegen.
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Wie kann sich Führung
künftig legitimieren?
Auch aus demokratiekritischer Sicht stellt sich
die Frage, wie sich Systeme, in denen Macht
und Einfluss kanalisiert werden, legitimieren.
Wie kann vermieden werden, dass aus Führung
schnell Herrschaft wird? Betrachtet man zum
Beispiel das Grundgesetz als Legitimationsbasis
von Macht und Entscheidungsfunktionen, ist es
schwierig, dort eine dezidierte Legitimation von
Führung in wirtschaftlichen und sozialen Orga-
nisationen zu finden. Letztlich leitet sie sich aus
der Funktion und Stellung des Privateigentums
ab. Berücksichtigt man zudem, dass das Eigen-
tum laut Verfassung auch dem Gemeinwohl die-
nen soll, stellt sich die Frage nach der Ausrich-
tung und Legitimationsbasis noch dringlicher.
Dass das Thema Legitimation virulent ist, zeigt
unter anderem ein Interview mit
Thomas Sat-
telberger
im Jahr 2014
7
. Nachdem der
Ex-
Vorstand der Lufthansa und der Deutschen
Telekom
den massiven Druck als Folge der Fi-
nanzkrise zu einer stärkeren Orientierung der
Unternehmen am Gemeinwohl beschrieben
hat, plädiert er dafür, „dass man die
Füh-
CM März / April 2016