CONTROLLER Magazin 2/2016 - page 70

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Biel:
In neuerer Zeit heißt es, die vermehrten
regulatorischen Anforderungen und die ge-
stiegenen Erwartungen von Stakeholdern an
die Unternehmensberichterstattung hätten
vor allem für kapitalmarktorientierte Unter-
nehmen zu
einer erheblichen Berichtsviel-
falt
geführt. Aktuell zieht das Rahmenkon-
zept des IIRC (International Integrated Re-
porting Council) unter dem Begriff
„Integra-
ted Reporting (IR)“
die Aufmerksamkeit auf
sich. Seit Kurzem liegt dazu ein deutschspra-
chiges Sammelwerk von fast 800 Seiten und
rund 50 Autoren mit 26 Beiträgen vor. Dies
lässt vermutlich den Schluss zu, die Diskus-
sion zur „richtigen Berichterstattung“ ist und
bleibt ein Dauerthema. Diese neuere Diskus-
sion zeigt Gemeinsamkeiten, aber auch Un-
terschiede im Vergleich zum Lagebericht.
Wie bewerten Sie die Möglichkeiten und
Grenzen, die Berichterstattung nach IIRC in
die gesetzliche Lageberichterstattung einzu-
beziehen?
Brösel:
Diese Entwicklungen
folgen dem
Zeitgeist.
Das Ausmaß solcher Ideen geht weg
vom Kern der Betriebswirtschaftslehre, der Ab-
wägung von Nutzen und Kosten bestimmter
Maßnahmen.
Biel:
Sehen Sie auch Neues und Diskussions-
würdiges in dieser Entwicklung?
Brösel:
Im Hinblick auf die Vorschläge des IIRC
gibt es – abgesehen von der Überfrachtung um
vermeintliche Stakeholderinteressen und einer
damit verbundenen
erheblichen Bedeu-
tungszunahme nichtfinanzieller Informati-
onen
– so manche überraschenden Aspekte:
So ist z. B. in Zeiten immer kürzer werdender
Produktlebenszyklen und größerer Dynamik im
Unternehmensumfeld fraglich, warum der Be-
trachtungshorizont so lang gewählt werden
soll. Auch ist utopisch zu glauben, dass es
möglich ist, auf ganzheitlicher Ebene darzu-
stellen, wie einzelne interdependente Einfluss-
größen miteinander verbunden sind und wie
sich diese auf den Unternehmenswert auswir-
ken. Hier wird unter anderem vergessen,
dass
es den Unternehmenswert nicht gibt, weil
Werte immer subjektiv sind
, und dass nicht
alle Einflussgrößen identifizierbar und bewert-
bar sind. Gäbe es sonst einen originären Good-
will? Insgesamt erscheint mir die Idee der Ver-
knüpfung recht utopisch.
Biel:
Könnten auch hier
Interessen oder Ab-
sichten
im Spiel sein?
Brösel:
Man muss berücksichtigen, dass die
vermeintlichen Standardsetzer, die sich in Stel-
lung bringen, zum einen
ihre Existenz legiti-
mieren wollen oder müssen
und sich zum
anderen nicht unbedingt primär am Zweck der
Rechnungslegung bzw. der Berichterstattung,
sondern vielmehr am eigenen Ziel, also am Ziel
der „entsendenden“ Institution, orientieren.
Biel:
Ein Perspektivwechsel. Ist es nicht auch
schwierig, derart komplexe Berichte zu prüfen
und zu bestätigen?
Brösel:
Ja,
integrierte Berichte haben noch
viel mehr als der „deutsche Lagebericht“
mit ihrer externen Testierbarkeit zu kämp-
fen.
Die Angaben, die in einem solchen Be-
richtswerk genannt werden, sind aber nur dann
für den Kapitalmarkt wertvoll, wenn sie testier-
bar sind. Gleichwohl ist nicht alles betriebswirt-
schaftlich wertvoll, was testierbar ist.
Biel:
Was sagt der Wirtschaftsprüfer dazu?
Lebt die Diskussion zur
„Erwartungslücke“
möglicherweise wieder auf?
Freichel:
Für Wirtschaftsprüfer ist gerade der
letzte Aspekt, also die Frage nach der „Testier-
barkeit“ solcher Berichte, relevant. Sofern sol-
che Berichte von Wirtschaftsprüfern „bestätigt“
werden sollen, dürften sich
Fragen rund um
die sog. Erwartungslücke
, also eine Abwei-
chung zwischen dem, was die Öffentlichkeit
von der Arbeit des Abschlussprüfers erwartet
bzw. versteht, und dem, was der Abschlussprü-
fer tatsächlich leisten kann,
verstärken
.
Biel:
Unser Dialog, insbesondere auch dank Ih-
rer Antworten, mündet zum Ende des Inter-
views in Fragestellungen zu den
„Grundsätzen
und Prinzipien der Berichterstattung“
. Kön-
nen Sie sich eine Weiterentwicklung des Lage-
berichts zu einem integrierten Bericht aller rele-
vanten gesetzlichen und freiwilligen finanziellen
und nichtfinanziellen Berichte vorstellen? Favo-
risieren Sie eher eine Zusammenführung mit
anderen Berichten oder sprechen Sie sich für
separate Berichte mit entsprechenden Verwei-
sen und Querverbindungen aus?
Brösel:
Grundsätzlich würde ich am Lage-
bericht festhalten wollen. Er sollte ein se-
parates Berichtsinstrument bleiben
, für das
Autoren
Univ.-Prof. Dr. rer. pol. habil. Gerrit Brösel
ist Ordinarius für BWL, insbesondere Wirtschaftsprüfung, an
der FernUniversität in Hagen und Autor mehrerer erfolgreicher
Standardlehrbücher (z. B. „Bilanzanalyse“, „Konzernrech-
nungslegung“ und „Wirtschaftliches Prüfungswesen“) mit
reichhaltiger Praxiserfahrung in der Wirtschaftsprüfung sowie
als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für
Unternehmensbewertung.
Fachjournalist (DFJS) Dipl.-BW Alfred Biel
ist Autor, Interviewer und Rezensent verschiedener Medien,
vorwiegend der Haufe Mediengruppe, mit reichhaltiger Erfah-
rung aus verantwortlichen Konzern-Tätigkeiten und Aufgaben
in mittelständischen Unternehmen. Betriebswirtschaftliches
und journalistisches Studium. Ehrenmitglied des Deutschen
Fachjournalisten Verbandes (DFJV) und des Internationalen
Controller Vereins (ICV).
WP StB FBIStR Dipl.-Kfm. Christoph Freichel
ist Geschäftsführer der Alegis GmbH Wirtschaftsprüfungsge-
sellschaft und der Primus Akademie GmbH Wirtschaftsprü-
fungsgesellschaft sowie Doktorand an der FernUniversität in
Hagen. Zudem ist er Autor des Lehrbuchs „Wirtschaftliches
Prüfungswesen“.
Interview zum Thema: Lagebericht – noch ein Bericht?
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