CONTROLLER Magazin 2/2016 - page 68

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Brösel [lachend]:
Theorien und Vorlesungen
sind ja auch etwas für die Praxis. Meiner Mei-
nung nach sollten diese Grundsätze, gerade
weil es keine detaillierten gesetzlichen Rege-
lungen zur Erstellung von Lageberichten gibt,
eine hohe Bedeutung für die Praxis haben.
Schließlich fällt es den Erstellern oft schwer,
die bestehenden gesetzlichen Regelungen zu
interpretieren und anzuwenden. Diese Lücke
versuchen die Grundsätze der Berichterstat-
tung zu schließen. Sie sollten für die Praxis
hilfreiche und notwendige Informationen bzw.
Vorgaben, wie die Lageberichterstattung zu
erfolgen hat, bieten.
Biel:
Tatsächlich?
Brösel:
Na ja. Grundsätze sind oft nur mehr
oder wenig eindeutig verbal ausformulierte
Handlungsempfehlungen, deren vollumfängli-
che Umsetzung kaum oder nur wenig quantifi-
zier- oder messbar ist. Letztlich sind die Grund-
sätze somit eine Art „Ehrenkodex“, [schmun-
zelnd] die in praxi sicherlich auch von vielen
Bilanzerstellern, den „ehrbaren Kaufleuten“,
nach bestem Wissen und Gewissen eingehal-
ten werden.
Biel:
Werfen Sie bitte einen kurzen Blick auf
wichtige Grundsätze und deren Umsetzung in
der Praxis.
Brösel:
Die Einhaltung der Grundsätze der
Richtigkeit
und der
Wesentlichkeit
sind für
mich als externen Beobachter im Hinblick auf
qualitative Informationen noch schwerer einzu-
schätzen als für den Wirtschaftsprüfer, weil ich
ja nicht weiß, was von den publizierenden Un-
ternehmen als unwesentlich eingestuft und
schließlich nicht publiziert wurde. Lassen Sie
mich deshalb auf den Grundsatz der
Klarheit
und
Verständlichkeit
eingehen.
Biel:
Können Sie diesen Grundsatz etwas kon-
kretisiert veranschaulichen?
Brösel:
Der Lagebericht ist unter anderem
übersichtlich zu gliedern und in deutscher
Sprache zu verfassen. Eine in 2011 von Ol-
brich/Fuhrmann veröffentlichte Untersuchung
(in: AG, S. 326-331) machte deutlich, dass
man zur Lektüre von DAX-30-Geschäfts-
berichten des Jahres 2009
neben einem
Freichel:
Mit zielgerichteter Wortwahl lassen
sich – wie in anderen Bereichen auch – Sach-
verhalte so beschreiben, dass zwar eine
wahre
Aussage
über den z. B. negativen Umstand ge-
troffen wird,
die Formulierung beim Adres-
saten jedoch
eine positive Wahrnehmung be-
wirkt. Beispielsweise kann formuliert werden,
dass man sich zukünftig auf das Kerngeschäft
konzentriert, wenn ein lukrativer Nebenbereich
verloren wurde.
Selbst die „harte“ Aussage, dass die Gesell-
schaft „das erwartet positive Ergebnis erzielt
hat“, muss nicht unbedingt i. S. d.
Beeinflus-
sungsebene heißen, dass unterm Strich ein
positives Ergebnis steht. Es kann auch be-
deuten, dass
im Vergleich zur vorhergehenden
Berichtsperiode
ein geringerer Jahresfehl-
betrag erwirtschaftet wurde
. Will heißen, die
Aussage ist vertretbar, kann den Adressaten je-
doch in die Irre führen.
Biel:
Als
Teil der Rechnungslegung
unter-
liegt der Lagebericht den allgemeinen
„Grundsätzen der Berichterstattung“.
Grundsätze der Berichterstattung sind ein
grundsätzliches Dauerthema.
Ein früheres
Interview in dieser CM-Reihe hat sich dieser
Problematik gewidmet. Wegen der prakti-
schen Bedeutsamkeit lassen Sie uns bitte die-
ses Thema aufgreifen. Zum Lagebericht gibt
es u. a. den Grundsatz der Richtigkeit, den
den Grundsatz der Klarheit und Verständlich-
keit, den Grundsatz der Wesentlichkeit usw.
Welche praktische Bedeutung haben diese
Grundsätze? Gibt es hierzu diskussionswerte
Erfahrungen?
Freichel:
Neben diesen Grundsätzen sind
noch die Grundsätze der Vollständigkeit, der
Verlässlichkeit und Ausgewogenheit, der Ste-
tigkeit, der Vermittlung der Sicht der Kon-
zern- bzw. Unternehmensleitung sowie der
Informationsabstufung relevant. Sämtliche
Grundsätze haben in der Praxis eine große
Bedeutung. Schließlich hat der Abschluss-
prüfer die Einhaltung dieser Berichtsgrund-
sätze im Rahmen seiner pflichtgemäßen Prü-
fung zu beurteilen.
Biel:
Grundsätze können sich nach Theorie und
Vorlesung anhören. Sind sie auch etwas für die
Praxis?
richterstattung nachdenken
. Der Lagebe-
richt ermöglicht ihnen, relevante wirtschaftliche
Informationen präzise und verständlich zu
vermitteln, um ein Vertrauensverhältnis zu den
Adressaten aufzubauen.
Biel:
Und die Praxis verfährt auch tatsächlich so?
Brösel:
Die Praxis offenbart meist ein anderes
Bild:
Die Kunst des Lageberichts liegt in
der Umschreibung und im „Schönreden“
.
Wie in der Politik nach der Wahl liegt der
Schwerpunkt oft darin, schlechte oder risiko-
behaftete Geschäftsentwicklungen positiv
darzustellen bzw. sich mit blumigen, markigen
Worten als vorwärtsgewandt und voraus-
schauend darzustellen.
Biel:
Was sollten bspw. Wirtschaftsjournalisten
hierzu wissen?
Brösel: Dass Geschäftsberichte beeinflusst
werden, das sollte jeder wissen.
Dass dies
den Lagebericht in besonderer Weise betrifft,
ergibt sich aus den gesetzlichen Normen, die
zahlreiche Freiräume lassen, und den weitge-
hend qualitativ ausgerichteten Inhalten.
Biel:
Manchmal hört oder liest man von der
„Informationsaufblähung“
. Gibt es hierzu
Erfahrungen?
Brösel:
Neben der Art der Darstellung
spielt
der Umfang eine Rolle
, der weit oder eng ge-
fasst werden kann. Eine Verwässerung durch
Informationsaufblähung ist kaum nachweisbar,
denn die Aufnahme von weiteren Informatio-
nen kann das Unternehmen sowohl mit der
besonderen Bedeutung eines Sachverhaltes
für das Unternehmen als auch im Hinblick auf
das Befriedigen der besonderen Informations-
interessen bestimmter Adressaten begründen.
Der Informationsaufblähung sind jedoch
Schranken gesetzt: So haben es Unterneh-
men, die als bislang publikationsfreudig klassi-
fiziert werden, schwerer, zukünftig Informa-
tionen zurückzuhalten.
Ein plötzliches Weg-
lassen gewisser Angaben würde dann un-
mittelbar und nachteilig auffallen sowie
hinterfragt werden.
Biel:
Routine in der
sprachlichen Gestal-
tungsfähigkeit
ist also hilfreich?
Interview zum Thema: Lagebericht – noch ein Bericht?
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