CONTROLLER Magazin 2/2016 - page 59

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Es fehlt das gegenseitige
Verständnis
Obwohl die strategische Relevanz von IT-Groß-
projekten unbestritten ist, sind die Geschäfts-
leitung und die verantwortlichen Fachbereiche
mit dem inhaltlichen Verständnis dieser IT-Pro-
jekte regelmäßig überfordert. Denn Erfahrun-
gen, die man in der Vergangenheit in fachli-
chen Projekten gesammelt hat, lassen sich auf
diese großen IT-Vorhaben nicht übertragen.
Die IT ist und bleibt für sie eine Black Box. Das
ist fatal, denn damit bleibt den wichtigsten Sta-
keholdern der nötige IT-fachliche Zugang zu
einem für das Unternehmen lebenswichtigen
Großprojekt verwehrt. So entstehen zwangs-
läufig Diskrepanzen und unterschiedliche Er-
wartungshaltungen zwischen den Fachberei-
chen und der IT-Abteilung bei der Realisierung
dieser Vorhaben.
Es fehlt ein gestandener Projektleiter
Nichts ist schlimmer für ein IT-Großprojekt als
ein hoffnungslos überforderter Projektleiter.
Der Projektleiter eines Großprojekts muss so-
wohl die fachlichen als auch die notwendigen
Führungskompetenzen mitbringen – Erfahrun-
gen mit IT-Großprojekten inklusive. Doch statt
einem gestandenen Profi von außerhalb ein sol-
ches Projekt und damit das Schicksal des Un-
ternehmens in die Hände zu legen, wird kurzer-
hand ein Projektleiter aus den eigenen Reihen
rekrutiert. Dem fehlt es oft an der notwendigen
Erfahrung in Großprojekten. Was meist aber
noch viel schwerer wiegt: Es mangelt ihm an
der entsprechenden hierarchische Einstufung,
um das Projekt auch gegen Widerstände um-
setzen zu können.
Es fehlt der Gesamt-Überblick
Großprojekte werden schnell unübersichtlich.
Oft arbeiten dutzende Mitarbeiter zeitgleich an
verschiedensten Arbeitspaketen in unter-
schiedlichen Teilprojekten. Da kann der Über-
blick schnell verloren gehen. Viele Unterneh-
men versäumen es, ihre Großprojekte mit einer
übergreifenden Stelle zur Planung und Steue-
rung der Teilprojekte auszustatten. Die Rede ist
von einem Projekt-Management-Office (PMO),
das den Projektfortschritt im Auge behält und
bei Fehlentwicklungen rechtzeitig eingreift. Für
eine solche Projektsteuerung hat der Projektlei-
ter in der Regel gar nicht die Kapazität, weshalb
sie oft vernachlässigt wird. Schwierigkeiten und
Fehlentwicklungen bleiben daher oft unent-
deckt. Wenn die Probleme dann mit voller
Wucht zu Tage treten, ist ein Gegenwirken ent-
weder unmöglich geworden oder mit immensen
Kosten verbunden.
Es fehlt die Reife der Technologie
IT-Großprojekte besitzen in der Regel einen
hohen Grad an Innovation, schließlich ver-
sprechen neue Technologien oft der Schlüs-
sel zum Erreichen der Projektziele zu sein –
selbst dann, wenn sie erst im Projekt vollstän-
dig entwickelt werden sollen. Dabei bleibt un-
klar, ob die neuen Technologien unter den
zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingun-
gen überhaupt technisch stabil umgesetzt
werden können. Darüber hinaus unterschät-
zen die Projektbeteiligten oft den Aufwand,
sich ohne Erfahrungswerte mit technischen
Neuerungen zu befassen. Sie gehen oft von
zu positiven Planungsprämissen aus und stel-
len Projektverläufe auf, die zügiger sind als
realistisch verantwortbar. So mutieren Pla-
nungen zu Best-Case-Szenarien, die am
Ende signifikant mehr kosten, wenn sie von
der Realität eingeholt werden.
Es fehlt an Akzenten
im Change-Management
Größere IT-Vorhaben greifen oft tief in die Ab-
läufe eines Unternehmens ein, schließlich ver-
spricht man sich von dem Großprojekt signifi-
kante Kostenreduktionen, einen vermehrten
Kundennutzen sowie eine Erhöhung der Pro-
zesseffizienz. Solche Veränderungen führen
bei den Nutzern zu Unsicherheit, Skepsis, bis-
weilen sogar offenem Widerstand. Aufgabe
des Change-Managements müsste es sein,
diese negative Haltung durch aktive Kommuni-
kation zu beseitigen. In Workshops und Inter-
views müssen die Führungsverantwortlichen
und wichtige Schlüsselmitarbeiter überzeugt
und als Multiplikatoren gewonnen werden. Er-
staunlich nur, dass die Unternehmen oft ge-
waltige Summen in Tools und Trainings inves-
tiert haben, aber dann kläglich scheitern,
wenn es darauf ankommt, die Change-Gedan-
ken faktisch in die Organisation zu tragen, um
dem IT-Vorhaben nicht unnötig das Leben
schwer zu machen.
Es fehlt am notwendigen Miteinander
Bei kleineren Projekten gibt es in der Regel nur
einen Projekt-Sponsor. Großprojekte sind
meist bestimmt von ganzen Organisationen,
die wiederum von unterschiedlichen Ziel- und
Interessengruppen geprägt werden. Je größer
das Projekt ist, desto höher ist die Anzahl der
direkt und indirekt beteiligten Personen. Inter-
essenskonflikte sind dabei unvermeidbar. Be-
sonders brisant wird es, wenn die Stakeholder
nicht an einem Strang ziehen, sondern eher
ihren eigenen Motivationen folgen. Graben-
kämpfe, Widerstände und weitere Hemmnisse
sind dann fast unausweichlich. Sich benachtei-
ligt fühlende Stakeholder etwa können Wider-
stand gegen den Projektfortschritt leisten, in-
dem sie beispielsweise die besten Mitarbeiter
nicht für das Projekt abstellen, kritische Erfah-
rungen nicht teilen, Informationen vorenthalten
oder Entscheidungen bewusst verzögern. Die
Stakeholder zu kennen und möglichst zielge-
richtet mit ihnen zu kommunizieren, ist daher
von großer Bedeutung.
Eine klare Strategie –
Five Bold Steps
Für den Projektleiter in einem IT-Großprojekt
gibt es kein „Business as usual“. Er kann es
sich nicht leisten, längere Zeit in die falsche
Richtung zu laufen. Deshalb ist es wichtig, ein
Großprojekt mit einer Strategiearbeit zu begin-
nen: Ziele festlegen, Ziele anvisieren und Ziele
immer wieder nachjustieren. Das ist kein Buch
mit sieben Siegeln, steht aber auch in keinem
Projektmanagement-Handbuch. Nicht einmal
die Kompendien des Project Management Insti-
tute (PMI) oder der International Project Ma-
nagement Association (IPMA) befassen sich
mit Projektstrategien oder Strategiearbeit.
Wenn aber ein Projekt zentrale Geschäftspro-
zesse im Unternehmen umkrempelt, dann
muss die Business-Seite davon überzeugt wer-
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