25
nen in den Sinn kommt, ist in der Regel auch
die beste (Johnson & Raab, 2003). Jedoch ver-
lassen sie sich auf ihre erste „Eingebung“ umso
weniger, je länger sie nachdenken und je mehr
alternative Optionen sie generieren. Die Studien
zeigen Bedingungen auf, unter denen diese in-
tuitive Regel zum Erfolg führen kann:
Je mehr
Erfahrung jemand mit einem Problem hat,
desto besser ist er beraten, sich auf seine
erste Intuition zu verlassen und eine
schnelle Entscheidung zu treffen.
Ohne die-
se Erfahrung sollte man sich lieber Zeit nehmen
und alle Optionen abwägen. Darüber hinaus
braucht man oft eine Portion Mut, um sich
schnell zu entscheiden und die anderen Optio-
nen konsequent zu ignorieren. Wie die Studien
mit Sportlern zeigen, führt solches Nachdenken
über Alternativen im Schnitt zur Wahl minder-
wertiger Optionen.
In Bereichen, in denen Führungskräfte viel Er-
fahrung haben, ist es ebenfalls nicht zufällig,
welche Handlungsmöglichkeiten ihnen zuerst in
den Sinn kommen.
Wichtig ist daher, sich zu
fragen, ob diese Erfahrungen für die aktuell
anstehende Entscheidung repräsentativ
sind.
Verfügt eine Führungskraft in einem Be-
reich über wenig Erfahrung oder unterscheidet
sich die Situation grundlegend von vertrauten
Situationen, dann lohnt es sich vermutlich, ver-
schiedene Handlungsmöglichkeiten gründlicher
abzuwägen.
Verfügt eine Führungskraft
aber über ein ausreichendes Maß an pas-
sender Erfahrung, dann ist eher Mut ge-
fragt
, nicht lange weiter nach zusätzlichen
Möglichkeiten zu suchen, sondern sich schnell
zu entscheiden.
Zwischenfazit: Intuitive und schnelle
Entscheidungen können besser sein
Wir haben hier verschiedene Beispiele für intu-
itive Entscheidungsregeln vorgestellt. Diesen ist
gemeinsam, dass sie nur auf eine oder wenige
Informationen setzen und, im Gegensatz zu
komplexen statistischen Methoden, den Rest
ignorieren. Falls doch verschiedene Gründe
einbezogen werden, werden diese einfach
gleich gewichtet. Wir haben auch Belege dafür
angeführt, dass diese einfachen Entschei-
dungsregeln unter Umständen nicht trotz, son-
dern gerade wegen ihrer Einfachheit sogar bes-
ser sein können als komplexere Verfahren (vgl.
Marewski, Gaissmaier, & Gigerenzer, 2010).
Für Anhänger einer „mehr Informationen sind
immer besser“-Ideologie mögen diese Ergeb-
nisse überraschend sein und kontraintuitiv wir-
ken. Kulturelle Vorurteile und unser rationaler
Reflex zur Suche nach Daten lassen den Erfolg
einfacher Entscheidungsstrategien als kuriose
Ausnahmen erscheinen (Hertwig & Todd,
2003). Und doch treffen gerade Experten ihre
Einschätzungen aufgrund einer erstaunlich klei-
nen Informationsmenge (Shanteau, 1992).
Ebenso sind schnelle diagnostische Urteile von
Medizinern häufig besser als solche, über die
länger nachgedacht wurde (Sherbino et al.,
2012). Und Menschen können Fremde nach
einem Videofilm von nur 30 Sekunden Dauer
bereits zuverlässig beschreiben (Ambady &
Rosenthal, 1993).
Bei allen Beispielen von erfolgreichen Heuris-
tiken spielt
Erfahrung
eine zentrale Rolle. Erst
ein reichhaltiger Erfahrungsschatz ermöglicht
es Experten zu erkennen, welches die we-
sentlichen Aspekte einer Entscheidung sind
und welche Aspekte es zu ignorieren gilt.
Auf
der Basis relevanter Erfahrungen können
Experten mit schnellen, intuitiven Ent-
scheidungsregeln zu überlegenen Urteilen
gelangen.
Wann ist weniger mehr?
Angesichts der Erfolge einfacher Entschei-
dungsregeln ist vor allem die Frage relevant, in-
wieweit sich diese Ergebnisse verallgemeinern
lassen: Wann und unter welchen Umständen
sind Heuristiken generell erfolgreich? Entschei-
dend für den erfolgreichen Einsatz einfacher
Heuristiken ist es, die Bedingungen für ihren
Erfolg zu erkennen. Anstatt uns blind auf Intui-
tionen zu verlassen oder potenziell relevante In-
formationen fahrlässig zu ignorieren, müssen
wir wissen, wann und warum die Reduktion auf
weniger Information, Berechnung und Komple-
xität möglich und sinnvoll ist. Neben der bereits
betonten Relevanz solider Erfahrungswerte
spielen hier vor allem zwei Faktoren eine Rolle.
Einfache Heuristiken sind erfolgreich, wenn (1)
robuste Vorhersagen in einer ungewissen Um-
welt erforderlich sind und (2) heuristische Stra-
tegien an die Strukturen dieser Umwelt ange-
passt sind. In den folgenden Abschnitten wer-
den diese Faktoren kurz erläutert.
Ein wichtiger Grund für die vermeintliche Über-
legenheit von einer Vielzahl von Daten und de-
ren Verarbeitung in komplexen Modellen liegt
darin, dass diese für retrospektive Erklärungen
von Sachverhalten (z. B. der Unternehmensent-
wicklung im letzten Quartal) tatsächlich mäch-
tiger sind als einfache Erklärungsmodelle.
Doch daraus zu folgern, dass komplexe Model-
le generell erfolgreicher als einfache Heuristi-
ken sind, würde die tiefe Kluft zwischen
Erklä-
rung
und
Vorhersage
ignorieren. Ja, viele Da-
ten eignen sich hervorragend zur
Erklärung
vergangener Ereignisse. Aber für die meisten
unternehmerischen Entscheidungen sind prä-
zise
Vorhersagen
wichtiger als retrospektive
Erklärungen. Erklärungen, die keine guten Pro-
gnosen erlauben, sollten wir generell mit Skep-
sis begegnen. Ansonsten wäre eine Floskel wie
„das Schicksal wollte es so“ – oder eine belie-
bige ihrer ideologischen oder religiösen Varian-
ten – eine jederzeit zutreffende und sogar noch
sparsame “Erklärung” jedes beliebigen Sach-
verhalts. Da sich Entscheidungen aber auf zu-
künftige Ereignisse beziehen, garantieren prä-
zisere Daten und kompliziertere Berechnungen
in einer ungewissen Umwelt keine besseren
Entscheidungen. Im Gegenteil: Oft vermittelt
eine Vielfalt an Informationen lediglich eine fal-
sche Illusion von Sicherheit oder dient weniger
der Güte einer Entscheidung, als der Rechtfer-
tigung möglicher Fehlentscheidungen.
Einfache Heuristiken sind effizient und effektiv,
wenn sie an die (physikalischen, sozialen oder
institutionellen) Strukturen ihrer Umwelt ange-
passt sind. Die
Passung
zwischen einer Stra-
tegie, evolvierten menschlichen Fähigkeiten
und Umweltstrukturen wird auch
ökologische
Rationalität
(Todd, Gigerenzer, & the ABC Re-
search Group, 2012) genannt und macht Heu-
ristiken zugleich einfach und erfolgreich. Bei-
spielsweise fällt uns die hier skizzierte Wahlent-
scheidung auf Basis der Wiedererkennung ei-
ner Option nur deswegen leicht, weil wir über
ein sehr leistungsfähiges Wiedererkennungs-
gedächtnis verfügen. Sie ist nur erfolgreich,
weil in unserer medial und sozial vermittelten
Umwelt relevante Objekte oder Personen auch
wirklich häufiger vorkommen.
CM März / April 2016