CONTROLLER Magazin 2/2016 - page 24

22
tatsächlich nur 0,1%) von der Früherkennung
profitieren würden. (Übrigens gilt all dies in
ähnlicher Weise auch für den Nutzen und Scha-
den von Frauen bei der Brustkrebsfrüherken-
nung, Gøtzsche & Jørgensen, 2013).
Solche Missverständnisse lassen sich leicht
und nachhaltig vermeiden, indem die Daten in
verständlicher Form dargeboten werden.
Dazu eignen sich unter anderem einfache ta-
bellarische Zusammenfassungen, die auch
Faktenboxen
genannt werden. Abbildung 2
fasst die hier berichteten Daten zur Prostata-
krebsfrüherkennung in einer solchen Fakten-
box zusammen. Natürlich lassen sich diese
Daten mit graphischen Mitteln auch noch
stärker veranschaulichen, um auch Menschen
zu erreichen, die nicht gerne oder nicht gut
mit Zahlen umgehen.
Unser Beispiel der Früherkennung von Prosta-
takrebs verdeutlicht, dass unter allen Entschei-
dungen unter Unsicherheit diejenigen unter Ri-
siko noch relativ komfortabel sind (selbst wenn
es sich hier um ein unkomfortables Thema
handelt): Es ist klar, welche Optionen existieren,
welche möglichen Ergebnisse eintreten kön-
nen, und sogar, mit welcher Wahrscheinlichkeit
welches Ergebnis je nach gewählter Option un-
gefähr zu erwarten ist. Darüber hinaus besteht
bei dem beschriebenen Beispiel kein akuter
Zeitdruck, sondern man kann in Ruhe nach-
denken, abwägen und entscheiden – und sollte
dies auch tun. Einige Entscheidungen in Unter-
nehmen haben zumindest annähernd diesen
Charakter. Dennoch ist die Klasse an ungewis-
sen Entscheidungssituationen, in denen uns
nicht alle verfügbaren Optionen bekannt sind
und wir auch nicht alle möglichen Ergebnisse
des Handelns, geschweige denn deren Wahr-
scheinlichkeiten abschätzen können, vermut-
lich größer. Wie der folgende Abschnitt zeigt,
sind unter Ungewissheit ganz andere Entschei-
dungswerkzeuge notwendig.
Entscheidungen unter
Ungewissheit erfordern
Heuristiken und Intuition
Mit wem wollen wir unser Leben verbringen?
Welchen Beruf ergreifen? Wohin in den Urlaub
fahren? Fragen dieser Art begegnen uns im
ren Ländern, nur schlecht über Früherkennung
informiert sind und den Nutzen drastisch über-
schätzen (Gigerenzer, Mata, & Frank, 2009).
Wie im Text bereits ausgeführt, fürchten sie
sich oftmals gleichzeitig vor den falschen Din-
gen (z. B. mehr vor dem Fliegen als vor dem ei-
gentlich gefährlicheren Autofahren).
Zum
fehleranfälligen Umgang mit statisti-
schen Informationen
trägt sicherlich bei, dass
in Schule und Ausbildung noch immer vorran-
gig die Mathematik der Sicherheit gelehrt wird.
Aber während wir als Erwachsene von Algebra
bis Trigonometrie meist nur noch die Grundre-
chenarten brauchen, rächt sich der stiefmütter-
liche Unterricht in Statistik. Obwohl diese einen
der nützlichsten Teile der Mathematik darstellt,
wird sie – wenn überhaupt – oft erst spät und
anhand von abstrakten Beispielen behandelt.
Darüber hinaus werden statistische Informatio-
nen häufig auf schwer verständliche oder sogar
irreführende Art und Weise dargestellt. So wird
zum Beispiel die Reduktion der Prostatakrebs-
mortalität durch die Früherkennung von 5 auf 4
von 1.000 Männern gern als eine Reduktion um
20% beschrieben – eine sogenannte
relative
Risikoreduktion
, die ohne die Angabe der Ba-
sisrate (5 von 1.000) nicht in die
absolute Ri-
sikoreduktion
von 1 in 1.000 überführbar ist.
Als Folge dieser Darstellung denken viele Män-
ner irrtümlich, dass 20% aller Teilnehmer (statt
gab es bei ca. 30 von je 1.000 Männern in der
Früherkennungsgruppe. Anders ausgedrückt
gab es für jeden Mann weniger, der an Prosta-
takrebs verstorben ist (aber im selben Zeitraum
an etwas anderem verstarb), etwa 30 Männer,
die unnötig behandelt wurden, was bei einigen
von ihnen schwerwiegende Nebenwirkungen
wie Impotenz oder Inkontinenz nach sich zog.
Andere Studien fanden noch ungünstigere Er-
gebnisse, da sich dort zwar der Schaden der
Früherkennung ebenso deutlich zeigte, jedoch
keine Reduktion der Prostatakrebsmortalität
gefunden wurde (Ilic et al., 2013).
Paradoxerweise setzen sich also Männer, die
sich für die Teilnahme am PSA-Test entschei-
den, gerade dadurch großen Gesundheits/-risi-
ken aus. Blindes Vertrauen auf ärztliche Kom-
petenz und heilbringende Wirkung medizini-
scher Maßnahmen kann sich als naiv und
schädlich erweisen, während eine nüchterne
Analyse vorhandener Daten möglich und sinn-
voll wäre. Diese Daten zeigen, dass es sich bei
einer solch potenziell folgenreichen Entschei-
dung, wie die Teilnahme an einer Früherken-
nungsmaßnahme lohnt, das Für und Wider ver-
schiedener Optionen statistisch abzuwägen.
Doch kommt es beim Umgang mit Risiken und
Statistiken häufig zu Fehleinschätzungen. So
zeigen Ergebnisse von Befragungen, dass die
Menschen in Deutschland, aber auch in ande-
Abb. 2: Faktenbox, die den Nutzen und Schaden von Prostatakrebs Früherkennung durch PSA-Test
und digital-rektale Untersuchung zusammenfasst. Die Daten beruhen auf einer großen, randomisierten
klinischen Studie, an der mehr als 160.000 Männer teilgenommen haben (Schröder et al., 2014).
Die Intelligenz einfacher Entscheidungsregeln
1...,14,15,16,17,18,19,20,21,22,23 25,26,27,28,29,30,31,32,33,34,...116
Powered by FlippingBook