CONTROLLER Magazin 2/2016 - page 19

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rem persönlichen Umfeld selbst zu einem Be-
troffenen machen könnte. Die dann auftretende
Abneigung, ein erhöhtes Risiko in einem ge-
genteiligen Urteilsspruch selbst eintauschen zu
müssen, zeigt sich in der Zunahme des Vor-
sichtsprinzips, das jede Handlung verbietet, die
einem selbst und anderen schaden könnte.
Dieses Prinzip verlangt von jedem Akteur, dass
er einen zweifelsfreien Nachweis der Unbe-
denklichkeit seiner Handlung zu geben habe.
Diese Unerbittlichkeit ist aber in der unterneh-
merischen Praxis nicht durchsetzbar. Aber ihre
Anwendung ist in den allgemeinen Moralvor-
stellungen sehr wohl verankert. Dieses Dilem-
ma zwischen einer strikten Befolgung von mo-
ralischen Einstellungen, die für alle Menschen
gelten sollen, und einem effizienten Risiko-Ma-
nagement von Führungskräften, hat noch keine
zufriedenstellende Lösung gefunden.
Sechstes Controllerfazit
Alle Führungskräfte tragen ein emotionales
Unbehagen in sich und fragen sich, wie sie
es vermeiden könnten. Kann es demnach
noch als vernünftig gelten, seinen Ent-
schluss von der Antizipation seiner mögli-
chen Folgen beeinflussen zu lassen?
°
Eine erste Vorsichtsmaßnahme wäre, die
Folgen eines Entschlusses nach bestem
Wissen zu beurteilen, um so sein eige-
nes Gewissen zu beruhigen.
°
Eine zweite Vorsichtsmaßnahme wäre,
den Folgen bei ihrer Antizipation nicht
zu viel Gewicht beizumessen, so dass
auch hierbei das Gewissen beruhigt
sein könnte.
Basisrate und Information
Viele Entscheidungen basieren auf Überzeu-
gungen, die wiederum auf Wahrscheinlichkei-
ten über unsichere Ereignisse beruhen können.
Es ist daher die komplexe Aufgabe von Füh-
rungskräften, diese Wahrscheinlichkeiten ab-
zuschätzen und die Vorhersage von bewerte-
ten Informationen auf ein einfaches Beurtei-
lungskriterium zurückzuführen. Dabei sollte
sich jeder bewusst sein, dass sich sein Urteil
auf Daten mit einer begrenzten zeitlichen Gül-
tigkeit stützt.
Die Entscheidungstheorie
betrachtet die sub-
jektive Wahrscheinlichkeit als eine quanti-
fizierte Meinung einer idealisierten Person.
Daher erscheint es ratsam, ein praktisches Ent-
scheidungsproblem auf mehr als eine Art und
Weise zu formulieren, indem man die Robust-
heit der Präferenzen durch gezielt variierte For-
mulierungen überprüft. Dazu hat die Praxis
zwei Regeln beigesteuert:
°
Verankere Dein Urteil über die Wahrschein-
lichkeit eines Ereignisses in einer plausiblen
Basisrate. – Eine Basisrate ist eine Reihe
von Elementen einer Gesamtheit (eben des
konkreten Einzelfalls, eingebettet in einer
Reihe von ähnlichen Fällen), von der man
unter Umständen auch ihre jeweiligen Antei-
le zu kennen glaubt, so dass eine für plausi-
bel erachtete Zuordnung möglich wird.
°
Hinterfrage die Aussagekraft der Informati-
onen. – Ungeachtet der tatsächlich verfüg-
baren relevanten Informationen sind die ers-
ten Eindrücke über die Aussagekraft dieser
Informationen oft übertrieben. Man sollte
daher nicht allzu schnell und leichtgläubig
eine plausible Schlussfolgerung aus diesen
Informationen ziehen.
Gewichtung
Immer wenn eine Führungskraft eine Beurtei-
lung eines komplexen Projekts vornehmen
soll, gewichtet sie fast automatisch dessen
Merkmale. Dabei erhalten einige Merkmale
die einige Mitarbeiter begünstigen, andere re-
aliter nicht benachteiligen (sollen), aber von
den Betroffenen gefühlsmäßig doch als eine
Beeinträchtigung empfunden werden könn-
ten. Diese Mitarbeiter können dann einen
starken und konservierenden Impetus entwi-
ckeln, der sich gegen jeden Veränderungs-
willen ihres Status quo richtet: Sie setzen al-
les daran, ihr vertrautes Umfeld und ihren
Arbeitsplatz unverändert zu behalten. In die-
ser Auseinandersetzung können sie einen
unschlagbaren Vorteil ins Spiel bringen: Da
sie sich als potenzielle Verlierer betrachten,
zeigen sie sich entschlossener und aktiver als
die potenziellen Gewinner.
Fünftes Controllerfazit
Persönliche Betroffenheit ist kein guter
Ratgeber für unternehmerische Entschei-
dungen. Man sollte vielmehr bedenken,
dass man bestimmte Überzeugungen
hegt, die die moralische Beurteilung eines
Sachverhalts unterstützen können. Aber
ebenso ist zu beachten, dass es morali-
sche Präferenzen gibt, die per se nicht wi-
derspruchsfrei sind.
Art und Form der Darstellung
Niemand ist gefeit oder immun dagegen, wie
ein Risiko in Art und Form dargestellt wird: Je
anschaulicher ein Risiko beschrieben wird,
desto größer wird sein Entscheidungsgewicht
für die Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieses
Ereignisses. Selbst Fachleute geben unbe-
wusst einem Häufigkeitsmerkmal eine größere
Bedeutung als einer statistischen Wahrschein-
lichkeits-Aussage. Eine anschaulichere Be-
schreibung erzeugt einfach ein höheres Be-
deutungsgewicht. Indem die Aufmerksamkeit
des Entscheiders auf eine Auffälligkeit gelenkt
und konzentriert wird,
wird mitunter der Ein-
tritt eines wahrscheinlichen Ereignisses
überschätzt
. Das unwahrscheinliche Ereignis
erhält allein durch seine Erwähnung als ein
mögliches Ereignis eine Anschaulichkeit, die
die subjektive Wahrnehmung der Wahrschein-
lichkeit noch verstärkt.
Gerade Fachleute fühlen sich besonders betrof-
fen, wenn sie bei ihrem Urteil auch ein gegen-
teiliges Votum mit abwägen sollen, das sie in ih-
Autor
Dipl.-Volkswirt Gerhard Römer
ist seit 1982 selbstständig als Unternehmensberater, Semi-
nar-Veranstalter und Fachautor, spezialisiert auf Controlling.
Friedensweg 1a, 22609 Hamburg
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