CONTROLLER Magazin 2/2016 - page 26

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Wahrscheinlichkeit vorhersagen, dass ein Kun-
de mit einem bestimmten Profil auch zukünftig
aktiv sein wird. Allerdings verlassen sich die
meisten Führungskräfte eher auf intuitive Ent-
scheidungsregeln als auf statistische Progno-
semethoden (Parikh, 1994).
In einer empirischen Studie berichten Wübben
und Wangenheim (2008), dass erfahrene Füh-
rungskräfte folgende einfache Regel benutzen:
Sie stufen Kundinnen und Kunden einfach als
inaktiv ein, wenn sie innerhalb einer bestimm-
ten Zeitspanne nichts gekauft haben; ansons-
ten gelten sie als aktiv. Führungskräfte eines
Einzelhändlers für Bekleidung und einer Flug-
gesellschaft verließen sich hierbei auf eine Zeit-
spanne von neun Monaten, während diese bei
einem Online-CD-Händler sechs Monate be-
trug. Sie setzten nur auf die Aktualität des letz-
ten Kaufs und ignorierten Informationen wie
Volumen, Frequenz und Zeitpunkt länger zu-
rückliegender Käufe. Doch wie gut ist diese ein-
fache Regel im Vergleich zu komplexen statisti-
schen Methoden? Für die Einzelhändler für Be-
kleidung sagte die einfache Regel 83 Prozent
der Kunden richtig vorher, während die statisti-
sche Methode nur 75 Prozent richtig klassifi-
zierte. Für die Fluggesellschaft lag der Anteil
richtiger Vorhersagen bei 77 gegenüber 74
Prozent, und für das CD-Online-Geschäft lagen
beide Methoden gleichauf bei 77 Prozent.
Studien wie diese belegen empirisch einen
Weniger ist mehr
-Effekt: Eine Führungskraft,
die sich auf einen guten Grund verlässt, kann
nachweislich bessere Entscheidungen treffen,
als wenn sie versuchen würde, alle Gründe zu
berücksichtigen. Zahlreiche weitere Studien
zeigen, dass sich ein komplexes Problem unter
Umständen besser durch eine einfache Strate-
gie lösen lässt, die auf einen guten Grund
setzt, als durch den Einsatz komplexer und sta-
tistischer Methoden (Gigerenzer, Hertwig, &
Pachur, 2011).
Wann lohnt es sich, alle Gründe
oder Optionen gleich zu gewichten?
Natürlich gibt es auch Entscheidungen, bei de-
nen es nicht ausreicht, auf einen einzigen
Grund zu setzen, sei es, weil die verschiede-
nen Dimensionen voneinander unabhängig
statt redundant sind, oder sei es, weil die Igno-
ranz von Gründen moralisch oder politisch
nicht legitim ist. Wie soll man in solchen Fällen
mit, sagen wir, einer Handvoll Gründe umge-
hen? Schon vor vielen Jahren entdeckte der
Psychologe Robyn Dawes (1979), dass es sich
in solchen Situationen oft nicht auszahlt, die
Gründe unterschiedlich zu gewichten. Jedem
der Gründe das gleiche Gewicht zu geben –
also einfach die guten Gründe pro Option zu
zählen – funktionierte bei vielen Problemen
genauso gut und oft sogar besser. Nach Da-
wes ergibt sich daraus für erfahrene Entschei-
dungsträger die Aufgabe, die wenigen wirklich
wichtigen Gründe zu identifizieren, die für eine
Entscheidung relevant sind. Die Frage, wie
man diese dann gewichten sollte, kann man
sich in vielen Fällen sparen.
Eine Variante dieser Strategie existiert bei der
Verteilung vorhandener Ressourcen, indem
man diese schlicht gleichmäßig verteilt. Ein
Beispiel: Sie möchten Ihr Geld in Aktienfonds
investieren, von denen N verschiedene in Frage
kommen. Weil Sie nicht alles auf eine Karte set-
zen wollen, möchten Sie Ihre Anlage diversifi-
zieren, aber wie genau sollten Sie das tun? Har-
ry Markowitz hat 1990 den Nobelpreis für Öko-
nomie für die Lösung dieses Problems erhalten:
eine Portfolio-Optimierungs-Strategie nach
dem Mean-Variance-Prinzip. Man sollte anneh-
men, dass er sein auch eigenes Geld – ganz im
Sinne der Idee, dass komplexe Probleme auch
komplexe Antworten benötigen – gemäss die-
ser Strategie auf die N verfügbaren Fonds auf-
teilte. Doch das hat Markowitz selbst nicht ge-
tan. Vielmehr verließ er sich auf eine intuitive
Regel, die 1/N-Regel, die darin besteht, sein
Geld gleichmäßig auf alle N verfügbaren Fonds
zu verteilen – eine einfache Lösung für ein kom-
plexes Problem. (Zugleich teilt diese Lösung ein
wesentliches Prinzip mit der Mean-Variance-
Methode, nämlich das der Diversifikation.)
Kann eine so einfache Strategie erfolgreich
sein? Sie kann, wie sich bei einem Vergleich
der 1/
N
-Regel mit 14 komplexen Anlageme-
thoden, darunter auch Mean-Variance, an sie-
ben Investment-Problemen gezeigt hat (De-
Miguel, Garlappi und Uppal, 2009). Damit die
komplexen Methoden ihre Parameter ab-
schätzen konnten, erhielten sie zehn Jahre
Aktiendaten und sollten auf dieser Grundlage
den nächsten Monat vorhersagen. Dann wur-
de einen Monat weitergegangen und das Ver-
fahren wiederholt, und so weiter, bis keine Da-
ten mehr übrig waren. Die 1/
N
-Regel braucht
keine Daten, um Parameter zu schätzen.
Trotzdem schnitt sie, gemessen an den übli-
chen Finanzkriterien, besser ab als die Mean-
Variance-Methode. Auch keine der anderen
komplexen Strategien konnte die scheinbar
naive 1/
N
-Regel übertreffen, die langfristig oft
höhere Gewinne erzielte.
Wann ist Gleich-
verteilung gemäss 1/
N
generell erfolg-
reich?
Erstens, wenn man
Entscheidungen
unter hoher Unsicherheit
trifft, wie etwa am
Aktienmarkt. Zweitens,
wenn die Anzahl
möglicher Optionen N groß ist
. Drittens,
wenn nur relativ wenige relevante Daten
vorliegen
. In der vorliegenden Untersuchung
waren zehn Jahre an Aktiendaten zu wenig.
Gehen wir einmal von 50 Anlageoptionen aus:
Wie viele Jahre Aktiendaten bräuchte man,
damit die komplexe Markowitz-Optimierung
zu besseren Ergebnissen als die einfache in-
tuitive Regel führen würde? Die Antwort lau-
tet: etwa 500 Jahre.
Eine gleichmäßige Verteilung von Ressourcen,
oder aber auch deren gleichmäßige Kürzung,
hat noch weitere Vorteile:
Sie entspricht einer
grundsätzlichen Vorstellung von Gerechtig-
keit, obwohl es eine Vielzahl von Situatio-
nen gibt, in denen eine Gleichverteilung
keineswegs gerecht ist.
Somit stößt sie auf
weniger Widerstände und lässt sich leichter
durchsetzen. Abweichungen von gleichmäßiger
Verteilung müssten jeweils begründet werden,
und all diejenigen, die nicht am besten weg-
kommen, würden sich benachteiligt oder un-
gerecht behandelt fühlen. Bei gleichmäßiger
Ressourcenverteilung muss man diese nicht
begründen und es treten weniger Klagen auf.
Kann man sich auf das verlassen, was
einem als Erstes in den Sinn kommt?
Handball ist ein Mannschaftssport. Wie lange
sollte man darüber nachdenken, wie man mit
seinen Mitspielern interagiert, z. B. ob man den
Ball noch einmal abgeben oder doch gleich
aufs Tor werfen sollte? Handballspieler, die
über viel Erfahrung verfügen, sollten hier nicht
zu lange nachdenken. Die erste Option, die ih-
Die Intelligenz einfacher Entscheidungsregeln
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