CONTROLLER Magazin 2/2016 - page 18

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Fairness und Moral
In der Entscheidungstheorie werden auch be-
stimmte Entscheidungsmotive berücksichtigt:
Ganz allgemein sind Menschen stärker mo-
tiviert, Verluste zu vermeiden, als Gewinne
zu erzielen.
Auslöser für diese Motivdominanz
kann einerseits ein besonders günstiger Status
quo in der Entscheidungssituation, aber auch
ein sehr ambitiöses Ziel in der Zukunft sein.
Dann bedeutet, dieses Ziel nicht zu erreichen,
einen Verlust zu erleiden. Umgekehrt bedeutet,
ein Ziel zu übertreffen, einen Gewinn zu erzie-
len. Ähnlich verhält es sich mit der Status-
Frage: Könnte ein persönlicher Status quo nach
einem Entscheid in Frage gestellt sein, könnte
das einen Verlust signalisieren und vice versa.
Beide Motivlagen sind daher als nicht gleichge-
wichtig anzusehen. Die Aversion gegen ein
Nicht-Erreichen eines Zieles ist im Allgemeinen
weitaus stärker ausgeprägt als ein Verhalten,
es zu übertreffen.
Diese Vorüberlegungen führen unter anderem
zu der
Frage nach der Bedeutung von
Fairness im Wirtschaftsleben
. Kann oder
darf einem unfairen Verhalten beim Profit-
streben mit gewissen Einschränkungen be-
gegnet werden? Nach Befragungen (erst mit
Studenten, dann mit „normalen“ Mitmen-
schen) stellte sich für Kahneman heraus,
dass es bestimmte moralische Regeln gibt,
was Unternehmen tun dürfen und was nicht.
Danach ergeben sich auch neue Anschauun-
gen darüber, was als Gewinn und was als
Verlust anzusehen ist.
Im Prinzip stellen der Preis, der Lohn oder je-
der andere monetäre Wert einen Referenzwert
dar, der seinem Wesen nach von der Allge-
meinheit wie ein Anspruch wahrgenommen
und auch so behandelt und deshalb auch nicht
angetastet werden darf. Danach gilt es als un-
fair, wenn ein Unternehmen seinen Kunden
bezüglich eines oben festgelegten Referenz-
wertes (etwa durch einen zu hohen Preis) „Ver-
luste“ aufbürden würde, es sei denn, es wäre
zur Wahrung seiner eigenen Interessen dazu
gezwungen. Eine Fairness-Regel besagt dem-
entsprechend, dass es viel akzeptabler sei,
seine Marktmacht auszunutzen, nicht um die
eigene Klientel, sondern die der Konkurrenten
mit Verlusten zu belasten.
Führungskraft so formuliert wird, dass die Nut-
zung aller verfügbaren, „auf verschiedene Köp-
fe verteilten“ Informationen zur Gesamtbeurtei-
lung herangezogen werden. Zu diesen „verteil-
ten“ Informationen können auch solche aus
fremden oder ähnlich gelagerten Projekten
zählen, die mit dem in Rede stehenden Projekt
nur indirekt vergleichbar sind. Mit diesem
Denkansatz gewinnt man jenen „Drittblick“, mit
dem man Planungs- und Prognose-Fehler so
gut wie vollständig ausschließen kann.
Viertes Controllerfazit
Die vorzeitige Beendigung eines Projektes
könnte einen (langfristigen) Makel in der Bi-
lanz einer erfolgsverwöhnten Führungskraft
sein. Die Führungskraft könnte meinen, es
wäre für ihre persönlichen Interessen und
Ziele dienlicher, wenn sie weiterhin Finanz-
mittel ihres Unternehmens aufs Spiel set-
zen würde, in der Hoffnung, die Investiti-
onssumme doch noch erwirtschaften zu
können, oder dem Bestreben nachzugeben,
den Tag der ultimativen Abrechnung und
„Offenbarung“ so lange wie möglich hin-
auszuschieben.
Weil solche Verluste eine Führungskraft un-
mittelbar und persönlich betreffen, rufen sie
negative Gefühle hervor. Aber wenn das Un-
ternehmen außerplanmäßige Kosten aus ei-
nem Investitionsprojekt tragen muss, werden
sie von der Führungskraft als „nicht gravie-
rend“ eingestuft und empfunden. Solche Füh-
rungskräfte verstehen sich selbst als Herr-
scher über das Risiko. Sie verhalten sich „tole-
ranter“ gegenüber diesen betrieblichen Ver-
lusten, vermutlich weil sie auf das Risiko, das
ihnen ihr Marktumfeld signalisiert, eben nicht
emotional reagieren. Erst wenn sie in ihrem
persönlichen Umfeld durch ihre Entscheidung
betroffen wären, nähme ihre emotionale Reak-
tion deutlich zu.
Ein ähnliches Verhaltensmuster lässt sich be-
obachten, wenn Führungskräfte ein ganzes
Unternehmen oder ihren Verantwortungs-
bereich reformieren wollen.
Reformpläne,
die den bürokratischen Apparat eines
Fixkostenblocks zu
straffen versuchen,
verursachen Gewinner und Verlierer.
Dies
insbesondere dann, wenn die Reformpläne so
genannte „Besitzstandsklauseln“ enthalten,
Drittes Controllerfazit
Aufgabe des Controllers bei der Begleitung
„seiner“ Führungskraft kann nach meiner
Meinung nicht darin bestehen, ein ideales
Verhalten von Führungskräften zu identifi-
zieren, zu propagieren oder vorzuschlagen.
Vielmehr gilt es, ein Führungsverhalten zu
finden und herauszupräparieren, das ein all-
gemein akzeptables Verhalten von jener
Handlungsweise trennt, die zu sozialer Äch-
tung oder gar Bestrafung führen könnte:
°
Unternehmen, die gegen solche Fairness-
Regeln verstoßen, werden im Allgemeinen
mit Nachfrage-Rückgang bestraft;
°
Unternehmen, die eine als unfair emp-
fundene Preispolitik betreiben, müssen
mit Umsatzeinbußen rechnen.
Persönliche Betroffenheit
Führungskräfte fürchten das Urteil ihre Umwelt.
Wenn sie ihr persönliches Scheitern vor ihren
Kollegen und damit auch vor sich selbst einge-
stehen müssen, weigern sie sich selbstver-
ständlich, die von ihnen zu verantwortenden
Verluste erstens anzuerkennen und zweitens zu
begrenzen. Sie werden vielmehr alles daran set-
zen wollen, um den kleinsten Anschein eines
Verlustes zu vermeiden. Das heißt, sie werden
eine Fehleinschätzung oder ein Fehlurteil nicht
nur nicht zugeben wollen, sondern auch mit
noch mehr Aufwand zu bemänteln suchen. Wie
die Praxis schon gezeigt hat, werden sie immer
wieder versuchen, noch mehr gutes Geld dem
schlecht gewordenen hinterherzuwerfen, nur um
„ihr“ Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss
zu verhelfen. Vor die Wahl gestellt, entweder ein
Projekt aufzugeben und scheitern zu lassen oder
es weiter zu betreiben, obsiegt die Unvernunft.
Hinzu kommt das Wissen von Führungskräften,
dass Großprojekte wegen Kosten- und/oder
Terminüberschreitung nur selten abgebrochen
werden. Weil ein Projekt schon so viel Arbeit
und Zeit beansprucht und verursacht habe,
wäre es doch blamabel und widersinnig, es
mitten in der Durchführung zu stoppen. Die ir-
reversiblen Projektkosten („sunk costs“) ver-
langten nach einer Bestätigung: Deshalb wird
immer weiter „gewurschtelt“.
Der Controller sollte sich daher bemühen, dass
der Planungs- und Prognose-Auftrag für seine
Nicht rationale Komponenten in der Entscheidungsfindung
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