CONTROLLER Magazin 2/2016 - page 8

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Wenn wir das nicht tun und die Wirtschaft
schließlich stockt, erwischt es uns härter als
andere und dann greift wieder die praktische
Opfermechanik: „Der Markt ist aus den Fugen,
die Energiekosten sind zu hoch, die bürokra-
tischen Vorgaben ein Dickicht von Daumen-
schrauben, die Straßen zu voll und die Kunden
drücken die Preise, wo sie nur können.“ Da-
rauf, dass alles nur deshalb so schlimm ist,
weil wir uns vor ein paar Monaten um eine
weitreichende, aber wichtige Entscheidung
gedrückt haben, kommen wir gar nicht erst.
Auf nichts ist Verlass –
außer auf diesen Satz
Wer einmal so auf die Nase gefallen ist, wird im
Idealfall aus seinen Fehlern etwas gelernt ha-
ben und von jetzt an nur noch strategisch ent-
scheiden wollen, anstatt die Sache auszusitzen.
Alles könnte so schön sein, doch es gibt einen
Haken: Die Zukunft ist unsicher. Wir werden nie
mit vollkommener Sicherheit sagen können,
wie der Markt in drei Jahren aussieht, wie die
Banken sich verhalten und wie sich die Branche
und ihre Schwesterbranchen verändern wer-
den. Trotzdem müssen alle Unternehmen Ent-
scheidungen treffen, wohin der Weg führen
soll.
Drohende Gefahren vorwegzunehmen,
Chancen vorauszuahnen und selbstbe-
wusst an Stärken und Schwächen des Un-
ternehmens zu arbeiten, ist ohne Alternative.
Was dabei herauskommt, müssen allerdings
felsenfeste Entscheidungen sein, keine Lippen-
bekenntnisse und schönen Konjunktive.
Ein Beispiel? „Wenn Sie heute Ihr Geschäft nur
mit Transporten machen, werden Sie die
nächste Krise nicht überleben.“ Logistikunter-
nehmen, die das 2006 von ihrem Unterneh-
mensberater gehört haben, ohne umzudenken
und zu handeln, hatten 2009 in der Flaute ein
dickes Problem. Die Wirtschaftswoche schrieb
seinerzeit über die entschlossenen Entschei-
der: „Statt in riesige Lkw-Flotten zu investieren,
organisieren sie mit intelligentem IT-Einsatz
komplette Logistikketten und bieten zusätzliche
Dienstleistungen wie Lagerhaltung oder Monta-
gearbeiten. Damit unterscheiden sie sich von
den einfachen Truckern und können höhere
Preise verlangen.“ Solche Entscheidungen fällt
man sicher nicht zwischen Tür und Angel. Sie
aber gar nicht zu treffen, kann schnell aus der
absoluten Eigenständigkeit in die Abhängigkeit
oder die Bedeutungslosigkeit führen.
Hart Backbord! Eisberg voraus!
Das Krisenbeispiel zeigt eins ganz deutlich:
Entscheidende Entwicklungen zu verschla-
fen, ist
fahrlässig, aber ihre Notwendigkeit
bemerken und nach dem Prinzip Hoffnung
zu ignorieren, ist fatal.
Wenn Sie sich auf eins
verlassen können, dann darauf, dass Sie sich
auf nichts verlassen können. Oft fehlt vor allem
eines: ein ausreichender Leidensdruck. Das
Ruder herumreißen, wenn der Eisberg schon
vor dem Bug dümpelt, ist keine Kunst. Zu wis-
sen, dass er unter der Wasserlinie größer ist als
an der Oberfläche und frühzeitig zu reagieren,
ist lebenswichtig.
Aber was hält uns davon ab, eine Entscheidung
zu fällen? Was lässt uns sehenden Auges die
falsche Wahl treffen? Und was lässt uns an ei-
ner Entscheidung festhalten, obwohl wir schon
spürbar auf dem Holzweg sind? Wenn wir uns
diese Fragen stellen und die Antworten verin-
nerlichen, schaffen wir ein Bewusstsein, das
über mathematische Methoden der Entschei-
dungstheorie hinausgeht.
Sicher sind Entscheidungsbäume und Software-
lösungen sinnvoll, die komplexe kausale Bedin-
gungen in Erfolgswahrscheinlichkeiten umrech-
nen.
Diese funktionieren aber nur in einem
stabilen Umfeld wirklich gut, in dem es we-
nig unvorhersehbare Querschüsse gibt.
Ohne die gar nicht so weichen Faktoren Intuition
und Entschlossenheit nutzen einem die besten
Zahlen nichts – vor allem deshalb, weil die größ-
ten Innovationen und die besten Problemlösun-
gen oft gegen das Diktat des „Das haben wir und
andere immer so gemacht“, gefunden werden.
Trägheit und Angst –
die großen Bremser
In vielen Fällen ist es einfach Angst, die Ent-
scheidungen verhindert:
·
Die Angst, Vertrautes und Erfolgreiches
loszulassen
·
Die Angst, ein Risiko einzugehen, wo doch
alles gerade so gut funktioniert
·
Die Angst, Verantwortung zu übernehmen
Wenn Sie wie festgewurzelt vor einer Entschei-
dung stehen und keinen Weg sehen, fragen Sie
sich: „Welche Angst habe ich, und was würde
ich tun, wenn ich keine Angst hätte?“ Damit
sind Sie der Lösung auf der Spur.
Für alle Entscheidungen, gleich in welchem
Zeitfenster Sie sich bewegen, gilt das Träg-
heitsgesetz:
Trägheit lässt uns alle tagtäg-
lich bekannten, eingetretenen Pfaden fol-
gen.
Nicht nur wir, auch Unternehmen, ja gan-
ze Gesellschaften erliegen den Verlockungen
der Trägheit. Unsere einmal getroffene Mei-
nung steht fest, also verschwenden wir keine
Gedanken mehr an mögliche Änderungen oder
gegenläufige Entscheidungen. Alles, was unse-
rer Sichtweise entspricht, nehmen wir dankbar
auf – widersprüchliche Informationen werden
einfach ausgeblendet.
Alle Menschen folgen mehr oder minder unbe-
wusst diesem Mechanismus, von klein auf. So-
bald einmal eine Richtung festgelegt, eine Mei-
nung gebildet oder eine Wahl getroffen wurde,
stellen wir sie im Nachhinein als die einzig wah-
re dar. Dieses Prinzip erscheint zunächst einmal
sehr sinnvoll, da es uns Sicherheit gibt und die
Komplexität unseres Alltags verringert. Was wir
dabei jedoch nicht bemerken: Wir wollen da-
durch bestimmte Dinge nicht sehen, blenden
Mitdenken und Entscheiden
Autor
Peter Brandl
ist Kommunikationsprofi, Berufspilot, Unternehmer, Fluglehrer
und mehrfacher Autor (Hudson River – Die Kunst schwere Ent-
scheidungen zu treffen). Ein gefragter Redner auf über 300
Veranstaltungen im deutschsprachigen Raum.
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