CONTROLLER Magazin 2/2016 - page 11

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Ähnliches galt lange Zeit für die vierte und letz-
te Barriere, die
kognitiven Verzerrungen
. Sie
stehen im Mittelpunkt dieses Beitrags und sind
häufig der Engpass rationalen Handelns. Unter
kognitiven Verzerrungen sind alle systema-
tischen, meist unbewussten fehlerhaften
Neigungen bei der Wahrnehmung, Progno-
se und Bewertung von Sachverhalten zu
verstehen.
Davon gibt es viele. Wir möchten
im Folgenden sechs Kategorien solcher Verzer-
rungen unterscheiden:
°
Manager überschätzen sich
(selbstbezo-
gene Verzerrungen): Sie sind zu optimis-
tisch, zu selbstbewusst (90% aller Fahrer
glauben, dass sie besser Auto fahren als der
Durchschnitt), sie überschätzen ihre Fähig-
keit zur Kontrolle einer Situation („Ich kann
noch Auto fahren“), rücken sich die Vergan-
genheit zurecht („Ich habe es schon immer
gewusst“) oder attribuieren Erfolge viel zu
sehr auf die eigene Person („Ohne mich
hätten wir das nie geschafft“).
°
Manager sind durch
Konformitätsdruck in
der Gruppe
beeinflusst („groupthink“,
„bandwagon effect“) und überschätzen die
Weisheit von Vorgesetzten und von als sol-
che wahrgenommenen Experten und Auto-
ritäten (sozial induzierte Verzerrungen).
°
Manager sind
durch ihre Zuneigung zu
Menschen und Dingen geblendet
(zunei-
gungsinduzierte Verzerrungen): Sie finden es
schwer, die Zuneigung zu einer Person von
der Sachdiskussion zu trennen, sie verspüren
unbewusst den Drang, Gefälligkeiten mit Ge-
genleistungen zu vergelten und sie hängen zu
sehr an Dingen, die ihnen gehören („Mein
Unternehmen“) oder die sie selber aufgebaut
und groß gemacht haben („Mein Projekt“).
°
Manager lassen sich durch Präsentation
und äußere Gestalt blenden
(Wahrneh-
mungsverzerrungen): Die Einbettung gege-
bener Informationen („framing“), ständige
Wiederholung („frequency“) und die zuerst
genannte Zahl („anchoring“) beeinflussen
sie zu sehr; daneben schließen sie zu
schnell von einzelnen Eigenschaften eines
Menschen oder eines Projekts auf das Gan-
ze („halo effect“).
°
Manager möchten
nichts bedauern und
scheuen mögliche Veränderungen
(sta-
bilitätsinduzierte Verzerrungen): Sie tun sich
schwer damit, bereits angefallene Kosten in
der Entscheidungsfindung zu ignorieren
(„sunk costs“). Sie bereuen Verluste stärker
als entgangene Gewinne, sie ignorieren
mögliche Reaktionen von Wettbewerbern
oder Regulierern, sie vertrauen zu sehr dem
Fortdauern vorliegender Trends und orien-
tieren sich zu stark am Status Quo – etwa
bei der Kapitalallokation.
°
Manager vereinfachen zu stark
(vereinfa-
chungsinduzierte Verzerrungen): Sie schlie-
ßen zu schnell vom Ergebnis auf die Qualität
des Prozesses; sie vernachlässigen die
Grundgesamtheit, verzichten auf nicht ein-
fach zugängliche Informationen und die Dis-
kussion von Alternativen. Zudem trennt ihr
Unterbewusstes Korrelation nicht scharf ge-
nug von Kausalität, und sie tun sich schwer
mit nicht linearen Zusammenhängen und
Wahrscheinlichkeiten.
Sie sehen: Unbewusste und fehlerbehaftete Ver-
zerrungen können Entscheidungen in vielfältiger
Weise negativ beeinflussen. Diverse Bestseller
haben das Thema in den letzten Jahren propa-
giert und hoffähig gemacht; beispielhaft sei nur
auf die Werke von Daniel Kahneman und Dan
Ariely verwiesen. Gleichzeitig ist der Umgang mit
kognitiven Verzerrungen in den meisten Unter-
nehmen aber nach wie vor ein Randthema, häu-
fig auch aus einer gewissen Hilflosigkeit heraus.
Schließlich gehen die meisten Alphatiere im Ma-
nagement davon aus, dass kognitive Verzerrun-
gen vielleicht ein wichtiges Thema für Trainings
sein mögen, aber keinesfalls sie selbst betref-
fen. Zudem lassen sich Menschen in ihren
grundlegenden Verhaltensweisen ab einem ge-
wissen Alter und Hierarchiegrad vermeintlich
ohnehin nicht mehr verändern. Entsprechend
Abb. 1: Barrieren einer rationalen Unternehmensführung im Überblick
CM März / April 2016
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