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wirft das zumindest Fragen auf, denen man
nachgehen sollte.
Wann ist ein guter Grund besser als viele
Gründe?
Eine Führungskraft hat in der Regel viele ver-
schiedene Gründe für und gegen eine Option.
Soll sie nun alle Gründe berücksichtigen oder
wäre sie besser beraten, sich nur auf einen gu-
ten Grund zu verlassen? Bis heute ist es eine
Grundannahme vieler Menschen – einschließ-
lich vieler Wissenschaftler – dass der Einbezug
von mehr Informationen immer auch zu besse-
ren Ergebnissen führt. Unsere Forschung zeigt
jedoch, dass oft das Gegenteil gilt:
Bei vielen
Entscheidungen ist es ratsam, lediglich auf
einen guten Grund zu setzen und die restli-
chen Gründe zu ignorieren, weil diese vom
Wesentlichen ablenken und nur alles kom-
plizierter machen.
Auch hier decken sich
wissenschaftliche Ergebnisse mit unternehme-
rischen Erfahrungen. So erzählte uns ein Un-
ternehmer, dass er von seinen Mitarbeitern lie-
ber nur einen guten Grund hören möchte, war-
um er in eine bestimmte Finanzanlage und
nicht in eine andere investieren solle. Bekäme
er zu viele Gründe dafür oder dagegen ge-
nannt, würde er am Ende meistens überhaupt
nicht investieren, da bei jeder Finanzanlage zu
viel dagegen spräche.
Daher sei es besser,
auf einen wirklich guten Grund für eine An-
lage setzen.
In systematischen Untersuchungen konnte
ebenfalls gezeigt werden,
dass ein guter
Grund, der auf der Erfahrung von erfolgrei-
chen Führungskräften beruht, besser als
komplexe statistische Entscheidungsver-
fahren sein kann.
Zum Beispiel müssen Ver-
sandhäuser zur Planung von Werbekampagnen
aktive Kunden, die in einem bestimmten
Zeitrahmen wahrscheinlich wieder etwas kau-
fen werden, von inaktiven Kunden unterschei-
den, die keine Kaufabsichten mehr haben. Die
Unternehmen verfügen über große Datenban-
ken, die die Menge, Art und Zeitpunkte der bis-
herigen Einkäufe jedes Kunden erfasst. Wie soll
eine Führungskraft aufgrund dieser Informatio-
nen vorhersagen, welche Kunden zukünftig ak-
tiv sein werden? Oft kommen hier komplexe
statistische Methoden zum Einsatz, die die
fördert fast automatisch unser Vertrauen. Das
bloße Wiedererkennen einer Person oder auch
nur eines Namens kann sogar wichtiger sein als
andere Informationen: Beispielsweise vertrauen
Menschen darauf, dass ein Politiker, dessen
Namen sie schon einmal gehört haben, viele
Stimmen bekommen wird, selbst wenn sie wis-
sen, dass dieser Politiker einer kleinen Partei
angehört (Marewski et al., 2010). Auch sind
Menschen überzeugt davon, dass bekannte
Fluglinien sicherer sind als unbekannte, und
viele bleiben dieser Überzeugung selbst dann
treu, wenn sie erfahren, dass die bekannte
Fluglinie schlechte Sicherheitsdaten aufweist
(Richter und Späth, 2006).
Ist die Präferenz wiedererkannter Objekte im-
mer eine gute Strategie? Oder, besser gefragt:
Wann ist „Setze auf das, was Du kennst“
eine gute Strategie?
Die Bevorzugung wie-
dererkannter Informationen ist in Umwelten
erfolgreich, in denen Unwissen (also das
Nichtwiedererkennen von Dingen) systema-
tisch statt zufällig ist. Ein solcher Zusammen-
hang zwischen Wiedererkennen und Kriterium
existiert in vielen Bereichen, etwa in Wettbe-
werbssituationen, wenn es beispielsweise um
die Erfolge einer Sportmannschaft, die Quali-
tät einer Hochschule oder die Qualität der Pro-
dukte einer Firma geht. Im Unternehmenskon-
text lässt sich diese Regel zum Beispiel bei
der Bewertung anderer Unternehmen, von
Bewerberinnen und Bewerbern oder mögli-
chen Kooperationspartnern anwenden. Wenn
man schon einmal von jemandem gehört hat,
kann das ein gutes Zeichen sein. Doch sollte
man darauf natürlich nicht blind setzen, son-
dern sich stets fragen, ob der Grund dafür,
von jemandem schon mal gehört zu haben,
ein guter ist: Hat er oder sie erfolgreiche Pro-
jekte zum Abschluss gebracht, die sich aus
guten Gründen herumgesprochen haben?
Oder kennt man den Namen nur zufällig, zum
Beispiel weil jemand in der Nachbarschaft
wohnt? Nur im ersteren Fall ist das Wiederer-
kennen ein valider Indikator für zukünftige
Leistungen. Genauso gilt hier umgekehrt,
dass das Nichtwiedererkennen des Namens
eine nützliche Information sein kann: Hat je-
mand zum Beispiel auf dem Papier schon vie-
le Projekte in einem Bereich abgeschlossen,
in dem man sich selbst auskennt, aber man
hat noch nichts von dieser Person gehört,
Laufe unseres Lebens immer wieder, aber eine
Strategie des Durchrechnens würde sofort
scheitern: Zu viele Unbekannte, zu viel Unge-
wissheit.
In solchen Situationen helfen uns
einfache, intuitive Regeln
, die auch Heuristi-
ken genannt werden.
Heuristiken
sind Ent-
scheidungsstrategien, die Informationen igno-
rieren, um Entscheidungen schneller, sparsa-
mer, und mit größerer Genauigkeit zu treffen
(Gigerenzer & Gaissmaier, 2011). Der Zusatz
der größeren Genauigkeit mag überraschen,
denn Heuristiken werden oft als Strategien dar-
gestellt, die den Lösungsweg zwar abkürzen,
aber auch oft zu systematischen Fehlern führen
(z. B. Kahneman, 2012). Wir sind der Ansicht,
dass dieser
Generalverdacht gegenüber
Heuristiken
vorschnell und meist unbegründet
ist, da die empirische Evidenz eher für die
Überlegenheit von Heuristiken
spricht und
die Voraussetzungen für alternative Strategien
im Alltag selten gegeben sind (Neth & Gigeren-
zer, 2015). Unter Ungewissheit weisen Heuristi-
ken
entscheidende Vorteile
gegenüber sta-
tistischen Strategien auf,
weil sie rasche und
robuste Lösungen ermöglichen
. Gerade bei
komplexen Problemen unter hoher Ungewiss-
heit führt der oben beschriebene rationale Re-
flex – also das Verlangen nach mehr Informati-
onen und komplizierteren Berechnungen – in
eine Sackgasse. Stattdessen gilt:
Gerade
komplexe Probleme unter Ungewissheit er-
fordern einfache und intuitive Entschei-
dungsstrategien.
Trotz ihrer Einfachheit sind Heuristiken keines-
wegs trivial. Ihr Erfolg hängt vielmehr von der
Gegebenheit spezifischer Bedingungen ab. Im
Folgenden beleuchten wir einige dieser Voraus-
setzungen näher, um die Funktionsweisen heu-
ristischer Entscheidungen zu verdeutlichen.
„Setze auf das, was Du kennst“: Wann ist
Wiedererkennen eine gute Strategie?
Viele Entscheider halten sich z. B. an eine
ein-
fache und intuitive Regel: Sie setzen auf
das, was sie kennen
. Unser Gedächtnis teilt
die Welt ein in Dinge, die wir kennen, und Din-
ge, die wir nicht kennen. Unser Gehirn erkennt
Gesichter wieder, selbst wenn uns nicht einfällt,
wie die zugehörige Person heißt oder woher wir
sie kennen. Aber ein solches Wiedererkennen
CM März / April 2016