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Effectuation: Unternehmerisch gestalten
„Ich kann die Zukunft zwar nicht vorhersagen,
trotzdem kann ich sie formen und gestalten.“
So erleben Entrepreneure die Welt. Wie genau
sie das machen, ist seit der letzten Dekade im
Fokus der globalen Entrepreneurship-For-
schung (vgl. Sarasvathy 2008). Unternehmeri-
sches Handeln folgt demnach einer Reihe von
Prinzipien, die ohne Vorhersagen auskommen
und rasch ins Handeln führen. Handeln, jedoch
ohne dabei Kopf und Kragen zu riskieren.
Un-
ternehmer handeln die Zukunft mit denen
aus, die früh mitmachen und bringen Neu-
es in die Welt, während andere noch an ih-
ren Excel-Tabellen und Powerpoint-Folien
basteln.
Effectuation – so die wissenschaftli-
che Bezeichnung für diese Methode – eignet
sich aber nicht nur für Entrepreneure. Sie kann
auch von Controllern und Führungskräften, ei-
gentlich von jedem, der unter VUKA-Bedingun-
gen Zukunft gestaltet, eingesetzt werden.
Effectuation ist gerade in reifen Organisationen
nicht intuitiv. Schließlich stellt die Methode vie-
les auf den Kopf, was im üblichen Handlungs-
feld von Führungskräften und Controllern als
professionell gilt: planen nach klassischem Ma-
nagement (vgl. Faschingbauer et al. 2013). Wo
immer wir auf VUKA stoßen, wird also umden-
ken und umlernen zur Notwendigkeit. Sind sie
bereit für die ersten Lektionen? Beginnen wir
mit einem einfachen Fallbeispiel …
Beispiel: Wenn das Leben dir
Zitronen gibt
Obsthändler in Hamburg zu sein war lange Zeit
ein kontinuierliches Geschäft, das sich gut nach
Management-Prinzipien betreiben ließ. Doch
das Umfeld wird VUKA, gerade als Andreas
Schindler im Jahr 2000 den elterlichen 4-Per-
sonen-Betrieb übernimmt: Immer weniger Ein-
zelhändler zugunsten einer Handvoll Handels-
ketten, die die Preise diktierten. Globalisierung
und das Wegfallen von Handelsbarrieren. Kun-
den, die den direkten Kontakt zu den Lieferan-
ten suchten und den Großhandel ausschalte-
ten. „Unser Geschäftsmodell funktioniert unter
diesen Voraussetzungen nicht mehr“ sagt Hans
Joachim Conrad, Chef der Händlervereinigung
des Hamburger Großmarkts. Was tun ange-
sichts dieser ungewissen Zukunft?
Andreas Schindler weiß aus Erfahrung, dass
Kunden bei ihm kaufen, wenn er sich wirklich
im Detail mit Ware und Prozessen auskennt.
Die Qualität der Ware hängt von so vielen Fak-
toren ab, dass der Handel Vertrauenssache
ist. So fährt Schindler beispielsweise zu seinen
litauischen Pilzlieferanten, unterhält sich mit
ihnen am Lagerfeuer und weiß am Ende sehr
viel mehr über Qualität und Lagerhaltung. Der
ausgebildete Sozialökonom Schindler weiß
aber auch, dass er zukünftig in Übersee han-
deln will. Er bezieht also kleinere Mengen von
niederländischen Obst-Importeuren, besucht
diese und lässt sich über die Tücken der Lo-
gistik aufklären.
Beim Versuch, das Vertrauen von spanischen
Lieferanten zu gewinnen, scheitert Schindler
zunächst. Als er zufällig einen Muttersprachler
einstellt, stellt er fest, dass dieser ganz anders
als er mit den spanischen Lieferanten spricht.
Und plötzlich klappt das Geschäft. Für Schind-
ler ein Schlüsselerlebnis. Er aktiviert sein
Netzwerk und stellt weitere Muttersprachler –
meist ausländische Studenten der Agrarwis-
senschaft – ein. Diese beginnen mit kleinen
Mengen und Einsätzen, in ihrem Herkunfts-
land Direktgeschäfte mit Lieferanten als auch
Kunden anzubahnen.
Über gelungene Ge-
schäfte entsteht Vertrauen und die Men-
gen werden größer.
Ein bolivianischer Mitarbeiter baut Kontakte mit
bolivianischen und mexikanischen Limetten-
händlern auf und gewinnt deren Vertrauen.
Schindler entschließt sich zum Versuch, eine
eigene Marke „Don Limón“ aufzubauen. Der
Versuch gelingt, sodass Schindler heute pro
Jahr rund 120 Container Limetten aus Süd-
amerika auf direktem Weg bezieht und ver-
treibt. Die Limettenstory wird zur Blaupause für
weitere Geschäfte mit anderen Produkten.
Heute beschäftigt Schindler rund 30 Mitar-
beiter und sein Geschäft wächst kontinuier-
lich um 20% pro Jahr. Die Mitarbeiter spre-
chen Türkisch, Englisch, Spanisch, Hindi und
Afrikaans, kaufen in Mexiko, Kolumbien und
Indien ein und verkaufen Ware nach Russ-
land, China und in die USA. In Büros in China,
Guatemala und Südafrika agieren sie eigen-
ständig unternehmerisch wie Startups, bauen
neue Kontakte auf und testen laufend neue
Produktideen: Paranüsse, Passionsfrüchte,
Süßkartoffeln …
Wo führt das alles noch hin? „Ich weiß es nicht“
sagt Schindler. „Das kommt darauf an, wer als
CM Juli / August 2016
Abb. 1: PAVE-Framework zur Wahl einer effektiven Methode der Zukunftsgestaltung
(Adaptiert nach Wiltbank et al., 2006)