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Bei der Suche nach Themen, die „im Trend lie-
gen“ und worauf man sich einstellen sollte, ist
es häufig hilfreich, einen Blick auf die Themen
zu werfen, die mit dem ControllerPreis des ICV
bedacht oder von der Ideenwerkstatt aufgegrif-
fen wurden. So wurde z. B. der ControllerPreis
2015 für vorbildhaftes „verhaltensorientiertes
Controlling-Projekt“ vergeben. „Behavioral Con-
trolling“ war Themenschwerpunkt der Ideen-
werkstatt im Jahr 2011 und 2012: „Was macht
Controller erfolgreich(er)? Auf das Verhalten
kommt es an!“ – Gute Gründe, Aspekte der Ver-
haltensorientierung im Rechnungswesen und
im Controlling im Rahmen eines Interviews
nachzufragen.
Biel:
Vielen Dank, Frau Prof. Dr. Weißenberger,
dass Sie für diesen Dialog zur Verfügung ste-
hen. Sie sind bekannt geworden als „Accoun-
ting-Expertin“. Beispielsweise erläutert Ihr
Buch „IFRS für Controller“ Controlling unter
IFRS. In neuerer Zeit widmen Sie sich verstärkt
verhaltensbezogenen Fragen. Bedeutet dies,
dass es für die Verfolgung von Rechnungs- und
Steuerungszielen nicht nur auf „richtige Zah-
len“ ankommt?
Weißenberger:
Genau – wobei die Basisaus-
sage lauten muss: Das eine tun, aber dafür das
andere nicht lassen.
Im Controlling wurden
über viele Jahre hinweg Instrumente ent-
wickelt, die bei den ökonomischen Akteu-
ren Rationalität voraussetzen.
Viele dieser
Instrumente haben sich in der Unternehmens
praxis bewährt: Denken Sie beispielsweise an
die Deckungsbeitragsrechnung, das Target
Costing oder die Break-Even-Analyse. In all die-
sen Fällen wird bezogen auf bestimmte Frage-
stellungen ein logisch richtiges Ergebnis ermit-
telt, zum Beispiel eine Preisuntergrenze, ein
Zielpreis oder eine Mindestabsatzmenge, und
es wird unterstellt, dass der Entscheider dieses
Ergebnis dann auch in dieser Form umsetzt.
Das gilt auch heute noch.
Biel:
Und mit welchen Erfahrungen ist der Ein-
satz dieser Instrumente verbunden?
Weißenberger:
Ja, wir stellen eben auch fest,
dass es gerade in komplexeren Entscheidungs-
und Steuerungssituationen immer wieder
sys-
tematische Entscheidungsfehler
gibt. Bei-
spielsweise gibt es inzwischen viele Belege da-
für, dass es bei langfristigen Infrastruktur- oder
IT-Projekten regelmäßig zu deutlichen Kosten-
überschreitungen kommt. Man denke plakativ
(aber nicht nur!) an den Flughafen Berlin-Bran-
denburg oder die Hamburger Elb-Philharmonie.
Biel:
Liegen Erkenntnisse auch darüber vor, wa-
rum es zu diesen Entscheidungsfehlern kommt?
Weißenberger:
Nun, man kann sich im Prinzip
drei mögliche Gründe vorstellen, warum solche
Entscheidungsfehler wiederholt und scheinbar
eben nicht zufällig auftreten.
1. Erstens könnte es sein, dass die bestehen-
den
Planungs- und Kontrollinstrumente
nicht hinreichend ausgereift sind
– an
dieser Stelle hat man aber schon in den
1970er bis 1990er Jahren angesetzt.
2. Zweitens ist denkbar, dass die
Projektma-
nager eigene Ziele
zulasten des Projekts
verfolgen: Das war das große Thema der
anreizbasierten Controllingforschung zwi-
schen 1990 und 2010 unter dem Stichwort
„Shareholder Value“ bzw. „wertorientierte
Steuerung“.
3. Ein dritter Grund könnte nun sein, dass es
im
menschlichen Entscheidungsverhalten
Brüche, Verzerrungen oder auch „gedank
liche Abkürzungen“ gibt, die eben zu Ent-
scheidungsfehlern führen. Hier hat die Ver-
haltenspsychologie in den letzten Jahren
enorme Fortschritte gemacht und im Cont-
rolling müssen wir dies aufgreifen, um zu
hinterfragen: Kann es sein, dass bestimmte
Instrumente möglicherweise deshalb nicht
funktionieren, weil sie dazu verleiten, in
Entscheidungs“fallen“
, die man auch als
Biases
bezeichnet, zu tappen? Denn wenn
diese Diagnose stimmt, dann müssen wir als
Wissenschaftler solide Vorschläge für die
Gestaltung und Verwendung von Controlling-
instrumenten machen, mit denen solche
Entscheidungsfehler vermieden werden. Das
ist unter dem aktuellen Stichwort
„Debia-
sing“
in der Literatur zu verstehen.
Biel:
Gibt es also Situationen und Konstellationen,
in denen die Emotion die Information schlägt?
Weißenberger:
Ich würde nicht von Emotion
versus Information sprechen, obwohl es natür-
lich inzwischen auch spannende Arbeiten gibt,
wie bestimmte emotionale Zustände Entschei-
dungsverhalten beeinflussen.
Biel:
Bitte lassen Sie uns dazu einen anderen
Aspekt aufgreifen. In den Wirtschaftswissen-
schaften wird vielfach mit Modellen gearbeitet,
um Sachverhalte oder Lösungsprozesse ab
strakt abzubilden. Gibt es auch zu unserem
Thema bereits Modelle?
Verhaltensorientiertes Rechnungswesen und
Controlling – haben wir Nachholbedarf?
Interview mit Univ.-Prof. Dr. Barbara E. Weißenberger, Lehrstuhl für
BWL, insbes. Accounting, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
von Alfred Biel
Interview zum Thema: Verhaltensorientiertes RW und Controlling – haben wir Nachholbedarf?