 
          
            28
          
        
        
          berichtet, dass er bei jeder größeren Entschei-
        
        
          dung zwei Projektteams beauftragt –
        
        
          eines,
        
        
          das die Umsetzung begründen und ein an-
        
        
          deres, das Gründe für die Ablehnung ent-
        
        
          wickeln soll.
        
        
          Erst nachdem beide Projekt-
        
        
          teams ausführlich gehört wurden, soll Buffet
        
        
          seine Entscheidungen treffen.
        
        
          Biel:
        
        
          Ein weiteres Thema drängt sich geradezu
        
        
          auf. Die Controlling-Lehrbücher befassen sich
        
        
          ausgiebig mit Zielvereinbarungen und Zielvor-
        
        
          gaben. Der sogenannte Abgasskandal bei VW
        
        
          hat bei aller Vorläufigkeit der Bewertung mög
        
        
          licherweise viel mit Verhaltenswirkungen von
        
        
          Vorgaben zu tun. Was können Sie uns unter
        
        
          Verhaltensaspekten zur Problematik von Vor
        
        
          gaben vermitteln (außerhalb der spezifischen
        
        
          Situation bei VW, die wir nicht beurteilen können
        
        
          und wollen)?
        
        
          Weißenberger:
        
        
          Sie sprechen hier einen ganz
        
        
          wichtigen und weiteren Effekt an. Bei VW – so
        
        
          lassen zumindest die Berichte vermuten –
        
        
          herrschte ein sehr hoher Druck, eine technisch
        
        
          anspruchsvolle und in der Umsetzung teure Lö-
        
        
          sung bei Einhaltung eines engen Kostenrahmens
        
        
          zu realisieren. Druck durch strenge Vorgaben
        
        
          führt aber – und das ist vielfach belegt – nicht
        
        
          nur
        
        
          zu bewussten Manipulationen
        
        
          , um ein
        
        
          scheinbar oder tatsächlich schwieriges bzw. so-
        
        
          gar unmögliches Ziel zu erreichen.
        
        
          Druck führt
        
        
          auch zu unsinnigem Verhalten
        
        
          bzw. verstärkt
        
        
          die hier beschriebenen Entscheidungsverzerrun-
        
        
          gen. Vereinfacht gesagt: Vermutlich beeinträch-
        
        
          tigt Druck die Effektivität von System 2.
        
        
          Biel:
        
        
          Kann man diese Bewertungen auch durch
        
        
          die Forschungsergebnisse belegen?
        
        
          Weißenberger:
        
        
          Ja, können wir. Eines der be-
        
        
          kanntesten Experimente hierzu hat vor einigen
        
        
          Jahren der amerikanische Psychologe Dan
        
        
          Ariely im Review of Economic Studies veröf-
        
        
          fentlicht. Probanden wurden dabei an sich
        
        
          einfache Aufgaben gestellt, für deren Lösung
        
        
          entweder durchschnittliches kreatives Den-
        
        
          ken, Gedächtnis oder motorische Fähigkeiten
        
        
          notwendig waren. Dabei gab es drei Gruppen:
        
        
          Eine, die bei guten Ergebnissen eine eher
        
        
          niedrige Belohnung bekam, eine weitere mit
        
        
          mittlerer Belohnung und eine dritte mit sehr
        
        
          hoher Belohnung. Interessanterweise schnitt
        
        
          die Gruppe, die die hohe Belohnung in Aus-
        
        
          sicht hatte, am schlechtesten ab – vermutlich,
        
        
          weil der
        
        
          psychologische Druck
        
        
          , die ge-
        
        
          wünschte Belohnung auch zu erreichen, hier
        
        
          am größten war.
        
        
          Biel:
        
        
          Das ist doch sehr praxisrelevant, weil wir
        
        
          in vielfacher Weise sowohl mit Leistungsdruck
        
        
          als auch mit Anreizen umgehen müssen.
        
        
          Weißenberger:
        
        
          In der Tat. Dieses Ergebnis
        
        
          heißt nicht nur, dass
        
        
          mit hohen Anreizen eher
        
        
          vorsichtig umzugehen
        
        
          ist, weil ein „Mehr“ an
        
        
          Belohnung nicht automatisch zu einem „Mehr“
        
        
          an Leistung führt. Es bedeutet auch, dass Con-
        
        
          troller in Situationen mit hohem Leistungsdruck
        
        
          im Management ein
        
        
          besonderes Augenmerk
        
        
          auf Fehlentscheidungen
        
        
          richten müssen.
        
        
          Hier ist beispielsweise eine
        
        
          Fehlerkultur
        
        
          ein
        
        
          ganz wichtiger Lösungsansatz, wie sie im Kon-
        
        
          text von Luftfahrt oder auch in Krankenhäusern
        
        
          intensiv diskutiert und auch schon umgesetzt
        
        
          wird. Fehler eines Einzelnen führen nicht zu
        
        
          Strafen oder nachteiligen Folgen, sondern es
        
        
          wird vielmehr darüber diskutiert, woran der
        
        
          Fehler liegen könnte und wie der Fehler in Zu-
        
        
          kunft zu vermeiden ist – um zu verhindern,
        
        
          dass schlechte Entscheidungen vertuscht wer-
        
        
          den, anstatt dass daraus gelernt werden kann.
        
        
          Auch das ist ein zentraler Aspekt guter verhal-
        
        
          tensorientierter Controllerarbeit.
        
        
          Biel:
        
        
          Herzlichen Dank, Frau Prof. Dr. Weißen-
        
        
          berger, für dieses Interview und für die sehr
        
        
          angenehme Zusammenarbeit bei der Vorbe-
        
        
          reitung und Durchführung. Sie haben uns ei-
        
        
          nen aufschlussreichen Überblick über die
        
        
          spannenden Forschungsarbeiten zu diesem
        
        
          Thema gegeben. Sie haben uns verdeutlicht,
        
        
          dass es nicht nur auf die Optimierung der Sys-
        
        
          teme und Methoden ankommt, sondern auch
        
        
          darauf, den jeweiligen Kontext und vor allem
        
        
          menschliche Verhaltens- und Reaktionsweise
        
        
          in die Überlegungen einzubeziehen. Kurz ge-
        
        
          fasst: Über den Tellerrand des klassischen
        
        
          Controllings zu blicken, um Situationen im
        
        
          Ganzen (Instrumente, Methoden, Mensch)
        
        
          richtig und angemessen einzuschätzen mit
        
        
          dem Ziel, daraus geeignete Vorgehens- und
        
        
          Verhaltensweisen abzuleiten.
        
        
          wird dann über diese Anträge nicht mehr
        
        
          mit der gebotenen Sorgfalt entschieden.
        
        
          Oder denken wir an das Over-Confidence
        
        
          Bias:
        
        
          Es betrifft das systematische
        
        
          Überschätzen des eigenen Wissens
        
        
          bzw. der eigenen Fähigkeiten.
        
        
          Bis zu ei-
        
        
          nem gewissen Grad ist Over-Confidence im
        
        
          Sinne von Zuversicht, Mut oder Tatkraft
        
        
          wichtig – aber in einer zu hohen Dosis führt
        
        
          es dazu, dass Projektrisiken unterschätzt
        
        
          werden. Dieser Aspekte sollten sich Con
        
        
          troller zumindest bewusst sein.
        
        
          ·
        
        
          ·
        
        
          Zweitens sollten Controller versuchen,
        
        
          Infor-
        
        
          mationsverarbeitungs- und Entschei-
        
        
          dungsprozesse so zu strukturieren
        
        
          , dass
        
        
          möglichst häufig System 2, also der logisch-
        
        
          rationale und bewusste Teil unseres Denkens,
        
        
          aktiviert wird. Das geht beispielsweise, indem
        
        
          in Projektentscheidungen ein Team-Mitglied
        
        
          oder sogar eine Gruppe die Rolle des so ge-
        
        
          nannten „Advocatus Diaboli“ zugewiesen be-
        
        
          kommt. Dessen Aufgabe ist es, ausschließlich
        
        
          möglichst überzeugende Argumente gegen
        
        
          das Projekt zu sammeln und vorzutragen. Ein
        
        
          anderer Weg ist die Pre-Mortem-Analyse:
        
        
          Man versetzt sich in die Zukunft und unter-
        
        
          stellt, das geplante Projekt sei gescheitert. Es
        
        
          werden dann mögliche Ursachen gesucht, die
        
        
          begründen, woran das Scheitern dieses Pro-
        
        
          jekts gelegen haben könnte.
        
        
          Biel:
        
        
          Wenn Controllerinnen und Controller Ihre
        
        
          Hinweise und Tipps aufgreifen, welche prakti-
        
        
          schen Vorteile und welchen Nutzen können sie
        
        
          davon in der Praxis erwarten?
        
        
          Weißenberger:
        
        
          Dieser Perspektivwechsel
        
        
          durch den Advocatus Diaboli oder die Pre-Mor-
        
        
          tem-Analyse erzwingt in aller Regel nicht nur
        
        
          intensives Nachdenken und bremst die Heuris-
        
        
          tiken des intuitiv arbeitenden Systems 1 aus.
        
        
          Er wirkt vielmehr auch Gruppeneffekten entge-
        
        
          gen, wie beispielsweise dem
        
        
          Sunflower Ef-
        
        
          fect
        
        
          . Er besagt, dass sich in hierarchisch auf-
        
        
          gestellten Teams die Mitglieder häufig die Mei-
        
        
          nung (oder vermutete Meinung) des Vorgesetz-
        
        
          ten zu eigen machen, ohne sie kritisch zu
        
        
          hinterfragen. Dieser psychologische Mechanis-
        
        
          mus wird dann außer Kraft gesetzt, wenn der
        
        
          Arbeitsauftrag aber ganz konkret in genau die-
        
        
          sem Hinterfragen besteht. Übrigens: Auch von
        
        
          dem erfolgreichen Investor Warren Buffet wird
        
        
          
            Interview zum Thema: Verhaltensorientiertes RW und Controlling – haben wir Nachholbedarf?