CONTROLLER_MAGAZIN_04/2016 - page 30

28
berichtet, dass er bei jeder größeren Entschei-
dung zwei Projektteams beauftragt –
eines,
das die Umsetzung begründen und ein an-
deres, das Gründe für die Ablehnung ent-
wickeln soll.
Erst nachdem beide Projekt-
teams ausführlich gehört wurden, soll Buffet
seine Entscheidungen treffen.
Biel:
Ein weiteres Thema drängt sich geradezu
auf. Die Controlling-Lehrbücher befassen sich
ausgiebig mit Zielvereinbarungen und Zielvor-
gaben. Der sogenannte Abgasskandal bei VW
hat bei aller Vorläufigkeit der Bewertung mög­
licherweise viel mit Verhaltenswirkungen von
Vorgaben zu tun. Was können Sie uns unter
Verhaltensaspekten zur Problematik von Vor­
gaben vermitteln (außerhalb der spezifischen
Situation bei VW, die wir nicht beurteilen können
und wollen)?
Weißenberger:
Sie sprechen hier einen ganz
wichtigen und weiteren Effekt an. Bei VW – so
lassen zumindest die Berichte vermuten –
herrschte ein sehr hoher Druck, eine technisch
anspruchsvolle und in der Umsetzung teure Lö-
sung bei Einhaltung eines engen Kostenrahmens
zu realisieren. Druck durch strenge Vorgaben
führt aber – und das ist vielfach belegt – nicht
nur
zu bewussten Manipulationen
, um ein
scheinbar oder tatsächlich schwieriges bzw. so-
gar unmögliches Ziel zu erreichen.
Druck führt
auch zu unsinnigem Verhalten
bzw. verstärkt
die hier beschriebenen Entscheidungsverzerrun-
gen. Vereinfacht gesagt: Vermutlich beeinträch-
tigt Druck die Effektivität von System 2.
Biel:
Kann man diese Bewertungen auch durch
die Forschungsergebnisse belegen?
Weißenberger:
Ja, können wir. Eines der be-
kanntesten Experimente hierzu hat vor einigen
Jahren der amerikanische Psychologe Dan
Ariely im Review of Economic Studies veröf-
fentlicht. Probanden wurden dabei an sich
einfache Aufgaben gestellt, für deren Lösung
entweder durchschnittliches kreatives Den-
ken, Gedächtnis oder motorische Fähigkeiten
notwendig waren. Dabei gab es drei Gruppen:
Eine, die bei guten Ergebnissen eine eher
niedrige Belohnung bekam, eine weitere mit
mittlerer Belohnung und eine dritte mit sehr
hoher Belohnung. Interessanterweise schnitt
die Gruppe, die die hohe Belohnung in Aus-
sicht hatte, am schlechtesten ab – vermutlich,
weil der
psychologische Druck
, die ge-
wünschte Belohnung auch zu erreichen, hier
am größten war.
Biel:
Das ist doch sehr praxisrelevant, weil wir
in vielfacher Weise sowohl mit Leistungsdruck
als auch mit Anreizen umgehen müssen.
Weißenberger:
In der Tat. Dieses Ergebnis
heißt nicht nur, dass
mit hohen Anreizen eher
vorsichtig umzugehen
ist, weil ein „Mehr“ an
Belohnung nicht automatisch zu einem „Mehr“
an Leistung führt. Es bedeutet auch, dass Con-
troller in Situationen mit hohem Leistungsdruck
im Management ein
besonderes Augenmerk
auf Fehlentscheidungen
richten müssen.
Hier ist beispielsweise eine
Fehlerkultur
ein
ganz wichtiger Lösungsansatz, wie sie im Kon-
text von Luftfahrt oder auch in Krankenhäusern
intensiv diskutiert und auch schon umgesetzt
wird. Fehler eines Einzelnen führen nicht zu
Strafen oder nachteiligen Folgen, sondern es
wird vielmehr darüber diskutiert, woran der
Fehler liegen könnte und wie der Fehler in Zu-
kunft zu vermeiden ist – um zu verhindern,
dass schlechte Entscheidungen vertuscht wer-
den, anstatt dass daraus gelernt werden kann.
Auch das ist ein zentraler Aspekt guter verhal-
tensorientierter Controllerarbeit.
Biel:
Herzlichen Dank, Frau Prof. Dr. Weißen-
berger, für dieses Interview und für die sehr
angenehme Zusammenarbeit bei der Vorbe-
reitung und Durchführung. Sie haben uns ei-
nen aufschlussreichen Überblick über die
spannenden Forschungsarbeiten zu diesem
Thema gegeben. Sie haben uns verdeutlicht,
dass es nicht nur auf die Optimierung der Sys-
teme und Methoden ankommt, sondern auch
darauf, den jeweiligen Kontext und vor allem
menschliche Verhaltens- und Reaktionsweise
in die Überlegungen einzubeziehen. Kurz ge-
fasst: Über den Tellerrand des klassischen
Controllings zu blicken, um Situationen im
Ganzen (Instrumente, Methoden, Mensch)
richtig und angemessen einzuschätzen mit
dem Ziel, daraus geeignete Vorgehens- und
Verhaltensweisen abzuleiten.
wird dann über diese Anträge nicht mehr
mit der gebotenen Sorgfalt entschieden.
Oder denken wir an das Over-Confidence
Bias:
Es betrifft das systematische
Überschätzen des eigenen Wissens
bzw. der eigenen Fähigkeiten.
Bis zu ei-
nem gewissen Grad ist Over-Confidence im
Sinne von Zuversicht, Mut oder Tatkraft
wichtig – aber in einer zu hohen Dosis führt
es dazu, dass Projektrisiken unterschätzt
werden. Dieser Aspekte sollten sich Con­
troller zumindest bewusst sein.
·
·
Zweitens sollten Controller versuchen,
Infor-
mationsverarbeitungs- und Entschei-
dungsprozesse so zu strukturieren
, dass
möglichst häufig System 2, also der logisch-
rationale und bewusste Teil unseres Denkens,
aktiviert wird. Das geht beispielsweise, indem
in Projektentscheidungen ein Team-Mitglied
oder sogar eine Gruppe die Rolle des so ge-
nannten „Advocatus Diaboli“ zugewiesen be-
kommt. Dessen Aufgabe ist es, ausschließlich
möglichst überzeugende Argumente gegen
das Projekt zu sammeln und vorzutragen. Ein
anderer Weg ist die Pre-Mortem-Analyse:
Man versetzt sich in die Zukunft und unter-
stellt, das geplante Projekt sei gescheitert. Es
werden dann mögliche Ursachen gesucht, die
begründen, woran das Scheitern dieses Pro-
jekts gelegen haben könnte.
Biel:
Wenn Controllerinnen und Controller Ihre
Hinweise und Tipps aufgreifen, welche prakti-
schen Vorteile und welchen Nutzen können sie
davon in der Praxis erwarten?
Weißenberger:
Dieser Perspektivwechsel
durch den Advocatus Diaboli oder die Pre-Mor-
tem-Analyse erzwingt in aller Regel nicht nur
intensives Nachdenken und bremst die Heuris-
tiken des intuitiv arbeitenden Systems 1 aus.
Er wirkt vielmehr auch Gruppeneffekten entge-
gen, wie beispielsweise dem
Sunflower Ef-
fect
. Er besagt, dass sich in hierarchisch auf-
gestellten Teams die Mitglieder häufig die Mei-
nung (oder vermutete Meinung) des Vorgesetz-
ten zu eigen machen, ohne sie kritisch zu
hinterfragen. Dieser psychologische Mechanis-
mus wird dann außer Kraft gesetzt, wenn der
Arbeitsauftrag aber ganz konkret in genau die-
sem Hinterfragen besteht. Übrigens: Auch von
dem erfolgreichen Investor Warren Buffet wird
Interview zum Thema: Verhaltensorientiertes RW und Controlling – haben wir Nachholbedarf?
1...,20,21,22,23,24,25,26,27,28,29 31,32,33,34,35,36,37,38,39,40,...116
Powered by FlippingBook