 
          
            25
          
        
        
          Weißenberger:
        
        
          Für Controller ist aus meiner
        
        
          Sicht vor allem das Modell des amerikanischen
        
        
          Nobelpreisträgers und Verhaltenspsychologen
        
        
          Daniel Kahneman bedeutsam, der in seinem
        
        
          Buch
        
        
          „Schnelles Denken, langsames Den-
        
        
          ken“
        
        
          Entscheidungsprozesse mithilfe zweier
        
        
          fiktiver Systeme 1 und 2 im menschlichen Den-
        
        
          ken modelliert.
        
        
          System 1 ist das schnelle
        
        
          ,
        
        
          automatisierte und vielfach unbewusste Lösen
        
        
          von Entscheidungsproblemen auf der Basis von
        
        
          Heuristiken,
        
        
          System 2 dagegen die langsa-
        
        
          me
        
        
          , logisch-rationale und in der Regel auch be-
        
        
          wusste Entscheidungsfindung. Das Zusam-
        
        
          menspiel beider Systeme erlaubt uns, jeden
        
        
          Tag eine große Anzahl von mehr oder weniger
        
        
          komplexen Entscheidungen zu treffen, denn
        
        
          das System 1 entlastet das System 2 von vielen
        
        
          Standardentscheidungen, für die es bereits
        
        
          gute Heuristiken und „gedankliche Abkürzun-
        
        
          gen“ gibt. Allerdings kann uns dies eben auch
        
        
          in die Irre führen.
        
        
          Biel:
        
        
          Interessant – können Sie uns dieses Mo-
        
        
          dell noch etwas veranschaulichen?
        
        
          Weißenberger:
        
        
          Gerne, nehmen wir beispiels-
        
        
          weise die Investition in einen neuen Fabrika
        
        
          tionsstandort. Die damit verbundenen Aus
        
        
          gaben sind in aller Regel nach Errichtung des
        
        
          Standorts weitestgehend versunken, d. h.
        
        
          die Entscheidung kann nicht mehr rückgängig
        
        
          gemacht werden. Dennoch berücksichtigen wir
        
        
          diese Ausgaben während der Lebensdauer des
        
        
          Werks und seiner Anlagen in Form von Ab-
        
        
          schreibungen und Kapitalkosten, um beispiels-
        
        
          weise bei der Preiskalkulation sicherzustellen,
        
        
          dass die Rückflüsse in Form von zahlungswirk-
        
        
          samen Deckungsbeiträgen die Amortisation
        
        
          der Investition im Sinne der ursprünglichen Ent-
        
        
          scheidung sicherstellen.
        
        
          Biel:
        
        
          Wo sehen Sie das entscheidende Problem?
        
        
          Weißenberger:
        
        
          Diese an sich vernünftige Heu-
        
        
          ristik ist aber genau dann gefährlich, wenn man
        
        
          sich in einer Entscheidungssituation befindet, in
        
        
          der dieser ursprüngliche Kontext nicht mehr gilt.
        
        
          Wenn beispielsweise im Rahmen einer Pro-
        
        
          duktentwicklung zunehmend Indikatoren auftre-
        
        
          ten, dass sich das geplante Produkt vermutlich
        
        
          nicht wie erwartet vermarkten lässt, muss die
        
        
          Projektabbruchentscheidung eben ausschließ-
        
        
          lich unter Berücksichtigung der zukünftigen Er-
        
        
          folge getroffen werden und darf die versunkenen
        
        
          Entwicklungsausgaben der Vergangenheit nicht
        
        
          berücksichtigen. Studien zeigen aber, dass diese
        
        
          Sunk Cost Fallacy auch bei erfahrenen Entschei-
        
        
          dern immer wieder beobachtet werden kann.
        
        
          Biel:
        
        
          Verhaltensorientierung in Rechnungswe-
        
        
          sen und Controlling ist prinzipiell kein neues
        
        
          Thema. Wird durch das Behavioral Accounting
        
        
          eine Problemstellung beleuchtet, die bisher zu
        
        
          wenig Beachtung gefunden hat? Als jemand, der
        
        
          schon relativ lange die Controlling-Szene beob-
        
        
          achten und verfolgen darf, erinnere ich mich da-
        
        
          ran, dass z. B. noch vor einigen Jahrzehnten da-
        
        
          rüber gestritten wurde, welche Bedeutung die
        
        
          Verhaltensorientierung im Controlling haben
        
        
          darf. Wo stehen wir heute aus Ihrer Sicht?
        
        
          Weißenberger:
        
        
          Es ist richtig, dass es schon
        
        
          vor fünfzig Jahren sehr wichtige und wegwei-
        
        
          sende Literatur zum Thema „Behavioral Ac-
        
        
          counting“ gegeben hat. Zum Beispiel hat der
        
        
          amerikanische Forscher Chris Argyris schon in
        
        
          den 1950er Jahren in einem sozialpsychologi-
        
        
          schen Kontext untersucht, wie sich verschiede-
        
        
          ne Budgetierungsformen auf die Mitarbeiter-
        
        
          motivation auswirken. Darauf aufbauend hat
        
        
          der britische Wissenschaftler Anthony Hop-
        
        
          wood in den 1970er Jahren analysiert, welchen
        
        
          Einfluss die Nutzung von Budgetinformationen
        
        
          durch Vorgesetzte, z. B. im Rahmen der Abwei-
        
        
          chungsanalyse, hat und welche Gestaltungsim-
        
        
          plikationen sich daraus ergeben. Diese Themen
        
        
          sind auch heute noch aktuell.
        
        
          Biel:
        
        
          Wie geht nun die moderne Controlling
        
        
          forschung damit um? Was bedeutet dies z. B.
        
        
          auch für Ihre wissenschaftliche Arbeit?
        
        
          Weißenberger:
        
        
          Die moderne Controllingfor-
        
        
          schung baut derzeit eine sehr wichtige und
        
        
          neue Forschungsdimension aus,
        
        
          nämlich die
        
        
          Forschung zu Fragestellungen, die Infor-
        
        
          mationsverarbeitung und – darauf aufset-
        
        
          zend – Entscheidungsprozesse im engeren
        
        
          Sinne betreffen.
        
        
          Also: Wie treffen Einzelper-
        
        
          sonen (oder auch Gruppen) Entscheidungen,
        
        
          wenn ihnen bestimmte Informationen vorgelegt
        
        
          werden? Welche Aspekte werden besonders
        
        
          stark gewichtet oder auch ignoriert? Wann wird
        
        
          der Prozess der Informationssuche abgebro-
        
        
          chen? Wie geht man mit Risiken um? Die Bau-
        
        
          steine für die Beantwortung dieser Fragen ha-
        
        
          ben der viel zu früh verstorbene Verhaltenspsy-
        
        
          chologe Amos Tversky und sein Kollege Daniel
        
        
          Kahneman in den 1970er Jahren gelegt: Sie
        
        
          entwickelten verschiedene psychologische Mo-
        
        
          delle für menschliches Entscheidungsverhalten,
        
        
          die auf eine damals ganz neue Art erklären,
        
        
          warum Entscheider Fehler machen.
        
        
          Biel:
        
        
          Können Sie uns hierzu noch weitere Bei-
        
        
          spiele zum besseren Verständnis vermitteln?
        
        
          Weißenberger:
        
        
          Neben der hier beschriebenen
        
        
          Sunk Cost Fallacy
        
        
          gehören dazu beispielsweise
        
        
          das
        
        
          Availability Bias
        
        
          , d. h. je mehr Informatio-
        
        
          nen über eine Situation verfügbar sind, für umso
        
        
          wahrscheinlicher wird sie gehalten, das
        
        
          Repre-
        
        
          sentativeness Bias
        
        
          , mit dem in an sich unzu-
        
        
          sammenhängenden Sachverhalten scheinbare
        
        
          Muster erkannt werden, oder das
        
        
          Anchoring
        
        
          Bias
        
        
          , d. h. die Orientierung an irrelevanten An-
        
        
          kerpunkten für die eigentliche Entscheidung.
        
        
          Informieren und anmelden:
        
        
        
          IFRS für Controller:
        
        
          13. - 15. Juli
        
        
          |
        
        
          Highlights der HGB Bilanzierung:
        
        
          05. - 06. Sept.
        
        
          Bilanzierung für Controller:
        
        
          28. - 29. Sept.
        
        
          |
        
        
          Buchführung für Controller:
        
        
          11. Okt.
        
        
          Jahresabschlussanalyse:
        
        
          19. - 20. Okt.
        
        
          |
        
        
          Konsolidierung:
        
        
          24. - 25. Okt.
        
        
          Certified Accounting Specialist (CAS):
        
        
          24. - 28. Okt. und 21. - 25. Nov.
        
        
          Die hohe Kunst der Rechnungslegung beherrschen.
        
        
          The Art of Accounting
        
        
          
            CM Juli / August 2016