CONTROLLER_MAGAZIN_04/2016 - page 27

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Weißenberger:
Für Controller ist aus meiner
Sicht vor allem das Modell des amerikanischen
Nobelpreisträgers und Verhaltenspsychologen
Daniel Kahneman bedeutsam, der in seinem
Buch
„Schnelles Denken, langsames Den-
ken“
Entscheidungsprozesse mithilfe zweier
fiktiver Systeme 1 und 2 im menschlichen Den-
ken modelliert.
System 1 ist das schnelle
,
automatisierte und vielfach unbewusste Lösen
von Entscheidungsproblemen auf der Basis von
Heuristiken,
System 2 dagegen die langsa-
me
, logisch-rationale und in der Regel auch be-
wusste Entscheidungsfindung. Das Zusam-
menspiel beider Systeme erlaubt uns, jeden
Tag eine große Anzahl von mehr oder weniger
komplexen Entscheidungen zu treffen, denn
das System 1 entlastet das System 2 von vielen
Standardentscheidungen, für die es bereits
gute Heuristiken und „gedankliche Abkürzun-
gen“ gibt. Allerdings kann uns dies eben auch
in die Irre führen.
Biel:
Interessant – können Sie uns dieses Mo-
dell noch etwas veranschaulichen?
Weißenberger:
Gerne, nehmen wir beispiels-
weise die Investition in einen neuen Fabrika­
tionsstandort. Die damit verbundenen Aus­
gaben sind in aller Regel nach Errichtung des
Standorts weitestgehend versunken, d. h.
die Entscheidung kann nicht mehr rückgängig
gemacht werden. Dennoch berücksichtigen wir
diese Ausgaben während der Lebensdauer des
Werks und seiner Anlagen in Form von Ab-
schreibungen und Kapitalkosten, um beispiels-
weise bei der Preiskalkulation sicherzustellen,
dass die Rückflüsse in Form von zahlungswirk-
samen Deckungsbeiträgen die Amortisation
der Investition im Sinne der ursprünglichen Ent-
scheidung sicherstellen.
Biel:
Wo sehen Sie das entscheidende Problem?
Weißenberger:
Diese an sich vernünftige Heu-
ristik ist aber genau dann gefährlich, wenn man
sich in einer Entscheidungssituation befindet, in
der dieser ursprüngliche Kontext nicht mehr gilt.
Wenn beispielsweise im Rahmen einer Pro-
duktentwicklung zunehmend Indikatoren auftre-
ten, dass sich das geplante Produkt vermutlich
nicht wie erwartet vermarkten lässt, muss die
Projektabbruchentscheidung eben ausschließ-
lich unter Berücksichtigung der zukünftigen Er-
folge getroffen werden und darf die versunkenen
Entwicklungsausgaben der Vergangenheit nicht
berücksichtigen. Studien zeigen aber, dass diese
Sunk Cost Fallacy auch bei erfahrenen Entschei-
dern immer wieder beobachtet werden kann.
Biel:
Verhaltensorientierung in Rechnungswe-
sen und Controlling ist prinzipiell kein neues
Thema. Wird durch das Behavioral Accounting
eine Problemstellung beleuchtet, die bisher zu
wenig Beachtung gefunden hat? Als jemand, der
schon relativ lange die Controlling-Szene beob-
achten und verfolgen darf, erinnere ich mich da-
ran, dass z. B. noch vor einigen Jahrzehnten da-
rüber gestritten wurde, welche Bedeutung die
Verhaltensorientierung im Controlling haben
darf. Wo stehen wir heute aus Ihrer Sicht?
Weißenberger:
Es ist richtig, dass es schon
vor fünfzig Jahren sehr wichtige und wegwei-
sende Literatur zum Thema „Behavioral Ac-
counting“ gegeben hat. Zum Beispiel hat der
amerikanische Forscher Chris Argyris schon in
den 1950er Jahren in einem sozialpsychologi-
schen Kontext untersucht, wie sich verschiede-
ne Budgetierungsformen auf die Mitarbeiter-
motivation auswirken. Darauf aufbauend hat
der britische Wissenschaftler Anthony Hop-
wood in den 1970er Jahren analysiert, welchen
Einfluss die Nutzung von Budgetinformationen
durch Vorgesetzte, z. B. im Rahmen der Abwei-
chungsanalyse, hat und welche Gestaltungsim-
plikationen sich daraus ergeben. Diese Themen
sind auch heute noch aktuell.
Biel:
Wie geht nun die moderne Controlling­
forschung damit um? Was bedeutet dies z. B.
auch für Ihre wissenschaftliche Arbeit?
Weißenberger:
Die moderne Controllingfor-
schung baut derzeit eine sehr wichtige und
neue Forschungsdimension aus,
nämlich die
Forschung zu Fragestellungen, die Infor-
mationsverarbeitung und – darauf aufset-
zend – Entscheidungsprozesse im engeren
Sinne betreffen.
Also: Wie treffen Einzelper-
sonen (oder auch Gruppen) Entscheidungen,
wenn ihnen bestimmte Informationen vorgelegt
werden? Welche Aspekte werden besonders
stark gewichtet oder auch ignoriert? Wann wird
der Prozess der Informationssuche abgebro-
chen? Wie geht man mit Risiken um? Die Bau-
steine für die Beantwortung dieser Fragen ha-
ben der viel zu früh verstorbene Verhaltenspsy-
chologe Amos Tversky und sein Kollege Daniel
Kahneman in den 1970er Jahren gelegt: Sie
entwickelten verschiedene psychologische Mo-
delle für menschliches Entscheidungsverhalten,
die auf eine damals ganz neue Art erklären,
warum Entscheider Fehler machen.
Biel:
Können Sie uns hierzu noch weitere Bei-
spiele zum besseren Verständnis vermitteln?
Weißenberger:
Neben der hier beschriebenen
Sunk Cost Fallacy
gehören dazu beispielsweise
das
Availability Bias
, d. h. je mehr Informatio-
nen über eine Situation verfügbar sind, für umso
wahrscheinlicher wird sie gehalten, das
Repre-
sentativeness Bias
, mit dem in an sich unzu-
sammenhängenden Sachverhalten scheinbare
Muster erkannt werden, oder das
Anchoring
Bias
, d. h. die Orientierung an irrelevanten An-
kerpunkten für die eigentliche Entscheidung.
Informieren und anmelden:
IFRS für Controller:
13. - 15. Juli
|
Highlights der HGB Bilanzierung:
05. - 06. Sept.
Bilanzierung für Controller:
28. - 29. Sept.
|
Buchführung für Controller:
11. Okt.
Jahresabschlussanalyse:
19. - 20. Okt.
|
Konsolidierung:
24. - 25. Okt.
Certified Accounting Specialist (CAS):
24. - 28. Okt. und 21. - 25. Nov.
Die hohe Kunst der Rechnungslegung beherrschen.
The Art of Accounting
CM Juli / August 2016
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