CONTROLLER_MAGAZIN_04/2016 - page 29

Weißenberger:
Richtig – es kommt also nicht
auf den „Lehrbuchcharakter“ eines Instru-
ments an, denn da wäre zum Beispiel das Prä-
sentationsformat der Informationen relativ
gleichgültig,
sondern eben auf den jeweili-
gen Kontext und die Art der Informations-
verarbeitung.
Und visuelle Informationen las-
sen sich eben deutlich leichter und einfacher
verarbeiten als tabellarische oder in Textform
präsentierte Informationen, sodass das Sys-
tem 1 nicht so schnell in die Irre geführt wird.
Biel:
Müssen wir nun – zugespitzt gefragt –
den Schluss ziehen, dass Controllerinnen und
Controller auch Psychologen sein sollen?
Weißenberger:
Nein, hier würden wir das
sprichwörtliche Kind mit dem Bade ausschüt-
ten, wenn wir jetzt von den Controllerinnen und
Controllern auch noch verlangen würden, Psy-
chologen zu sein. Notwendig ist vielmehr eine
Offenheit dahingehend, dass es eben
auch auf
die Form von Informationspräsentation,
Analyse und Beratung ankommen kann
und dass es deshalb durchaus sinnvoll sein
kann, Gestaltungsvorschläge, die auf psycholo-
gischen Theorien basieren, tatsächlich anzu-
wenden, selbst wenn die eigene Präferenz sehr
nah am rationalen Denken bzw. System 2 liegt.
Wer sich aber deutlich intensiver mit psycholo-
gischen Theorien auseinandersetzen muss, das
sind wir Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler – und das hört an dieser Stelle noch
lange nicht auf.
Biel:
Bitte führen Sie diesen Aspekt unseren
Leserinnen und Leser etwas aus? Was dürfen
wir erwarten?
Weißenberger:
Ja, sehr spannende Entwick-
lungen sind beispielsweise auch in der
Neuro-
ökonomie
zu erwarten. Dieses noch ganz jun-
ge Forschungsfeld untersucht neurophysiologi-
sche Prozesse im Gehirn und leitet daraus Ver-
haltensempfehlungen ab. Nehmen Sie zum
Beispiel den bekannten Crowding-Out-Effekt:
Dabei geht es ja um die Verdrängung intrinsi-
scher Motivation durch extrinsische Anreize.
Mit anderen Worten, wenn Sie jemanden für et-
was materiell belohnen, was dieser bisher frei-
willig getan hat, dann ist er in vielen Fällen nicht
mehr bereit, sich ohne Belohnung zu enga­
gieren. Interessanterweise zeigt eine jüngere
neuroökonomische Untersuchung meines Düs-
seldorfer Kollegen Peter Kenning im Journal
of Economic Psychology, dass extrinsische Be-
lohnungen die Hirnareale, in denen es um die
Aufgabe als solche geht, nicht beeinflussen,
sondern vor allem die Hirnareale, in denen die
Beurteilung der Belohnung selbst verortet ist.
Biel:
Was haben wir daraus zu folgern?
Weißenberger:
Diese Erkenntnis bestätigt
nicht nur die psychologische Interpretation des
Crowding-Out-Effekts, sondern zeigt auch
noch einmal, dass
Incentivierungssysteme
auch im Controlling nur sehr vorsichtig ein-
gesetzt
werden sollten. Also es gibt noch viel
zu tun und viele Ansatzpunkte, um gestaltungs-
orientierte Hinweise zur Optimierung der Con­
trollinginstrumente zu geben.
Biel:
Welche Tipps können Sie unseren Lese-
rinnen und Lesern ganz konkret geben, um Ent-
scheidungsfehlern vorzubeugen?
Weißenberger:
Hier stehen wir mit unserer
Forschung im Controlling natürlich bei Weitem
noch nicht am Ende, aber es gibt schon eine
Reihe von sehr hilfreichen Ratschlägen.
·
·
Erstens sollten sich Controller sehr bewusst
und systematisch mit
Entscheidungsver-
zerrungen bzw. gedanklichen Abkür-
zungen im Sinne von Biases auseinan-
dersetzen.
Denn auch wenn es das Auftre-
ten solcher Biases nicht verhindert, ist es
der erste Schritt eines De-Biasing, also ei-
ner Bewältigung oder zumindest Reduktion,
die Akzeptanz, dass Entscheidungen nicht
immer rational ablaufen. Nehmen wir bei-
spielsweise das Anchoring Bias, d. h. das
(unbewusste) Setzen von mentalen Bezugs-
punkten für die Beurteilung von Sachver-
halten. Wenn in einer Sitzung über Investi­
tionsanträge entschieden werden soll, die
nach ihrer Höhe absteigend geordnet sind,
dann werden die letzten Anträge im Zweifel
als relativ niedrig und unbedeutend ange-
sehen, weil durch die ersten und hochvolu-
migen Anträge ein entsprechend hoher An-
ker gesetzt wurde. Und möglicherweise
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