 
          Weißenberger:
        
        
          Richtig – es kommt also nicht
        
        
          auf den „Lehrbuchcharakter“ eines Instru-
        
        
          ments an, denn da wäre zum Beispiel das Prä-
        
        
          sentationsformat der Informationen relativ
        
        
          gleichgültig,
        
        
          sondern eben auf den jeweili-
        
        
          gen Kontext und die Art der Informations-
        
        
          verarbeitung.
        
        
          Und visuelle Informationen las-
        
        
          sen sich eben deutlich leichter und einfacher
        
        
          verarbeiten als tabellarische oder in Textform
        
        
          präsentierte Informationen, sodass das Sys-
        
        
          tem 1 nicht so schnell in die Irre geführt wird.
        
        
          Biel:
        
        
          Müssen wir nun – zugespitzt gefragt –
        
        
          den Schluss ziehen, dass Controllerinnen und
        
        
          Controller auch Psychologen sein sollen?
        
        
          Weißenberger:
        
        
          Nein, hier würden wir das
        
        
          sprichwörtliche Kind mit dem Bade ausschüt-
        
        
          ten, wenn wir jetzt von den Controllerinnen und
        
        
          Controllern auch noch verlangen würden, Psy-
        
        
          chologen zu sein. Notwendig ist vielmehr eine
        
        
          Offenheit dahingehend, dass es eben
        
        
          auch auf
        
        
          die Form von Informationspräsentation,
        
        
          Analyse und Beratung ankommen kann
        
        
          –
        
        
          und dass es deshalb durchaus sinnvoll sein
        
        
          kann, Gestaltungsvorschläge, die auf psycholo-
        
        
          gischen Theorien basieren, tatsächlich anzu-
        
        
          wenden, selbst wenn die eigene Präferenz sehr
        
        
          nah am rationalen Denken bzw. System 2 liegt.
        
        
          Wer sich aber deutlich intensiver mit psycholo-
        
        
          gischen Theorien auseinandersetzen muss, das
        
        
          sind wir Wissenschaftlerinnen und Wissen-
        
        
          schaftler – und das hört an dieser Stelle noch
        
        
          lange nicht auf.
        
        
          Biel:
        
        
          Bitte führen Sie diesen Aspekt unseren
        
        
          Leserinnen und Leser etwas aus? Was dürfen
        
        
          wir erwarten?
        
        
          Weißenberger:
        
        
          Ja, sehr spannende Entwick-
        
        
          lungen sind beispielsweise auch in der
        
        
          Neuro-
        
        
          ökonomie
        
        
          zu erwarten. Dieses noch ganz jun-
        
        
          ge Forschungsfeld untersucht neurophysiologi-
        
        
          sche Prozesse im Gehirn und leitet daraus Ver-
        
        
          haltensempfehlungen ab. Nehmen Sie zum
        
        
          Beispiel den bekannten Crowding-Out-Effekt:
        
        
          Dabei geht es ja um die Verdrängung intrinsi-
        
        
          scher Motivation durch extrinsische Anreize.
        
        
          Mit anderen Worten, wenn Sie jemanden für et-
        
        
          was materiell belohnen, was dieser bisher frei-
        
        
          willig getan hat, dann ist er in vielen Fällen nicht
        
        
          mehr bereit, sich ohne Belohnung zu enga
        
        
          gieren. Interessanterweise zeigt eine jüngere
        
        
          neuroökonomische Untersuchung meines Düs-
        
        
          seldorfer Kollegen Peter Kenning im Journal
        
        
          of Economic Psychology, dass extrinsische Be-
        
        
          lohnungen die Hirnareale, in denen es um die
        
        
          Aufgabe als solche geht, nicht beeinflussen,
        
        
          sondern vor allem die Hirnareale, in denen die
        
        
          Beurteilung der Belohnung selbst verortet ist.
        
        
          Biel:
        
        
          Was haben wir daraus zu folgern?
        
        
          Weißenberger:
        
        
          Diese Erkenntnis bestätigt
        
        
          nicht nur die psychologische Interpretation des
        
        
          Crowding-Out-Effekts, sondern zeigt auch
        
        
          noch einmal, dass
        
        
          Incentivierungssysteme
        
        
          auch im Controlling nur sehr vorsichtig ein-
        
        
          gesetzt
        
        
          werden sollten. Also es gibt noch viel
        
        
          zu tun und viele Ansatzpunkte, um gestaltungs-
        
        
          orientierte Hinweise zur Optimierung der Con
        
        
          trollinginstrumente zu geben.
        
        
          Biel:
        
        
          Welche Tipps können Sie unseren Lese-
        
        
          rinnen und Lesern ganz konkret geben, um Ent-
        
        
          scheidungsfehlern vorzubeugen?
        
        
          Weißenberger:
        
        
          Hier stehen wir mit unserer
        
        
          Forschung im Controlling natürlich bei Weitem
        
        
          noch nicht am Ende, aber es gibt schon eine
        
        
          Reihe von sehr hilfreichen Ratschlägen.
        
        
          ·
        
        
          ·
        
        
          Erstens sollten sich Controller sehr bewusst
        
        
          und systematisch mit
        
        
          Entscheidungsver-
        
        
          zerrungen bzw. gedanklichen Abkür-
        
        
          zungen im Sinne von Biases auseinan-
        
        
          dersetzen.
        
        
          Denn auch wenn es das Auftre-
        
        
          ten solcher Biases nicht verhindert, ist es
        
        
          der erste Schritt eines De-Biasing, also ei-
        
        
          ner Bewältigung oder zumindest Reduktion,
        
        
          die Akzeptanz, dass Entscheidungen nicht
        
        
          immer rational ablaufen. Nehmen wir bei-
        
        
          spielsweise das Anchoring Bias, d. h. das
        
        
          (unbewusste) Setzen von mentalen Bezugs-
        
        
          punkten für die Beurteilung von Sachver-
        
        
          halten. Wenn in einer Sitzung über Investi
        
        
          tionsanträge entschieden werden soll, die
        
        
          nach ihrer Höhe absteigend geordnet sind,
        
        
          dann werden die letzten Anträge im Zweifel
        
        
          als relativ niedrig und unbedeutend ange-
        
        
          sehen, weil durch die ersten und hochvolu-
        
        
          migen Anträge ein entsprechend hoher An-
        
        
          ker gesetzt wurde. Und möglicherweise
        
        
          
            CM Juli / August 2016