CONTROLLER Magazin 5/2015 - page 45

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Wenn die Implementierung der Risikosteuerung
dezentral in den Unternehmenseinheiten orga-
nisiert ist, kann die Unternehmenskultur die
übergreifende Klammer sein, die ähnliche Vor-
gehensweisen und Standards beim Maßnah-
menmanagement sicherstellt. Dies gilt nicht nur
für internationale Tochtergesellschaften, son-
dern genauso für Geschäftsmodelle mit einem
breiten Filialnetz. Hier müssen nämlich eine
Vielzahl von Store Managern durch ein ähnli-
ches Risikoverständnis und -bewusstsein ope-
rative Risiken erkennen und geeignete Maß-
nahmen einleiten.
Reputationsrisikomanagement
Die Reputation eines Unternehmens- oder ei-
ner Marke
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ist ein zentraler Vermögensgegen-
stand – der werthaltige Kern der Reputation ist
jedoch in der kollektiven Wahrnehmung der
zum Teil ganz unterschiedlichen Stakeholder,
also jenseits der Unternehmensgrenzen, zu
verorten. Dieser Umstand in Kombination mit
der Tatsache, dass
nahezu jedes strategi-
sche oder operative Risiko auch einen Re-
putationsschaden
nach sich ziehen kann, un-
terstreicht die Mehrdimensionalität und ver-
deutlicht, wie schwer die Thematik zu greifen
ist. Genau wie beim Aufbau verschiedener
Faktoren, wie z. B. Produkt- und Servicequali-
tät, Preis, Innovationsgrad, Produktverfügbar-
keit, soziales Engagement, Umweltschutzinitia-
tiven, Beachtung von Compliance-Vorgaben
oder Marketingmaßnahmen dazu beitragen,
ein relevantes Ansehen zu erzeugen, können
Risiken in den selben Bereichen auch zu er-
heblichen Reputationsverlusten führen. In der
Folge entstehen daraus oftmals weitere (finan-
zielle) Schäden.
Es ist daher kaum möglich, innerhalb eines Un-
ternehmens eine eindeutige Verantwortlichkeit
für das Reputations(risiko)management festzu-
legen. Vielmehr sind in der Ausführung ihrer
Funktionen alle Abteilungen und Bereiche ei-
nes Unternehmens für das Reputationsma-
nagement verantwortlich, was zwangsläufig
den Aufbau, die Pflege und das Risikomanage-
ment beinhaltet. Der
Ausgangspunkt eines
erfolgreichen Reputationsmanagements
ist also zunächst das Bewusstsein aller
Mitarbeiter
, mit ihren Tätigkeiten einen unmit-
telbaren Einfluss auf das öffentliche Ansehen
ihres Unternehmens zu haben.
Da dies im operativen Tagegeschäft durchaus
in Vergessenheit geraten kann, sollte das Risi-
komanagementsystem die explizite Einschät-
zung von Reputationsrisiken an verschiedenen
Stellen – z. B. bei den oben genannten Funktio-
nen – vorsehen. Eine mehrfache Bewertung
nimmt zwar Überschneidungen und eine gewis-
se Unschärfe in Kauf, sensibilisiert aber Abtei-
lungen und Tochtergesellschaften für dieses la-
tente Risiko und zwingt im Rahmen des Maß-
nahmenmanagements die Verantwortlichen zur
Entwicklung präventiver Maßnahmen, bzw. vor
Risikoeintritt bereits zur
Vorbereitung einer
adäquaten Reaktion im Ernstfall
.
Die im letzteren Fall einzuleitenden Maßnah-
men werden zwar i. d. R. von einem multifunk-
tionalen (Krisen-)Team entschieden, eine de-
zentrale Vorbereitung in den Fachabteilungen
macht die Maßnahmen jedoch effektiver, weil
schneller und vor allem kostengünstiger. Dies
könnten neben Kommunikationsplänen
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auch Übungen zu möglichen Produktrück-
nahmen und -rückrufen
sein, in denen er-
eignisbezogene Sonderprozesse auf Funktio-
nalität überprüft und von den Beteiligten ver-
innerlicht werden. Das Hinzuziehen von exter-
nen Beratern kann bereits für solche
Simulationen sinnvoll sein. Im Ernstfall könnte
so durch eine reibungslose Abwicklung ein
größerer Reputationsschaden abgewendet
werden.
Die Anzahl der Risiken mit potentieller Reputa-
tionsauswirkung hat nicht unbedingt zugenom-
men, die
Wahrscheinlichkeit einer weltwei-
ten medialen Verbreitung
eines vormals lokal
begrenzten Reputationsschadens ist jedoch
durch das starke Wachstum
sozialer Medien
und anderer moderner Kommunikationsmittel
deutlich gestiegen. Lokale Ereignisse und
selbst negative Erfahrungen einzelner Konsu-
menten können so durch die globale Vernet-
zung schnell zu weltweiten Reputationsschä-
den führen.
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Die sozialen Medien müssen vor diesem Hinter-
grund umso mehr als ambivalent in ihrer Wir-
kung verstanden werden. Auf der einen Seite
bieten sie interaktive Kommunikationskanäle,
über die Unternehmen ein bestimmtes Image
aufbauen und pflegen, auf der anderen Seite
geben sie den Anspruchsgruppen – allen voran
den Konsumenten – eine
höchst sichtbare
Kommunikationsplattform
. Und auf die dort
getätigten Aussagen hat die Unternehmens-
kommunikation nur noch einen stark einge-
schränkten Einfluss.
Daher müssen Unternehmen die
Inhalte sozi-
aler Medien
, selbst wenn sie diese aktiv nur
wenig oder gar nicht nutzen,
strukturiert be-
obachten
, um bei einem bestimmten Ereignis
schnell eine passgenau Reaktion entwickeln
zu können. Diese neue Aufgabe des Reputati-
onsrisikomanagements ist zwingend in den
Kommunikationsabteilungen anzusiedeln.
Nichtsdestotrotz sollte ein kontinuierlicher Auf-
bau und eine risikoorientierte Reputationspfle-
ge durch konkrete Maßnahmen an verschie-
denen Stellen des Unternehmens die bevor-
zugte Strategie sein.
Fazit
Trotz der proaktiven Eigenschaften, die Risiko-
management per Definition bereits aufweist,
erscheint die explizite Stärkung des Maßnah-
menmanagements bei der zunehmenden Kom-
plexität der Unternehmensumwelt nicht nur an-
gebracht, sondern zwingend erforderlich. Ein
modernes Risikomanagementsystem sollte
durch wenig bürokratische Strukturen, flexible
Analysen und dezentrale Verantwortlichkeiten
die Risikoresilienz eines Unternehmens er-
höhen
, indem es eine präzise Risikosteuerung
durch adäquate Maßnahmen fördert.
Viele der in diesem Beitrag skizzierten Entwick-
lungen dürften trotz der Besonderheiten der
Textilindustrie in annähernd gleichem Umfang
auch in anderen Branchen Auswirkungen auf
die Geschäftsmodelle und das damit verbunde-
nen Risikomanagement haben. Insofern sollten
die diskutierten Vorschläge für einen maßnah-
menorientierten Ansatz grundsätzlich auch in
anderen Bereichen vielversprechend sein. Vor
dem Hintergrund der steigenden Bedeutung
nachhaltiger Strategien könnten die dargestell-
ten Risikomanagementansätze auch einen Bei-
trag für die Professionalisierung der unterneh-
merischen Sustainability-Initiativen leisten.
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