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Die untersuchten Verkettungen gehen auch
über die eigenen Systemgrenzen hinweg:
·
Starke Abhängigkeit von einem Hauptkunden
·
Es stehen keine Lagerpuffer zur Verfügung
·
Bei einer Cyber-Attacke droht ein totaler
Datenverlust
·
Muss ein Haupt-Umsatzbringer vom Markt
genommen werden, droht ein deutlicher
Ergebnisrückgang
·
Alternative Rezepturen oder Bauteile benö-
tigen langwierige Genehmigungsverfahren
·
Aus Kostengründen wurden Redundanzen
abgebaut, die im Stressfall benötigt würden
(z. B. 2. Produktionsstätte)
·
Alternative Lieferanten beziehen vom selben
Vorlieferanten
Aber auch Unternehmen ohne derartige, offen-
sichtliche Achillesfersen sind vor Großstörun-
gen und deren Auswirkungen nicht gefeit.
Zum Verstehen des Geschäfts werden zunächst
das Unternehmen mitsamt seinen Strukturen,
Prozessen und Potentialen genauso untersucht
wie die Kontextbedingungen und Beeinflussun-
gen, denen es ausgesetzt ist. Folgende Teil-
komplexe sind auszuleuchten:
1. Eckdaten des Unternehmens
Dazu zählen die Historie (z. B. Insolvenzen und
Übernahmen in der Vergangenheit, Rechts-
formwechsel, Großstörungen in der Vergangen-
heit), der Standort (z. B. im Einzelhandel), die
Eigentümerstruktur und die Eckdaten (z. B. Pro-
duktionsmengen, Freikapazitäten), Verbund-
beziehungen (z. B. finanzielle Verflechtung). Oft
resultieren Verletzbarkeiten aus der Vergan-
genheit.
2. Geschäftsmodell
Die Frage nach dem „wer was wie wo und mit
wem?“ (z. B. Serienfertigung, Fertigungstiefe,
Vertriebskanäle, Produktion auf Bestellung
oder auf Lager). Gibt es Puffer oder Ersatzliefe-
ranten, um einen Rohstoffausfall aufzufangen?
Eine Qualitätsführerschaft kann einerseits die
Kopierbarkeit durch die Konkurrenz erschwe-
ren, andererseits die eigene Flexibilität (im Fal-
le einer Störung) einschränken. Ebenso bedeut-
sam ist, inwiefern Produkte, deren Bauteile,
ganze Standorte oder auch Kundengruppen
(kurzfristig) austauschbar sind (was wiederum
die Flexibilität erhöht) – der 3er-BMW kann z. B.
in mehreren Werken hergestellt werden, beim
7er-BMW ist das nicht der Fall. Ausweich- und
Auffangmöglichkeiten sind zu eruieren: Wird
bspw. das Ladengeschäft eines Selbständigen
von einer Großbaustelle betroffen, bedeutet
dies oft irreparable Schäden, wohingegen bei
einem Filialisten i. d. R. die anderen Filialen den
Ausfall auffangen können.
Fragen zum Erfassen des Geschäfts-
modells sind bspw.:
·
Wie wird produziert?
(auf Lager, auf Bestellung?)
·
Was wird hergestellt und womit?
Sind Verfahren austauschbar?
·
Gibt es vertragliche, technisch oder
wirtschaftlich bedingte Mindestmengen?
·
Gibt es saisonale Anforderungen?
·
Sind Produkte bzw. ihre Bauteile
ersetzbar und in welchem Maße?
·
Gibt es Puffer und Redundanzen?
·
Sind wir (zumindest in einer bestimmen
Region/in einem Teilmarkt) einziger
Anbieter? Wer ist Konkurrent?
·
Was kann die Leistungserstellung
nachhaltig stören oder unterbrechen?
·
Wo kann die Liquidität zu einem ernsten
Problem werden?
·
Welche Informationsprozesse sind
unverzichtbar, aber vulnerabel?
·
Welche Kommunikation muss auf jeden
Fall aufrechterhalten werden?
3. Aufgabenspezifische Umwelt
Als erster Schritt der externen Analyse sind
folgende Einflüsse zu analysieren: Kreditgeber,
Konkurrenz, Lieferanten, Vorlieferanten, Ab-
satzmittler, Endkunden sowie z. B. fachbezoge-
ne wissenschaftliche Institute. Eine Branchen-
analyse kann hier ebenfalls helfen, hat aber
einen engeren Fokus.
4. Allgemeine Umwelt
Z. B. Rohstoffvorkommen, Staat (z. B. Gesetzes-
lage), technologische Veränderungen, Demo-
grafie, Kaufkraftentwicklung, Globalisierung,
Medien.
5. Restriktionen und (wechselseitige)
Abhängigkeiten
zwischen dem Unternehmen und den unter
Punkt 3. und 4. genannten Akteuren bzw. Phä-
nomenen: Da kein Unternehmen unbeeinflusst
agiert und Störungen entweder intern und/oder
extern angestoßen werden, müssen Wirkungs-
beziehungen erkannt und durchleuchtet wer-
den. Aspekte wie (interne Ressourcen), Roh-
stoffe, Geografie, Klima, Recht, Finanzen oder
Image helfen, Dependenzen zu erkennen. So ist
z. B. eine angespannte Rohstofflage als Szena-
rio durchzuspielen oder eine deutliche Produk-
tionsverzögerung oder ein Produktrückruf be-
züglich des Verhaltens der Kunden und Medien
zu beleuchten.
Bei den Abhängigkeiten spielt jene von der
eigenen Hausbank genauso eine Rolle wie die
Berichterstattung in den Medien, werden z. B.
negative Schlagzeilen aus der Vergangenheit
aufgerollt (z. B. Nestlé und Milchpulverskandal).
Zu den Restriktionen zählen z. B. staatliche Auf-
lagen oder vertraglich vereinbarte Mindestmen-
gen, die produziert werden müssen, ebenso
technische Machbarkeiten oder auch ökologi-
sche Grenzen, Marktformen und Nachfragever-
halten oder zeitliche und saisonale Schranken.
Autor
Prof. Dr. Germann Jossé
lehrt Strategisches Controlling am Fachbereich Wirtschafts-
wissenschaften der Hochschule Worms (Studiengänge Han-
delsmanagement und International Management). Zu seinen
Schwerpunkten zählen Strategisches Management, Krisen-
management und Business Continuity Management.
E-Mail:
Business Continuity Management für Großstörungen